Am Niederrhein. . Wie war der jüngst verstorbene Bundeskanzler im persönlichen Umgang? Nachgefragt bei Karl-Heinz Florenz, EU-Abgeordneter aus Neukirchen-Vluyn.

Am vergangenen Wochenende wurde der Staatsmann Helmut Kohl offiziell gewürdigt und verabschiedet. Mindestens einer fehlte beim Festakt im Europäischen Parlament in Straßburg: Karl-Heinz Florenz. „Ich hatte eine private Verpflichtung“, erklärt er. Mit dem verstorbenen Bundeskanzler a.D. und Ehrenbürger Europas verband den Landwirt vom Niederrhein mehr als die gemeinsame Mitgliedschaft in der CDU. Gestern Morgen, kurz bevor der Abgeordnete des Europäischen Parlamentes von seinem Bauernhof in Niep bei Neukirchen-Vluyn wieder nach Europa aufbrach, erinnerte er sich an persönliche Begegnungen auf ihren politischen Wegen.

Frage: Wie, wann und wo erfuhren Sie vom Tod Helmut Kohls?

Karl-Heinz Florenz: An jenem Freitag war ich in meinem Wahlkreis am Niederrhein unterwegs. Die Nachricht kam über unseren Abgeordneten-Nachrichtendienst und stimmte mich nachdenklich, weil Helmut Kohl ein ganz außergewöhnlicher Mensch war.

Frage: Hatten Sie zuletzt noch einmal mit ihm gesprochen oder waren zu Besuch in seinem Bungalow in Oggersheim?

Karl-Heinz Florenz: Nein, in den vergangenen Jahren hatte ich, wie die meisten anderen auch, keinen direkten Kontakt mehr zu ihm. Über Elmar Brok (dienstältestes Mitglied des Europäischen Parlamentes, Anmerkung der Redaktion)war ich über seinen Gesundheitszustand informiert, daher ahnte ich schon seit Längerem, dass es nicht gut um ihn stehen kann.

Das Kreuz auf dem Grab von Helmut Kohl, das sich neben dem Dom zu Speyer befindet. Am 16. Juni 2017 war der Bundeskanzler a.D. im Alter von 87 Jahren gestorben.
Das Kreuz auf dem Grab von Helmut Kohl, das sich neben dem Dom zu Speyer befindet. Am 16. Juni 2017 war der Bundeskanzler a.D. im Alter von 87 Jahren gestorben. © Boris Roessler

Frage: Auf Facebook haben Sie zum Tod von Helmut Kohl geschrieben: „Er war nicht immer einfach, aber ein Glücksfall für Deutschland und Europa.“ Was meinten Sie damit konkret?

Karl-Heinz Florenz: Na ja, wenn der Bundeskanzler rief, dann war es ungefähr so wie früher, wenn der König rief. Er hatte seine klaren Vorstellungen, auch was die Abstimmungen im Europäischen Parlament betrifft. Und ich als Parlamentarischer Geschäftsführer der Fraktion hatte die Aufgabe, für entsprechende Mehrheiten zu sorgen. Das ist mir zwar dank meiner guten südeuropäischen Kontakte oft gelungen, aber eben nicht immer. Und dann kam von ihm die Frage: „Mensch Florenz, warum haben Sie das nicht geschafft?“

Frage: Das klingt jetzt aber noch harmlos.

Karl-Heinz Florenz: Täuschen Sie sich mal nicht! Einmal im Monat waren wir im Kanzleramt und haben die Dinge besprochen. Als Parlamentarischer Geschäftsführer hat man ja nicht immer nur positive Dinge zu verkünden.Ich weiß noch, wie er mich mal einen langhaarigen Nickel nannte. Früher hatte ich noch wesentlich längere Haare als heute. (lacht) Aber wenn es hart zuging, dann hatte er zum Schluss beim Rausgehen immer noch einen verbrüderlichen Satz parat. Mich fragte er damals: „Hömma, hat dein Friseur eigentlich die Finger gebrochen?“

Frage: Duzten oder siezten Sie ihn?

