Hamminkeln. Reinhard Wolff beweist, man kann Sex Pistols hören und in Hamminkeln glücklich sein. Ein Gespräch mit Zwakkelmann über „Papa Punk“ und überhaupt.

Kaffee? Kaffee. Er trinkt aus dem Beatles-Becher, der Reporter bekommt den The-Who-Pott. Wir duzen uns. Journalisten in der Bundeshauptstadt mögen darüber die Nase rümpfen („Keine Distanz!“), Schreiberlinge in der Provinz kennen das („Man sieht sich immer zwei Mal im Leben, mindestens.“).

Um gleich mal mit den Ärzten zu fragen: Ist das eigentlich noch Punkrock?

Nicht mehr so ganz.

Demnach hatten die Goldenen Zitronen Unrecht: Für immer Punk!

Na ja, sie waren ja schon damals intelligent genug, um „Für immer Punk!“ in Frage zu stellen.

Also doch nicht wie die Toten Hosen: Bis zum bitteren Ende?

(grinst) Ein bisschen schon.

Reinhard, Schlaffke, Zwakkelmann

Hausbesuch in Hamminkeln. Bei Reinhard Wolff. Klingt bis dahin nicht ungewöhnlich, und seriös geht es auch weiter. Er wurde im vergangenen Jahrhundert in Oberhausen geboren und lebt seit 1977 in Hamminkeln. Er schloss eine Lehre zum Maler- und Lackierer und danach eine Studium zur Sozialwissenschaft ab. Er arbeitet seit 20 Jahren im offenen Jugendtreff in Anholt und ist Leiter der Einrichtung.

Wer sagt noch Reinhard zu Dir?

Die Kinder im Jugendtreff.

Wieso der Spitzname Schlaffke?

Mein Vater hat das Wort kreiert. Er war Lehrer, spielte gerne mit Worten, und eines Tages nannte er mich mal „Schlaffke.“ Ich bin ja eher so der schlanke Typ. Meine Kumpels haben das dankend übernommen, bis heute.

Und wieso dann Zwakkelmann aus dem Räuber Hotzenplotz?

Der Zauberer Zwakkelmann ist in der Hotzenplotz-Geschichte ein durchgedrehter Spinner, der zuhause sein Süppchen kocht – das passt zu mir.

Funpunk? Nee, Zwakkelmann meint es ernst. Wie der Räuber Hotzenplotz.
Funpunk? Nee, Zwakkelmann meint es ernst. Wie der Räuber Hotzenplotz. © Daniel Osterkamp

Berühmt wie Campino, also beinahe

In der Punkszene bist Du ja so was wie ein B-Promi: als Ex-Sänger von „Schließmuskel“. Irgendwelche Vorteile dadurch, zum Beispiel Gratisdrinks?

Die auch, manchmal. Oder ich komme umsonst beim Ruhrpott Rodeo in Hünxe rein. Es hilft aber nicht immer. Beim letzten Mal bin ich am nächsten Tag in meinem Auto aufgewacht und hatte fürchterliche Rippenschmerzen. Ich wusste nicht mehr, warum. Der Grund wurde mir später über Facebook zugetragen... (grinst)

1996 begann, so ein Plattentitel von damals, dein Abstieg in den Ruhm.

Das war zu der Zeit, als die CD die Schallplatte überflügelte. Uns als kleine Band hat das damals sehr geschadet. Unsere bescheidene Popularität litt unter dieser Entwicklung. Wir haben dann noch eine Deutschland-Tournee unter Ausschluss der Öffentlichkeit gemacht. Daher schien unser dieser Plattentitel passend.

Traurig, kein A-Promi wie Campino geworden zu sein?

Nee. Es hat durchaus einige Vorteile, nicht so bekannt zu sein. Die ganze Zeit unter Beobachtung in der Öffentlichkeit zu stehen, muss ich nicht haben.

Ein Dorfpunk in den 1980ern

War es schwer, in den 80ern ein Punk in Hamminkeln zu sein?

Oh ja. Als Punk war man hier so etwas wie ein Aussätziger.

Trotzdem bist Du hiergeblieben. Was hat Hamminkeln, was zum Beispiel Nashville Tennesse nicht hat?

Tja, die Countryszene auf dem Dorf ist nicht so ausgeprägt, obwohl es hier ja auch Country ist. Aber ich mag einfach nicht in einer großen Stadt leben, die viele Eindrücke dort würden mich auf Dauer bekloppt machen. Ich mag die Natur – und auch ein bisschen die Einöde.

Gibt es noch eine rechte Szene in Hamminkeln?

Ja, leider. Der harte Kern scheint etwas kleiner geworden zu sein. Sie treten zum Glück nicht sehr offensiv auf, trotzdem sind die Rechten da. Zuletzt klebte an Laternen die Parole: „Refugees not welcome.“

Sex Pistols oder The Clash?

Nein, das Leben auf dem Land ist nicht immer idyllisch. Doch Zwakkelmann ist der Beweis, das Leben hört nicht auf, wenn die Radio-Niederrhein-Zeit definitiv vorbei ist. Es geht immer weiter, auch die musikalische Evolution nimmt ihren Lauf. Das ist in Hamburg genauso wie in Hamminkeln – hier vielleicht zeitversetzt, etwas später.

