Hausspinnen sind kleine, friedliche Tiere und haben Angst vor Menschen. Ein Satz, mit dem man Kinder beruhigt. Und der schon immer gelogen war.
Smartphones helfen auch gegen wilde Tiere. Vorige Tage erreichte mich auf der Terrasse eine SMS unserer Tochter, die im Wohnzimmer saß: „SOS! Spinne!“ Wir plauderten mit Nachbarn, waren nur drei Meter entfernt. Warum hatte das Kind nicht einfach aus dem Fenster gerufen? Besorgt eilte ich rein.
Marsha saß mit angezogenen Beinen auf dem Sofa. „Die Spinne ist riesig!“, wimmerte sie und zeigte auf den Boden hinter mir. Ich schaffte aus anderthalb Metern Entfernung einen Schluss-Sprung in den Sessel. „Ich konnte nicht zum Fenster gehen, solange die frei rumläuft“, fand unsere 16-Jährige: „Es ist wirklich eine sehr große Spinne.“ Wir wohnen ja in einem Altbau, dessen Nischen bei vielbeinigen Untermietern begehrt sind. Man gewöhnt sich daran. Wie Leute, die neben Atomkraftwerken leben oder an der San Andreas-Spalte in Kalifornien. Etwa dreimal im Jahr kommt es zu entsetzlichen Begegnungen. Sie enden damit, dass ich schlotternd mit einem großen Bierglas ein haariges Monster raus trage.
Manchmal rede ich mir ein, dass dieser barmherzige Akt eines Tages belohnt wird. Falls der Rhein jemals Baerl überflutet, sehen Sie vielleicht in den Nachrichten, wie hunderte Spinnen meine Familie an Land schleppen. Soweit unsere WG mit dem Grauen. Die Kinder sind abgehärtet. Wenn sie von einer ungewöhnlich großen Spinne sprechen, wird es ernst. Zwischen den Fingern lünkerte ich auf den Fußboden wie auf die Leinwand im Horrorfilm. Da war keine Spinne! Klingt paradox, doch „keine Spinne!“ ist die Höchststrafe. Spinnen haben reale Abmessungen. „Keine Spinne!“ heißt, dass versteckt ein Wesen lauert, dessen Optik meiner Fantasie überlassen ist: irgendwas zwischen Tarantel und „Aragog“ aus Harry Potter. Marsha flüsterte, sie schreibe „wohl besser eine SMS an Papa“.
Nach einer Ewigkeit von zwei Minuten schlenderte mein Mann herein. Wir schilderten ihm das Ausmaß des Raubtiers, er zog einen Schuh aus: „Neiiiiin!“, kreischten wir stereo. Spinnen sind zwar mindestens lebensgefährlich, aber nur drinnen. Sobald sie durchs Gras laufen, schrumpfen sie zu „Och-schau-mal-wie-spannend-die-Natur-ist!“-Objekten. Mein Mann holte das große Bierglas, stülpte es über die Spinne, die hinter dem Fernseher saß, und brachte das Glas raus. Sie sei normal, sagte er im Vorbeigehen. Er hatte keine Lesebrille auf und mit dem Nachbarn gerade zwei schottische Malt Whiskys verkostet. Danach wirkt selbst das Ungeheuer von Loch Ness überschaubar. Ich saß noch auf dem Sessel - als ich den Schrei der Nachbarin hörte, die keinen Whisky getrunken hatte. Man verstand nur „unglaublich!“ und „auf keinen Fall in unsere Richtung!“. Seitdem traue ich mich nicht mehr raus. Den Text habe ich per SMS an die Redaktion geschickt.
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