Karl-Heinz Florenz: Also nee, einen Bundeskanzler kann man doch nicht duzen. Ich habe immer „Herr Bundeskanzler“ zu ihm gesagt, ohne es zu übertreiben. Ich finde aber, dass ein Bundeskanzler etwas Besonderes ist. Er wiederum hat mich und auch andere manchmal geduzt. (schmunzelt)

Frage: Was schätzten Sie an ihm?

Karl-Heinz Florenz: Er hatte einen unvorstellbar weiten Blick über den Tellerrand und einen unglaublich großen Wahrnehmungradius. Gepaart mit der Fähigkeit, um die Ecke denken zu können. Das kann Angela Merkel übrigens auch. Es gab Diskussionen, da war Helmut Kohl plötzlich weg, irgendwann kam er dann wieder – und hatte eine Lösung. Ich weiß nicht, wie ich diese Eigenschaft am besten nennen soll? Vielleicht: Witterung. Auf jeden Fall hat mich diese Fähigkeit immer unheimlich fasziniert.

Frage: EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker würdigte Helmut Kohl als „einen deutschen und europäischen Patrioten“ und nannte ihn „seinen treuen Freund“. Wie würden Sie ihn bezeichnen?

Karl-Heinz Florenz: Ich bin natürlich viel zu weit entfernt von Helmut Kohl gewesen, als dass er mich als seinen Freund hätte bezeichnen können. Ja, er war ein europäischer Patriot, ganz sicher. Für mich ist er ein sehr eindrucksvoller Politiker seiner Zeit gewesen. Er hat die Chance gerochen, die sich für die Deutsche Einheit bot – und diese hat er genutzt. Natürlich kann man im Nachhinein sagen, man hätte manches anders machen können, zum Beispiel hätten wir viel mehr privates Geld in die neuen Bundesländer lenken sollen. An seiner richtigen Grundsatzentscheidung ändert diese Erkenntnis aber nichts.

Frage: Bundeskanzlerin Merkel bedankte sich bei Helmut Kohl für die Chance, die er ihr gegeben hat. Bei Ihnen war es ähnlich, oder?

Karl-Heinz Florenz: Indirekt schon. Sehr viel habe ich Karl Lamers zu verdanken, der sich für mich als Europaabgeordneter eingesetzt hat. Sicher gab es auch Unterstützung und Wohlwollen aus dem Kanzleramt. Geholfen hat mir aber auch, dass ich ein unabhängiger Landwirt bin, bis heute. Ich bin ja keiner, der sich jemals aktiv um einen Posten im Landtag in Düsseldorf oder Bundestag, damals noch in Bonn, bemüht hat. Auch was das Europäische Parlament betrifft, bin ich eher ein Langläufer.

Archivbild des Altbundeskanzleres Helmut Kohl, aufgenommen im September 2012 im Deutschen Historischen Museum in Berlin. Er gilt als Kanzler der Einheit und war schon zu Lebzeiten zum Ehrenbürger Europas ernannt worden.
Archivbild des Altbundeskanzleres Helmut Kohl, aufgenommen im September 2012 im Deutschen Historischen Museum in Berlin. Er gilt als Kanzler der Einheit und war schon zu Lebzeiten zum Ehrenbürger Europas ernannt worden. © Wolfgang Kumm

Frage: Passendes Stichwort. Die Mühlen des EU-Parlamentes mahlen tatsächlich oft langsam.

Karl-Heinz Florenz: Helmut Kohl hat mir mal gesagt: „Wenn man ein großes Schiff auf dem Rhein steuert und merkt, es läuft nicht richtig, dann kann man nicht immer sofort umdrehen, dann muss man unter Umständen bis zur nächsten Mündung fahren, um dafür Platz zu haben.“ Das soll heißen: Manche Dinge brauchen Zeit, bis sie sich verändern – auch und gerade in der Politik.

Frage: Werden Sie das Grab von Helmut Kohl neben dem Dom in Speyer besuchen?

Karl-Heinz Florenz: Ja, ganz sicher. Ich weiß noch nicht genau, wann ich es schaffen werde, in dieser Woche bin ich nochmals in Straßburg, dann ist parlamentarische Sommerpause. Bis September werde ich bestimmt dort gewesen sein.