Kreis Kleve. . Eine Elterninitiative aus Kleve sagt: „Nein!“ Auch das Bürgerbarometer zeigt: Viele Klever sind unzufrieden mit der medizinischen Versorgung.

Die Geschichte der Elterninitiative „Mehr Kinderärzte für den Kreis Kleve“ beginnt im Jahr 2015: Katja Beermann, Gründerin der inzwischen aus 14 Müttern bestehenden Elterninitiative, sucht einen Arzt für ihre Kinder und findet keinen. Schnell findet sie dafür über die sozialen Netzwerke weitere Eltern mit demselben Problem.

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Nicole Tenbrink und Beate Kohl sind zwei von ihnen. „Unser Kinderarzt war damals gerade in den Ruhestand gegangen“, erzählt Beate Kohl. „Für zwei Kinder einen neuen Arzt zu finden war ein Ding der Unmöglichkeit.“ Mit einem chronisch kranken Kleinkind und einem Baby fährt die junge Mutter daraufhin zwischenzeitlich von Kranenburg bis nach Kevelaer. Aber auch hier sagt der örtliche Kinderarzt ihr gleich, dass er ihre Kinder nicht auf Dauer behandeln werde, er könne derzeit keine neuen Patienten annehmen: Aufnahmestopp.

Die Folge ist für Familie Kohl ein jahrelanges Ärzte-Hopping. Bis ihr Sohn fast drei Jahre alt ist, besucht die Mutter mit den Kindern gezwungenermaßen fast immer einen anderen Arzt. Das hat für die Familie nicht nur lange Wege zur Folge, sondern auch direkte Auswirkungen auf die Gesundheit der Kinder: „Bei meinem Sohn wurde zum Beispiel lange eine Fehlsichtigkeit nicht erkannt“, schildert Beate Kohl, „Und meine Tochter hat den Pflegegrad 2. Ich denke, auch bei ihr hätten durch eine konstantere Betreuung viele Probleme verhindert oder zumindest schneller behandelt werden können.“

Keine neuen Kinderärzte für Kleve

Doch warum ist es im Kreis Kleve so schwer, einen Kinderarzt zu finden? Die Elterninitiative begann zu recherchieren und fand heraus: Offiziell gibt es laut der Bedarfsplanung des Gemeinsamem Bundesausschusses (G-BA), der die Richtlinien für die Zuteilung der kassenärztlichen Sitze in Deutschland erlässt, gar keinen Kinderärztemangel in der Region. Rein rechnerisch gilt der Kreis Kleve sogar als überversorgt. Derzeit können sich hier deshalb keine neuen Kinderärzte ansiedeln. „Wir sind der Meinung, dass diese Bedarfsplanung dringend überarbeitet werden muss“, sagt Nicole Tenbrink. „Es gibt sehr wohl einen Kinderärztemangel im Kreis Kleve und vermutlich gilt das auch für viele andere ländliche Gebiete in Deutschland.“

Viele Niederrheiner sind zufrieden mit der medizinischen Versorgung in der Region. Für die Menschen im Kreis Kleve gilt das nicht.
Viele Niederrheiner sind zufrieden mit der medizinischen Versorgung in der Region. Für die Menschen im Kreis Kleve gilt das nicht.

Dass es sich dabei nicht nur um ein „gefühltes Problem“ handelt, wie Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, kürzlich in der WDR-Sendung „Hart aber fair“ einer Mutter aus Sachsen vorhielt, das hat die Elterninitiative aus Kleve bereits im Jahr 2016 mit einer eigenen praktischen Studie nachweisen können. Sie verglichen die Wartezeiten für einen Kinderarzttermin in der Innenstadt von Düsseldorf mit denen im Kreis Kleve. Laut der Bedarfsplanung des G-BA sind die beiden Gegenden in etwa gleich „gut“ mit Kinderärzten versorgt. Die Studie der Klever Elterninitiative bewies das Gegenteil: „In Düsseldorf bekommt man bei 95 % der Kinderärzte innerhalb von vier Wochen einen Termin“, so Nicole Tenbrink, „im Kreis Kleve hingegen nehmen 70% aller Praxen überhaupt keine Patienten mehr auf.“ Nach einer vergleichbaren Situation klingt das nicht.

Die Erklärung liefert die Bedarfsplanung des G-BA selbst: Laut den in der Planung angegebenen Verhältniszahlen, muss ein Kinderarzt im Kreis Kleve eine weitaus größere Anzahl an Patienten behandeln als in Düsseldorf. Anne Dekkers, die ebenfalls zur Elterninitiative gehört, ärgert das: „Das ist ungerecht! Wir zahlen schließlich alle dieselben Kassenbeiträge.“

Eltern fordern neue Bedarfsplanung

Das Ziel der Elterninitiative ist klar: „Wir wollen, dass die Bedarfsplanung für den Kreis Kleve überarbeitet wird“, sagt Nicole Tenbrink. Notfalls, sagen die Mütter. wollen sie sich bis nach Berlin Gehör verschaffen. Deshalb hat die Elterninitiative vor einigen Monaten eine Online-Petition gestartet. „Um den Druck auf die Politik zu erhöhen.“ Fast 4000 Unterschriften haben sie bereits gesammelt.

Beate Kohl und Nicole Tenbrink hoffen jedenfalls, dass ihr Engagement schnell etwas bewegt. Auch der neue Arzt ihrer Kinder geht bald in den Ruhestand.

>>INFO: Auch die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein ist für eine Reform der Bedarfsplanung

Auch die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein hat den Mangel an Kinderärzten im Kreis Kleve, vor allem im Nordkreis, erkannt. Trotz der rechnerischen Überversorgung hat sie deshalb mit Hilfe einer Sonderbedarfszulassung bereits zu Beginn des Jahres einen zusätzlichen Kinderarztsitz in der Region genehmigt.

Langfristig, so Christopher Schneider von der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein, hoffe man aber ebenfalls auf eine Reform der Bedarfsplanung durch den G-BA.

Laut dessen Richtlinien zählen die Kinderärzte derzeit noch zu den Fachärzten, für die in Großstädten eine höhere Arztdichte vorgesehen ist als auf dem Land. Grund dafür sind die sogenannten Mitversorgungseffekte, die Annahme, dass viele Menschen nicht in ihrem Wohnort zum Facharzt gehen, sondern am Ort ihrer Arbeitsstelle. Die Folge: Ein Kinderarzt im Kreis Kleve muss 3.859 Patienten versorgen, ein Kinderarzt in Düsseldorf nur 2.405.

Die KV Nordrhein sieht das kritisch: „Für die kinderärztliche Versorgung halten wir diese Annahme [der Mitversorgungseffekte] für fragwürdig, da bei Kindern eine Versorgung vor Ort gewährleistet sein muss“, so Schneider. „Wir plädieren dafür, dass die Fachgruppe der Kinderärzte zukünftig kleinräumiger und wohnortnah geplant wird.“

Derzeit überarbeitet der G-BA die Bedarfsplanung auf Bundesebene, 2019 sollen die neuen Regelungen vorliegen. Die KV Nordrhein hofft, dass dann die Probleme im Kreis Kleve gelöst werden können. „Allerdings“, gibt Christopher Schneider zu bedenken, „auch die beste Bedarfsplanung bringt noch keine neuen Ärzte auf’s Land.“