Am Niederrhein. Ein Besuch auf dem Höhepunkt der Laga in Kamp-Lintfort, dem alten Zechenturm. Die Fahrt rauf ist nicht billig, aber die Aussicht – ferntastisch!
Die größte Überraschung ist, als plötzlich der Rheinturm im Fernglas auftaucht. Echt jetzt! Der Betonlulatsch steht zwar in Düsseldorf, ziemlich genau an Stromkilometer 743, also meilenweit von Kamp-Lintfort entfernt – doch da ist das Ding! Gleich neben dem Dach des Hallenhauses auf der Halde Norddeutschland in Neukirchen-Vluyn, gleich rechts davon lugt der verglaste Kopf des 240,5-Meter-Riesens über die Hügelkante.
Gibt’s doch nicht? Doch, doch, bestätigt ein Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes, der noch auf eine weitere Sehenswürdigkeit aufmerksam macht; dazu gleich mehr.
Der Star des Zechenparkes, 66 Meter über dem Grün
Willkommen auf dem Höhepunkt der Landesgartenschau 2020 in Kamp-Lintfort. Auf dem Förderturm der ehemaligen Zeche Friedrich Heinrich, später Bergwerk West, auf der einhundert Jahre lang Kohle gefördert wurde. Das 77 Meter hohe Bauwerk ist die unübersehbare Landmarke der Laga, wie ein rot-weißes Ausrufezeichen steht es auf dem Hauptgelände.
Nix gegen Fackellilien, Ruten-Hirse oder Storchschnabel, die gerade im Schatten des Bergbauklotzes vor sich hin wachsen: die Betonhülle von Schacht 1 ist der große Star des Zechenparkes. Ein Besuch der Aussichtsplattform, 66 Meter über dem Grün, ist eigentlich schon ein Muss. Aber, das ist leider schade, nicht gerade billig.
Zwei Monstermaschinen aus der Industriegeschichte
Fünf Euro extra kostet die Fahrt mit dem Aufzug hinauf, bei der ein Nase-Mund-Schutz Pflicht ist und die handgestoppte 34,12 Sekunden dauert; unter nerviger Beruhigungsmusik. Wie schön leise muss es nebenan sein, auf den 364 Treppenstufen (oder doch 366?), die nur im Notfall zugänglich sind.
Oben angekommen, sind es 20 große Schritte bis zur Tür hinaus auf die Galerie. Vorher jedoch bitte einen Blick auf die beiden Fördermaschinen werfen, die mit rostgrüner Patina in der verglasten Maschinenhalle still stehen. Zwei stumme Zeitzeugen der Grubengeschichte, die 1912 unter dem Fördergerüst von Schacht 2 begann und am 21. Dezember 2012, unter vielen Tränen, mit der letzten Schicht endete.
Der Turm ist ein Stück Heimat – und Nostalgie
Die beiden Meisterwerke der Technik wurden 1956 auf der Gutehoffnungshütte in Oberhausen-Sterkrade gebaut, über deren 4,5 Meter große Treibscheiben sauste das Stahlseil mit 16 Metern pro Sekunden in 1.000 Tiefe hinunter. Wer jemals in einen Schacht eingefahren ist, wird das eigentümliche Gefühl in einem Förderkorb nie vergessen.
Natürlich ist das auch Nostalgie, denn über den Bergbau in Kamp-lintfort wächst nun Gras, später sollen hier Wohn- und Geschäftshäuser entstehen, auch die Hochschule Rhein-Waal wird sich auf dem Gelände ausbreiten. Dennoch gibt es keine bessere Stelle, um an das Kohle-Kapitel von Kamp-Lintfort zu erinnern. Dafür steht der alte Förderturm hier und heute.
Und wer bezahlt die Restzeche?
Es ist noch gar nicht solange her, da wurde in ehemaligen Bergbau- und jetzigen Hochschulstadt darüber gestritten, ob der Betonklotz platt gemacht werden soll. Letztlich wurden die Bürger befragt, knapp 10.000 Einwohner sprachen sich für den Erhalt des Wahrzeichens dieser Stadt aus, rund 5.000 waren dagegen, etwa 32.000 Wahlberechtigte durften abstimmen.
Mal abgesehen vom Aussehen, das Geschmackssache ist, ging es selbstverständlich ums Geld. Wer soll die Restzeche bezahlen? Den Turm instand zu halten kostete etwa fünf Millionen Euro, hinzu kommen jährliche Unterhaltungskosten von 32.000 Euro. Deshalb übrigens wird nun ein Eintrittsgeld erhoben, das in den Förderturm fließen soll.
Ausblicke – bis tief in den Ruhrpott hinein
Wer sich’s leisten kann, vergisst am besten die Kohle und genießt den Ausblick – der ist: ferntastisch! Nach dem Einbahnstraßen-Prinzip geht es einmal rund um den Turm. Im Westen buckeln sich die Schaephuysener Höhen mit dem Oermter Berg auf, im Norden blitzt das Überwachungsradar der Nato über den Wipfeln des Uedemer Hochwaldes auf, im Osten fällt der Ausblick weit über die Industrie-Kulissen zwischen Walsum und Hüttenheim hinaus – bis zu den Ausläufern des Bergischen Landes hinter Mülheim an der Ruhr. Und im Süden blasen die Kohlekraftwerke im Braunkohlerevier bei Grevenbroich gewaltig ihren Rauch in den Himmel.
Wie gesagt, sogar der Düsseldorfer Rheinturm ist zu sehen. Spitze, aber nicht top, behauptet der Sicherheitsmann doch glatt, sogar der Höhenzug an der deutsch-niederländischen Grenze sei zu sehen. Echt jetzt? Die Augen aufs Fernglas: Ganz weit draußen, jotwede, hängt ein großes Bauwerk an einem Hügel. Vielleicht tatsächlich die Schwanenburg in Kleve? Wenn ja, müsste etwas weiter rechts die Sankt-Vitus-Kirche auf dem Eltenberg aus dem Wald ragen.
Unglaublich! Ach, wissen Sie was: Gucken Sie doch bitte einfach selbst. Fernglas nicht vergessen...
Ein Tipp für Hobbyfotografen
Die Laga in Ka-Li ist bis zum 11. Oktober 2020 täglich von 9 bis 19 Uhr geöffnet. Eine Tageskarte kostet für Erwachsene 18,50 Euro, Kinder und Jugendliche bezahlen zwei Euro Eintritt. Während der Sommerferien gibt es Heimaturlaub-Dauerkarte für 45 Euro. Im Preis nicht enthalten ist der Besuch des Förderturmes der ehemaligen Zeche Friedrich Heinrich, geöffnet zwischen 11 und 17 Uhr. Die Auffahrt mit dem Aufzug kostet fünf Euro pro Person, eigene Kinder/Jugendliche bis 17 Jahren frei. Geöffnet ist die Landmarke der Laga und das Wahrzeichen der Stadt zwischen 11 und 17 Uhr. Corona-bedingt dürfen maximal 20 Personen gleichzeitig oben sein. Eventuell kann es also zu Wartezeiten kommen. Gut zu wissen: Die Galerie ist verdrahtet, wer mit der Spiegel-Reflex-Kamera fotografieren möchte, kann sich ein Sichtfenster öffnen lassen, dies gilt nicht für Smartphone-Knipser.