Wer gab Dir damals die Initialzündung: die Sex Pistols oder The Clash?

Beide. Die Sex Pistols vor allem wegen ihres Outfits und weil die Stimme des Sängers nicht so hoch war wie damals bei vielen Rockbands üblich. The Clash musikalisch, weil ihre Musik sehr variabel war. Joe Strummer finde als Typ immer noch gut.

Schlimm, das heutzutage H&M-Kids mit Ramones-T-Shirts rumlaufen?

Ich sehe das gar nicht so negativ. Natürlich frage ich dann immer, ob sie diese Band auch kennen. Und ich freue mich, wenn das so ist.

Echt wahr, dass der frühe Udo Jürgens Einfluss auf Deine Musik hat?

Seine alten Sachen aus den 60er und 70er Jahren sind textlich und musikalisch großartig. Der Text von „Ein ehrenwertes Haus“ ist sehr sozialkritisch, so ein Schlager wird heute nicht mehr geschrieben. Er hatte seine Handwerk wirklich verstanden. Natürlich war er mir gleichzeitig auch immer suspekt geblieben, wenn er da an seinem weißen Flügel saß und sang.

Übrigens, klingt wie ein biologisches Phänomen, doch früher war Schlaffke ein Schließmuskel.
Übrigens, klingt wie ein biologisches Phänomen, doch früher war Schlaffke ein Schließmuskel. © Daniel Osterkamp

Ein Rat von Papa Punk

Dein Geheimnis: Wie altert ein Punk in Würde?

Das frage ich mich auch. Optisch kann ich nicht mehr viel bieten, also versuche ich, musikalisch halbwegs zu überzeugen. (überlegt) Ich denke, Humor kann helfen.

Ein pädagogisch wertvoller Rat von Reinhard Wolff, dem Leiter des Jugendhauses in Anholt, an die Jugend von heute:

Wichtig ist, auch mal Langeweile auszuhalten. Auch aus Langeweile kann etwas Kreatives entstehen. Dazu kommt es aber nicht mehr so oft, weil heutzutage die Handys zu sehr den Alltag bestimmen.

Sprach also „Papa Punk“, alt und weise.

Genau. (lacht)

Zwakkelmann also, Sänger und Songschreiber. Alias Schlaffke Wolff, einst Sänger der Punkband Schließmuskel, die von 1983 bis 2000 existierte und im Independent-Bereich einige Erfolge verbuchen konnte. Ein Rückblick und Ausblick, dazwischen die Gegenwart – ein Solo, das musikalisch unterstützt wird von Tobi Blommen am Schlagzeug (bis Ende 2015 von Techt Tetmeyer) sowie Marius OPunktHase an der Bassgitarre.

Erklär doch bitte mal den arschigen Namen deiner ersten Band: Schließmuskel.

Mein Zwillingsbruder und ich spielten ja in der Band. Wir saßen zuhause beim Essen, da sprang unsere Katze Mischki auf Tisch und präsentierte uns ihr Hinterteil. Mein Vater sagte: „Mein Gott hat die einen ausgeprägten Schließmuskel.“ Darüber haben wir uns so kaputt gelacht, dass wir daraus den Bandnamen ableiteten.

Und wieso die spätere und langweilige Umbenennung in „Die Muskeln“?

Der Name war nicht unbedingt ein Türöffner. Wir hatten gemerkt, dass viele mit dem Namen Probleme hatten, es war halt noch eine andere Zeit. Dann kam ein zweiter Gitarrist in die Band und wir beschlossen, uns umzubenennen. Einige unserer Fans nannten uns ja schon vorher „Die Muskeln.“ Na ja, es war wohl ein Fehler.

Stimmt das Wikipedia-Zitat zu Schließmuskel: „Das war alles gar kein Spaß-Punk?“

Wir haben uns immer gegen die Schublade „Fun-Punk“ gewehrt. Ja, wir wollten Spaß haben und auch machen. Aber wir hatten unseren eigenen Humor, der nichts mit Schenkelklopfen zu tun hatte. Ich will jetzt nicht behaupten, das wir sehr politisch waren. Uns ging es um autobiografische und ehrliche Texte. Den Anspruch habe ich heute immer noch.

Der Traum vom großen Hit

Achtung, Ironie: Vor neun Jahren hast Du in einem Lied gefragt, ob Du vielleicht asozial bist? Schon ne Antwort gefunden?

Ich bin immer noch auf der Suche. Der Song war an meine Mutter gerichtet, die vieles, was ich gemacht habe, nicht verstanden hat. Sie war auch eine Lehrerin, sie konnte nicht immer mit Punk etwas anfangen.

Was sagen die Kids im Jugendtreff über Zwakkelmann?

Ich denke, jeder von ihnen hat schon mal ein Zwakkelmann-Video gesehen. Manche finden es gut, die meisten aber interessieren sich nicht dafür.

Glaubst Du noch an den einen großen Hit?

