Am Niederrhein. Die Schachtanlage Rossenray in Kamp-Lintfort wird gerade abgerissen. Es war einmal ein ganz besonderes Bergwerk – mit bundesweiter Bedeutung.

Über den letzten Krupp, wie nicht nur der Journalist Hanns-Bruno Kammertöns seine Biografie über Arndt von Bohlen und Halbach nannte, kursieren ja die wildesten Geschichten. Eine davon spielte einst in Kamp-Lintfort, auf der ehemaligen Schachtanlage Rossenray.

Die Steinkohlenzeche war eine ganze Zeit lang im Besitz der Friedrich Krupp AG. Und wenn bis zum Ende des Jahres 2020 der Förderturm der Anlage abgerissen sein wird, wächst wohl endgültig Gras über die Grube auf der grünen Wiese und ihre Geschichte. Aus diesem Grund eine Erinnerung an dieses besondere Bergwerk.

Rossenray: bundesweit in den Schlagzeilen

Im Sommer 1969 stand Rossenray bundesweit in den Schlagzeilen. In der NRZ war von einer „explosiven Stimmung“ in dem Betrieb zu lesen, in dem damals mindestens eine Million Tonnen Kohle im Jahr gefördert worden sein sollen.

Blick von oben auf die Schachtanlage in Kamp-Lintfort im Sommer 2017.
Blick von oben auf die Schachtanlage in Kamp-Lintfort im Sommer 2017. © www.blossey.eu | Hans Blossey

Die Kumpel über und unter Tage malochten aber nicht nur für die eigene Lohntüte, sondern machten zunächst einmal reichlich Kohle für den „kleinen Krupp“, ätzte Willi Bongard in der „Zeit“.

Ein Zustand, der Rossenray zu einem Begriff in der Bonner Republik machte, deren Wirtschaftswunderjahre gerade vorbei waren. Spätestens Ende der 1950er Jahre brach die Kohlekrise aus, Mitte der 1960er Jahre verschärfte die erste Rezession im Nachkriegsdeutschland die allgemeine Wirtschaftslage.

Fast geplatzt: die Gründung der Ruhrkohle AG

Eine Lösung der Probleme sollte unter anderem die Gründung der Ruhrkohle AG sein. Die Einheitsgesellschaft wurde 1968 gegründet, 47 Schachtanlagen, 28 Kokereien und sechs Brikettfabriken kamen unter ein Dach, 175.000 Beschäftigte inklusive. Der Zusammenschluss sollte verhindern, dass sich die Bergbaubetriebe angesichts stetig fallender Kohlepreise gegenseitig unterbieten, letztlich also ruinieren.

Freilich: Um ein Haar hätte dieser Weg nicht beschritten werden können – allein wegen Rossenray.

Noch zwei Tage, bevor die Erklärungsfrist für den Beitritt der Krupp-Zeche in Kamp-Lintfort zur neuen Kohleeinheitsgesellschaft mit Sitz in Essen abgelaufen war, hatten sich die Herren der RAG und des Schwerindustrie-Konzerns immer noch nicht darüber geeignet, ob und wie dem letzten Krupp weiter dessen „Taschengeld“ (Willi Bongard) bezahlt werden kann.

Dazu muss man wissen: Dem einzigen Kind von Anneliese und Alfried Krupp von Bohlen und Halbach stand eine jährliche „Förderrente“ zu, bis zu seinem Lebensende. Diese vertraglich geregelte Vergoldung des Alltages hatte noch der Vater für den Sohn ausgehandelt, der im Juli 1967 gestorben war.

Urlaub auf Sylt: ein Märchenprinz mit Wimperntusche

Diese Vereinbarung behielt auch ihre rechtskräftige Gültigkeit, nachdem der Manager Berthold Beitz das Vermögen dieser sehr speziellen Familienfirma in eine Stiftung überführt sowie Arndt von Bohlen und Halbach offiziell auf sein Unternehmenserbe verzichtete hatte. Das war im September 1966 gewesen.

Bloß, der Mensch lebt ja nicht vom Brot allein. Schon gar nicht, wenn er als „Märchenprinz“ in der weiten Welt unterwegs ist, als den der Schriftsteller Bernt Engelmann den Sprössling mit dem Bedürfnis nach Ausschweifung und Extravaganz bezeichnete.

Arndt von Bohlen und Halbach: wie ein Märchenprinz.
Arndt von Bohlen und Halbach: wie ein Märchenprinz. © WAZ | Archiv-Bild

Eine feingemeine Charakterstudie lieferte der Kollege Fritz J. Raddatz, als er seinen Lesern eine Partyszene im legendären Haus des „Spiegel“-Gründers Rudolf Augstein auf Sylt ausbreitete. Darin flötet er von einer „schwankenden Gestalt, sorgfältig geschminkt“, der „die Wimperntusche“ lief, „unklar, ob von den Windböen oder den offensichtlichen Alkoholstürmen“. So wenig schmeichelhaft geht es noch ein paar Zeilen weiter, Begriffe „falbe Fellini-Figur“ und „fahle Made“ sind da zu lesen.

DGB-Blatt: „Hässlicher Skandal um schönen Rentner“

Jedenfalls konnte der Unterschied zwischen den Kumpeln in Kamp-Lintfort und dem Playboy, gebürtig aus Berlin-Charlottenburg, kaum größer sein. „Wir kamen uns wie Leibeigene vor, die dem Nichtstuer Arndt sein ohnehin süßes Leben noch mit weiteren Millionen versüßten“, zitiert der Autor Günter Wallraff den Bergmann Jürgen F. im Buch „Ihr da oben, wir da unten.“

Hintergrund: Von jeder geförderten Tonne Steinkohle bekam Arnd von Bohlen und Halbach laut Vermächtnis: 1,60 Mark. Ein hübsches Sümmchen, bei einer Fördermenge von einer Million Tonnen oder mehr.

Die Empörung über Arndt von Bohlen und Halbach war groß, im Fachblatt des Deutschen Gewerkschaftsbundes „Welt der Arbeit“ wurde ein „hässlicher Skandal um schönen Rentner“ beschworen.

Um es abzukürzen: Die Lösung war Juristerei auf höchster Ebene – über dessen genaues Ergebnis, wie Willi Bongard anmerkte, „allerdings niemand Auskunft zu geben vermag“. Zumindest ist bekannt, dass Arndt von Bohlen und Halbach weiter sein Geld bekam. Offiziell nicht mehr von der Ex-Krupp-Zeche, sondern von der Ruhrkohle AG.

Arndt von Bohlen und Halbach: am Ende ziemlich pleite

„Mindestens eine Million Mark, nach sachverständigen Schätzungen aber etwa vier Millionen Mark“, so Günter Wallraff. Weiter erwirtschaftet auf der Zeche Rossenray, jedoch irgendwie anders als früher verrechnet.

Und auch der Rest der traurigen Geschichte ist bekannt: Arndt von Bohlen und Halbach starb 1986, übrigens ziemlich pleite.