Am Niederrhein. Unterwegs auf der Niederrhein-Route. Kurz hinter Grevenbroich ruft der Berg. Eine Fahrt in die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Region.
Wenn Sie dann endlich oben sind, bitte nicht enttäuscht sein. Es gibt von hier aus, etwas mehr als 160 Meter über dem Meeresspiegel, keinen panoramahaften Ausblick auf die Niederrheinische Tiefebene. Die Vollrather Höhe bei Grevenbroich, eine Abraumhalde aus dem Braunkohletagebau, ist an ihren Hängen dicht bewaldet. Doch der Aufstieg lohnt sich, mit dem Rad oder zu Fuß, dieser Hügel ist der Höhepunkt dieser Gegend, in deren Boden neben Rohstoffen auch viele Geschichten stecken, schöne wie traurige.
Von weitem sieht die Vollrather Höhe aus wie ein zu groß geratener Maulwurfshaufen. Seine Form, oben ein Plateau statt Gipfel, erklärt sich durch seine Entstehung. Eine Aufschüttung in den 1950er und 1960er Jahren, als nebenan ein riesiges Loch gebuddelt wurde: die Grube Neurath, aus der im Laufe der Jahrzehnte das heute höchst umstrittene Abbaugebiet Garzweiler entstand.
Eine Bergetappe am flachen Niederrhein
Dieser unförmige Brocken also ist ein bekannter Begriff in der Rad(renn)-Szene. Man muss vielleicht nicht gleich übertreiben und vom „Alpe d’Huez von Grevenbroich“ sprechen. Andererseits sind auf dem platten Land nicht so viele Bergetappen möglich: am Eltenberg bei Emmerich, in der Hinsbecker, Myhler und Sonsbecker Schweiz sowie auf dem Höhenzug zwischen Kleve und Nimwegen, zum Beispiel.
Oder eben an der Vollrather Höhe. Es gibt drei Wege, die aufs Dach von Allrath führen, jenem 1.800-Einwohner-Dorf, nachdem diese Höhe auch benannt wird. Alle Auffahrten sind für Freizeitradler eine Herausforderung – aber möglich; sogar der Autor dieser Zeilen hat es geschafft, im allerkleinsten Gang, mit ganz viel Schweiß.
Profis lächeln über den Rollerberg
Der längste Anstieg ist wohl der leichteste, zumindest gefühlt: Von Allrath aus (Start: Bongarder Straße/Kirchhofstraße) sind es 2,4 Kilometer, 97 Höhenmeter, maximale Steigung fünf Prozent.
Der kürzeste Anstieg ist der ruhigste, hier ist wenig los: Von Frimmersdorf aus (Start: Energiestraße/Am Stüßges End) sind es 2,1 Kilometer, 83 Höhenmeter, maximale Steigung sechs Prozent.
Der mittlere Anstieg ist gefühlt der schwerste aber schönste, weil sehr kurvenreich: Vom Kraftwerk Frimmersdorf (Start: Energiestraße/Am Welchenberg) sind es 2,2 Kilometer, 111 Höhenmeter, maximale Steigung: acht Prozent.
Die inoffizielle Königsdisziplin an der Vollrather Höhe besteht in einer Über- und Umfahrung von drei Seiten; übrigens für Radfahrer, Wanderer und Jogger.
Die Rekordzeit auf die Vollrather Höhe: um die 4.30 Minuten
Die Profirennfahrer, von denen hier viele unterwegs sind, etwa aus dem Radsportzentrum in Büttgen, lächeln darüber, in ihren Kreisen heißt so ein Hügelchen bloß: Rollerberg. Sie fliegen die Anhöhe mehrmals hintereinander rauf und runter, gönnen sich erst dann einen kräftigen Schluck aus der Pulle – und rasen einfach weiter.
Die Rekordzeit hinauf soll bei um die vier Minuten und dreißig Sekunden liegen, heißt es auf der Straße, die für Autos eigentlich gesperrt ist. Leider halten sich nicht alle daran, das kann bei Abfahrten mitunter lebensgefährlich werden. Zu berücksichtigen gilt auch: Der Asphalt ist stellenweise buckelig und brüchig, da und dort liegen kleine Äste oder Laub herum. Bei Nässe droht Rutschgefahr, bei hohem Tempo ist ein Fahrradhelm Pflicht.
Kultstätte und Windpark
Trotzdem: Die Tour ist ein Riesenspaß, der auf dem Flachdach des künstlichen Gebildes in die Vergangenheit dieses Ortes führt. Die Abraumhalde wurde nach dem Gut Vollrath benannt, das bis 1953 an dieser Stelle stand. Ein Gedenkstein erinnert daran.
Gleiches gilt für die drei Linden, eine Kultstätte, wie auf einem zweiten Gedenkstein zu lesen ist. Hier sei einst eine junge hübsche Frau zum Tode verurteilt worden, weil sie Umgang mit dem Teufel pflegte. Sie aber sagte voraus, das zum Zeichen ihrer Unschuld drei Linden neben ihrer Gerichtsstätte wachsen werden – so soll es auch geschehen sein.
Und ewig dampft das Kohlekraftwerk?
In die Zukunft dagegen führt der Blick auf die Windkraftanlagen, die auf der Vollrather Höhe ihre Kreise ziehen. Es sind XXL-Modelle, weit über 100 Meter hoch, mit Energieleistungen von 2,5 Megawatt und mehr. Der Windpark gilt seit den 1990er Jahren auch als Testgelände für neue Anlagen, die hier oben ungestört ausprobiert werden können.
Die Abfahrt in die Gegenwart dauert bloß wenige Minuten und ist fast ohne Strampelei zu erreichen. Der Weg führt über eine Brücke hinaus auf ein Feld. Auf der anderen Seite steigt weißer Rauch auf. Das Kohlekraftwerk Neurath dampft. Wie lange wohl noch?
INFO: Unterwegs auf der Niederrhein-Route
Eine Runde in Grevenbroich, 20 Kilometer, weniger oder mehr, je nach eigener Planung. Start am Bahnhof, wer mit dem Auto kommt, kann hier kostenloses Park&Ride nutzen. Von dort geht es über den Erft-Radweg zur Vollrather Höhe, ausgeschildert. Dort nach Belieben rauf, runter oder drumherum fahren. Gut zu kombinieren mit dem Energie-Pfad. Zur Planung siehe: Kartenblatt 34 der Niederrhein-Route im Internet: www.niederrheinroute.de.