Xanten. Michael Schumacher aus Xanten, der „große, alte Mann“ des Poetry Slam , kann's nicht lassen. Gut so.
Angefangen hat alles in Düsseldorf, im September 2014, im zakk, dem Zentrum für Aktion, Kultur und Kommunikation. Da finden regelmäßig Poetry Slams statt. Michael Schumacher (63) aus Xanten hatte zwar jahrelang Amateur-Kabarett gemacht, aber schon eine Weile nicht mehr auf der Bühne gestanden. Dann hörte er vom zakk und meldete sich an. Er sollte einige fünf bis sieben Minuten lange, selbst geschriebene literarische Texte oder Gedichte vortragen, aus denen die Zuhörer dann am Schluss den Sieger auswählen. Seitdem ist Michael Schumacher von den Poetry-Slam-Bühnen in Deutschland nicht mehr wegzudenken. Und auch sonst ist er fleißig in Sachen Literatur unterwegs.
Warum sollte ich zu einem Poetry Slam gehen oder ihn in Corona-Zeiten streamen?
Ich finde, die Veranstaltungsform Poetry Slam ist eine äußerst spannende Möglichkeit der Begegnung mit Literatur. Sie findet live statt. Es ist ein offenes Format für jedermann und jede Frau. Die Themen sind nicht vorgegeben, und in der Regel hat man eine gewisse Zeit auf der Bühne und da kann die Person, die am Mikrofon steht, machen was sie will. Und das Spannende ist, dass wir Poetry Slammer:innen damit unglaublich viele Menschen erreichen und die Leute tatsächlich bereit sind, sich manchmal zwei Stunden oder länger in eine Literaturveranstaltung zu setzen. Und sie merken eigentlich gar nicht, dass sie in einer Literaturveranstaltung sind. Und sie interessieren sich für Lyrik, was sie sonst wahrscheinlich nicht machen würden. Das finde ich toll.
Was war denn Ihr größter Erfolg?
Eine der Sternstunden war sicherlich, dass ich den damals amtierenden Landesmeister von Rheinland-Pfalz in einem Finale besiegt habe. Mich gegen gute Konkurrenz durchgesetzt habe. Und im letzten Herbst sind meine Teampartnerin und ich tatsächlich ins Teamfinale der deutschen Meisterschaften eingezogen. Wir sind Letzte geworden, aber das war schon, was Meisterschaften angeht, das Größte, was ich erreicht habe.
Und welchen Slam werden Sie nie vergessen?
Das war die Veranstaltung im Pantheon in Bonn, wo ich das Vergnügen hatte, mit einigen der besten deutschsprachigen Poetry Slammer:innen auf der Bühne zu stehen, vor vollem Saal, moderiert vom Slam-Poeten und Comedian Quichotte. Und Backstage habe ich dann noch den Kabarettisten und Pantheon-Gründer Rainer Pause kennengelernt. Das war ein echtes Highlight. Oder im Staatstheater in Wolfenbüttel vor 500 Leuten, das war auch ein Ereignis.
Wie fühlt man sich mit über Sechzig unter den vorrangig jungen Leuten der Poetry Slam Szene? Quichotte ist Jahrgang 1983...
Die Szene ist erstaunlicherweise so offen, dass auch so ein alter Zausel wie ich mit den jungen Leuten gut zurecht kommt. Da sind im Laufe der Jahre auch einige echte Freundschaften entstanden. Da spielt Alter gar keine Rolle. Und ich bin ja auch längst nicht der Älteste. Mein guter Freund Eberhard Kleinschmidt aus Braunschweig ist achtzig und immer noch kreuz und quer in Deutschland auf den Bühnen unterwegs.
Vor Corona hatten Sie eine Veranstaltungsreihe „Lesen für Bier“. Was habe ich mir denn darunter vorzustellen?
Das funktioniert so: Menschen bringen ein Stück Literatur mit zur Veranstaltung, im günstigsten Fall einen eigenen Text. Es kann aber auch ein Schiller-Gedicht oder eine Gebrauchsanweisung von einem Lötkolben sein.
Das legen sie in eine Kiste. Aus der wird dann blind ein Text gezogen, und ich habe fünf Minuten Zeit, ihn vorzulesen. Manchmal mit einer Vorgabe: Lies dieses Stück als Rap vor. Danach stimmt das Publikum ab.
