Am Niederrhein. . Das Herkunftswörterbuch des LVR-Sprachwissenschaftlers ist auch eine Liebeserklärung an die Menschen am Niederrhein und an ihre Umgangssprache.
688 Seiten. Sein Lebenswerk! Ein Wälzer der Worte, ein ganz dickes Ding, ein – ganz schöner Oschi*, wie man in Rheinhausen zu sagen pflegt, also da, wo der Autor ursprünglich herkommt.
Immerhin, der Untertitel des druckfrischen Buches verspricht jene Seriosität, die der geneigte Leser von einem Sprachwissenschaftler erwartet: „Herkunftswörterbuch der Umgangssprache an Rhein und Ruhr“.
Aber Peter Honnen wäre sich auf den letzten Dienstmetern untreu geworden, hätte er nicht genau diesen Titel auf den knallrosa Leinendeckel drucken lassen: „Wo kommt dat her?“
Eine Frage, die sich der Forscher des Landschaftsverbandes Rheinland seit mehr als 30 Jahren stellt. Er schaut dem Volk wortwörtlich aufs Maul, mit Vorliebe den Rheinländern und Ruhris – und noch viel lieber hört er ihnen zu, ziemlich genau sogar.
Hier die Alltagssprache, da das Duden-Deutsch
Sein Rheinisches Mitmachwörterbuch, das er im Auftrag des Landschaftsverband Rheinland aufgebaut hat, und mit dem er neue Entwicklungen im sogenannten Regiolekt erfasst und erforscht (im Internet: www.mitmachwoerterbuch.lvr.de) – ist Kult.
„Mich interessiert die Alltagssprache. Ich möchte wissen, wie die Menschen wirklich reden“, sagt er. Zwangsläufig muss dann der Duden – ursprünglich übrigens auch ein Herr vom Niederrhein – zum natürlichen Feind des modernen Mundartbeobachters werden.
Rheinland und Ruhrgebiet, schwärmt der Experte des LVR-Institutes für Landeskunde und Regionalgeschichte in Bonn, sind die mit Abstand buntesten Sprachlandschaften in Deutschland. Ein Garten Eden für jemanden wie ihn, der an die Kraft und die Herrlichkeit des Alltäglichen glaubt.
Hier wird gefrickelt und gefummelt, ‘en Hallas oder einer auf Graf Koks gemacht, verhohnepipelt und verkackeiert. Wer das nicht versteht, kommt nicht aus Saelhuysen, Serm oder Sonsbeck.
Ein neues Standardwerk mit 1500 Wörtern
Doch nun gibt es Nachhilfe dank eines neuen Nachschlagewerkes mit rund 1500 Wörter. Von A wie Aas, „das beliebteste Schimpfwort für einen gemeinen, frechen, schlechten, arglistigen, hintertriebenen Menschen“, bis Z wie Zutt, „einem Ausguss bzw. Aufsatz an einem Gefäß“.
Diese unvergleichliche Wortschatzsammlung hat das Zeug dazu, neben dem Brockhaus und anderen Großen im Bücherregal zu stehen – und dort ausnahmsweise mal nicht zu verstauben. Zu vergnüglich, mitunter völlig überraschend, sind die Herleitungen von herrlichen Alltagswörtern wie „klamüsern“, „Pömpel“ oder „Tacken“.
Erstaunlich: Lange Zeit wehrte sich Peter Honnen gegen dieses ultimative Standardwerk. Die Arbeit daran sei schlicht viel zu mühselig, befand er. „Weil es keine Verschriftlichung gibt, fängt man schnell an zu schwimmen“, erklärt er wörtlich. Endlich ein Wissenschaftler, der verständlich spricht.
Man sollte sich aber in Herrn Honnen nicht täuschen! Er kommt nicht aus Baden-Württemberg, er kann auch Hochdeutsch – und er kann streng wissenschaftlich arbeiten. Mit detektivischem Spürsinn und hintergründigem Humor kommt er dem „Killefit“ und „Nonnenfürzchen“ auf die Schliche und erklärt von Generation zu Generation überlieferte Ausdrücke wie „dütsche / holländse Moff“.
Umgangssprache gleich ungebildet? Kokolores!
Bemerkenswert: Wir nehmen oft Wörter in den Mund, die uns bereits seit mehr als 2000 Jahren auf den Zungen liegen. „Kappes“, zum Beispiel, also der Kohl, geht auf das Lateinische „caput“ zurück, übersetzt „Haupt“.
Große Erkenntnis: Der Niederrhein ist eine multikulturelle Sprachlandschaft mit keltischen, römischen, niederdeutschen, französischen... Einflüssen.
Die Umgangssprache, darauf legt Peter Honnen allergrößten Wert, ist viel besser als ihr Ruf. „Mich stört das schlechtes Image.“ Die Gleichung „Umgangssprache = ungebildet“ ist für ihn: Kokolores.
Alles aber kann selbst der Sprachforscher nicht wirklich erklären. Ausgerechnet den „Oschi“ nicht. Auch dat: ein dickes Ding!
* Nachtrag für Niederrheiner zum Oschi: Abgesehen vom großen oder dicken Ding, kann ein Oschi auch eine Mischung Asbach-Cola sein, stilecht serviert im Cognac-Glas.
>> INFO:
Peter Honnen und sein Werk
Der Autor Peter Honnen wurde 1954 im damals noch selbstständigen Rheinhausen, heute Duisburg, geboren. Der Sprachwissenschaftler arbeitet beim LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte in Bonn-Endenich. Seine bisherigen Bücher: Alles paletti? Migration und Sprache an Rhein und Ruhr, 80 Seiten, 8,90 Euro; Alles Kokolores. Wörter und Wortgeschichten aus dem Rheinland, 248 Seiten, 11,50 Euro; Kappes, Knies und Klüngel. Regionalwörterbuch des Rheinlands, 272 Seiten, 11,90 Euro; Wo kommt dat her? Herkunftswörterbuch der Umgangssprache an Rhein und Ruhr, 688 Seiten, 28 Euro. Alle erschienen im Greven Verlag, Köln. Erhältlich im örtlichen Buchhandel oder online: www.greven-verlag.de