Das muss man immer als kleiner unbekannter Musiker, denn auch das treibt dich an. Ich weiß aber, dass es nicht passieren wird. (lacht)

>> INFO: „Papa Punk“, die aktuelle Punkrock-Scheibe von Zwakkelmann

„Papa Punk“ ist das achte Studioalbum von Zwakkelmann. 20 Lieder zwischen Cash, Clash und Reinhard Mey – und noch ein bisschen mehr. Erschienen bei Hulk Räckordz, zehn Euro, erhältlich im gut sortierten CD-Laden oder: www.zwakkelmann.de.

Aus aktuellem Anlass das aktuelle Album von Zwakkelmann: „Papa Punk“, mit Liedern wie „Ra-Ra-Ramones“.
Aus aktuellem Anlass das aktuelle Album von Zwakkelmann: „Papa Punk“, mit Liedern wie „Ra-Ra-Ramones“. © Hulk Räckordz

„Papa Punk“: Was Papa Punk dazu sagt

Erstes Lied: „Notdurftverrichtungszeitanalyse“. Zu hören sind Pinkelgeräusche und eine Klospülung. Du bist jetzt 53 Jahre alt – wirst Du denn nie erwachsen?

Scheinbar nicht. (lacht) Na gut, wir haben lange überlegt, ob wir den Song an den Anfang stellen sollen. Doch er ist witzig und geht gut ab. Zugegeben, er ist eine kleine Provokation. Aber wir verbringen so viel Zeit auf dem Klo, insbesondere mit dem Pinkeln, das musste ich einfach mal thematisieren.

„Ra-Ra-Ramones“ – die ultimative Lobhudelei auf deine Lieblingsband?

Anfangs waren mir die Ramones zu rockig. Und dazu trugen sie noch lange Haare – nee! Ich habe sie erst sehr viel später schätzen gelernt. Ich würde aber nie behaupten, die Ramones sind die beste Band der Welt. (überlegt) Die beste Live-Band war wohl The Who, die besten Songschreiber waren die Beatles.

„Nashville Tennesse“ – eine Hommage an Johnny Cash?

Definitiv! Dazu fällt mir noch folgende lustige Geschichte ein: Neulich lief bei uns im offenen Jugendtreff eine uralte Version von „I walk the Line“ von Johnny Cash. Da fragte mich ein 13-jähriges Mädel: „Ist das Zwakkelmann?“ (lacht) Ganz groß, dachte ich, welch ein Kompliment!

Wer ist denn der „schöngeistige Zupfgeigenhansl“, denn Du nicht magst: David Garrett?

Nee, der gar nicht, den kenne ich ja kaum. Bei dem Song dachte ich eher an so Typen wie Philipp Poisel. Solche Singer und Songwriter, Anfang 20, mit Vollbart und Akustikgitarre, die rumsäuseln und Wischiwaschi-Musik machen. Schrecklich.

„Dumme Nazibraut“ ist das erste Lied, in dem Zwakkelmann klar politisch Stellung bezieht.

Ich wollte schon seit Längerem einen plakativen Song gegen Rechts machen. Weil fast alle meine Lieder autobiografisch sind, wartete ich auf die richtige Gelegenheit. Diese kam, als ich bei Facebook mit einer rechtsradikalen Frau aneinandergeriet. Äußerst übel war auch, dass es nach der Veröffentlichung unseres Videos dazu bei Youtube einen Shitstorm von Nazis gab.

„Der altgediente Rock‘n‘ Roll“ klingt wie ein wehmütiger Abgesang?

Obwohl der Text ja eigentlich positiv ist. Doch Du hast recht, es gibt heute nur noch ganz wenige neue Bands, die mich wirklich begeistern. Leider greifen Jugendliche mittlerweile kaum noch zur Gitarre, es ist ihnen wohl zu mühselig, die Griffe zu erlernen. Wenn sie Musik machen, haben sie am Handy oder PC viel schnellere Erfolge. Schade, aber irgendwann stirbt der gute alte Rock‘n Roll vielleicht wirklich aus.

Lied 14: „Ansage“ in bayrisch – gab es danach auch einen Shitstorm?

Wenn ich dazu ein Video machen würde, käme der vielleicht. (lacht) Als der Song fertig war, habe ich ihn unserem Plattenboss Fratz zugeschickt, der aus Süddeutschland kommt. Er sagte nur: „Oh Scheiße, Schlaffke, warum hast Du mir vorher nix gesagt?“ Da war es aber zu spät und nichts mehr zu ändern.

Zum Schluss: „Punk-Buchhalter“ – sehr schönes Wort! Wer ist das reale Vorbild?

Mir fallen dazu natürlich ein paar Leute ein, ich will aber keine Namen nennen. (grinst) Ich finde es total peinlich, wenn Leute meinen, sie seien Punk und sind es gar nicht. Ehrlicherweise muss ich aber zugeben: Auch ich trage ein kleines bisschen den Punk-Spießer in mir. Ich bin nämlich sehr auf Pünktlichkeit bedacht. Das ist nun wirklich total unpunkig.