Wenn ihm mein Vortrag besser gefallen hat als der Text, dann kriege ich ein Bier, und wenn der Text besser war als meine Performance, kriegt die Person das Bier, die den Text mitgebracht hat.
Welche Idee steht dahinter?
Mit „Lesen für Bier“ haben wir versucht, einen völlig anderen Zugang zu Literatur zu kriegen, einen performativeren Zugang. Mir als Performer sind da alle Möglichkeiten offen und ich biete mit Sicherheit auch dem einen oder anderen im Publikum dann mal einen ganz anderen Zugang, wenn ich Friedrich Schiller als Rap vorlese, oder experimentelle Lyrik von Ernst Jandl in Form eines spontan entwickelten Chansons.
Als was sehen Sie sich eigentlich selbst? Als Moderator? Kabarettist? Lyriker?
Ich bin zuallererst mal neugierig und jemand, der für Kunst und Literatur brennt. Ich lese gern, ich schreibe gern, ich trage gern das, was ich geschrieben habe, vor Publikum vor. Und manchmal darf ich dann auch eine Veranstaltung moderieren. Es ist eine Mischung von allem, und ich möchte auf nichts davon verzichten. Es macht alles viel Freude und macht mein Leben ganz reich.
Workshops rund um die Literatur machen Sie ja auch noch...
Das macht mir unglaublichen Spaß. Ich glaube, da entsteht zwischen mir und den Teilnehmer:innen auch relativ schnell eine ganz gute Verbindung.
Mal ganz was anderes: Was treibt einen Wuppertaler an den Niederrhein?
Es war tatsächlich die Liebe. 2000 habe ich eine Krefelderin kennengelernt, bin 2001 für zehn Jahre nach Krefeld gezogen. Dann kam wieder eine Frau in mein Leben, mit der es mich nach Kevelaer zog. Als die Beziehung zu Ende war, habe ich eine Wohnung in Xanten gefunden. Da wohne ich jetzt seit 2011 und finde es ganz toll da.
Und? Unterscheiden sich die Menschen aus dem Bergischen sehr von denen am Niederrhein?
Wir Leute aus Wuppertal sind ja mentalitätsmäßig Zwitter, in uns steckt sowohl das Rheinische, Leichtlebige, aber auch das etwas stieselig-sturköpfig Westfälische. Der Niederrheiner ist kontaktfreudiger, offener, jovialer.
Sind Poetry Slams in Wuppertal anders als in Xanten?
Textlich nicht. Aber man kann einen Poetry Slam in einer Großstadt wie Wuppertal nicht mit dem in einer Kleinstadt vergleichen. Das hat mit den Strukturen im Publikum zu tun, vielleicht ist auch das eine oder andere etwas weniger professionell oder weniger mondän.
Gibt es in literarischen Texten einen Unterschied zwischen Bergischem Land und Niederrhein? Sind hier die Text so flach wie das Land?
Überhaupt nicht. Die flache Landschaft am Niederrhein korrespondiert überhaupt nicht mit der literarischen Qualität. Ich würde zwischen den Texten überhaupt keinen Unterschied machen.
Wie sehen die Pläne für die Zukunft aus?
Ich starte gerade eine größere Recherche für einen Roman, der sich sehr stark damit beschäftigt, was mein Vater als junger Mann an der Ostfront erlebt hat. Mit dreien seiner Brüder. Ich habe vor ein paar Jahren einen ganzen Stapel Feldpostbriefe von meinem Vater bekommen, außerdem viele Familienfotos. Ich stelle mir dann die Frage, was hat das, was zwischen 1933 und 1945 war, heute noch mit mir zu tun oder mit unserer Gesellschaft. Und welche Strukturen haben sich da auch bei mir noch erhalten? Was mache ich mit dem Faschismus, der mir selber noch in die Wiege gelegt wurde?
Sie haben zwei sehr gute Gedichte in einer Anthologie veröffentlicht. Wann kann mit einem Lyrikband von Ihnen rechnen?
Das wird sicherlich noch eine Weile dauern. Im Augenblick bin ich eher bei Prosageschichten.