Am Niederrhein. März 1920: die Weimarer Republik ist in Gefahr. Arbeitersoldaten retten die Demokratie – und wollen mehr. Über einen Bürgerkrieg am Niederrhein.

Es schien wie ein Wink des Himmels, als sich gestern Morgen die Sonne für einen Augenblick durch graue Wolkenberge kämpfte – und den roten Stern mit Hammer und Sichel auf dem Gedenkstein erleuchten ließ. Die Farbe des symbolträchtigen Zeichens ist zwar längst blass, doch für einen Moment gab der Friedhof in Alt-Walsum das Geheimnis seines wohl geschichtsträchtigsten Grabmales preis: die Erinnerung an jene „Märzgefallene“ aus dem Jahr 1920.

Heute vor genau 100 Jahren begann am Niederrhein, wie an einigen anderen Orten in der Weimarer Republik auch, ein kurzer aber umso heftiger Bürgerkrieg. Ja, es gibt Historiker, die den vierwöchigen Kampf der Arbeitersoldaten so nennen. Im Internet und in der Literatur ist oft vom Ruhraufstand zu lesen, die kämpfenden Arbeiter, viele Bergmänner, werden allgemein als Ruhrarmee bezeichnet. Ihr Ruf ist legendär, ihr Einsatz wird bis heute je nach politischem Standpunkt – vergessen bis verklärt.

Die Weimarer Republik unter Beschuss, von links und rechts

Aber gerade in dieser Zeit, in der die Demokratie in Deutschland wieder in Gefahr zu geraten scheint, lohnt sich ein Blick zurück auf die damaligen Ereignisse; die in Schulgeschichtsbüchern allenfalls nur als Randnotiz im Zusammenhang mit dem Kapp(-Lüttwitz-)Putsch erwähnt werden.

Gedenkstein für die „Märzgefallenen 1920“ auf dem Friedhof in Alt-Walsum, Duisburg.
Gedenkstein für die „Märzgefallenen 1920“ auf dem Friedhof in Alt-Walsum, Duisburg. © Ingo Plaschke

Deutschland im Frühjahr 1920 war ein junge, instabile Republik. Die erste parlamentarische Demokratie nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg, der Novemberrevolution und dem Sturz von Kaiser Wilhelm II. stand – zunächst verbal – unter Beschuss. Von links wie von rechts. Dazwischen stand an der Staatsspitze erstmals ein Sozialdemokrat: Friedrich Ebert.

SPD, USPD und KPD in seltener Einigkeit

Als am Morgen des 13. März 1920 der General Walther von Lüttwitz mit seiner Truppe in der Hauptstadt Berlin einmarschierte und gegen die zuvor geflüchtete Reichsregierung putschte, schlossen sich die linken Parteien SPD, USPD und KPD spontan zu einem seltenen Bündnis zur Rettung der Reichsregierung und Republik zusammen.

Einerseits durch einen Generalstreik, zu dem der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund und die die Arbeitsgemeinschaft freier Angestelltenverbände aufriefen; und der nach fünf Tagen beendet wurde – als der Putsch gescheitert war.

Andererseits durch einen bewaffneten Kampf, dem sich viele Arbeiter anschlossen, vor allem im Ruhrgebiet, ab dem 15. März 1920. Wie stark dieses Armee war, ist unklar: Die Zahlen liegen zwischen 120.000 und 50.000 Rotgardisten.

Die Deutungshoheit über ihre Gefechte beginnt bereits mit ihrer Betitelung: Mal ist vom Märzaufstand, mal von den Märzunruhen die Rede. Sprache ist Macht, gerade in der Politik.

Kämpfe von Dinslaken bis Wesel, zwischen Krudenburg und Schermbeck

Fest steht, auch in Duisburg sowie von Dinslaken aus bis nach Wesel sowie an der Lippe zwischen Krudenburg und Schermbeck wurde erbittert gekämpft. Erst, um die Demokratie zu retten. Zum Glück. Dann, um eine linke(re) Republik zu errichten. Vergeblich.

Jedoch, viele Orte der Erinnerung daran gibt es nicht mehr. Auf dem Parkfriedhof in Dinslaken steht ebenfalls ein Gedenkstein; gerade geschmückt mit zwei Kränzen und roten Nelken.

Was in dieser Region damals genau passierte, ist verstreut nachzulesen: Martin Roelen, Stadtarchivar in Wesel, zeichnete die Belagerung und Schlacht um die Zitadelle nach (zeitreise-wesel.de), Gisela Marzin und Kirsten Lehmkuhl, Stadtarchivarinnen von Dinslaken und Voerde, trugen die blutigen Ereignisse vor ihren Haustüren zusammen (buergerkrieg-1920.de).

Plakat-Aufruf vom 13. März 1920.
Plakat-Aufruf vom 13. März 1920. © Deutsches Historisches Museum | Legien, Aufhäusser

Die grausame Bilanz des Bürgerkrieges

Immer noch lesenswert: Das Buch „Der Aufstand“ des Historikers Michale Dahlmanns aus Geldern von 1988, der die Ereignisse regional zusammenfasste.

Der Märzaufstand 1920 scheiterte, auch am Niederrhein, letztlich Anfang April. Es sollen mehr als 1.250 Tote zu beklagen gewesen sein, meistens Rotgardisten.

Buch und Vortrag zum Thema von Michael Dahlmanns

Der Historiker Michael Dahlmanns veröffentlichte 1988 sein Buch „Der Aufstand. Die Märzunruhen 1920 im Raum Dinslaken-Wesel“. Wenige Exemplare sind über den Verein für Heimatpflege „Land Dinslaken“ erhältlich, 14,95 Euro (land-dinslaken.de). Am Donnerstag, 19. März, hält der Autor ab 19.30 Uhr einen Vortrag zum Thema im Rathaus in Voerde. Eintritt frei.

Tipp: 1979 drehte Heiner Herde für den NDR eine 45-minütige Doku mit Zeitzeugen über den Ruhraufstand, zu sehen bei youtube.de (Stichwort: Ruhraufstand 1920). Im Verlag Die Buchmacherei erschien die Neuauflage des Standardwerkes „Märzrevolution 1920“ von Erhard Lucas, 1.288 Seiten, 40 Euro