Aus den Niederlanden. Was bedeutet der Wahlsieg von Rechtspopulist Wilders für die niederländische Politik? Wissenschaftler aus Deventer geht der Frage nach.
Eine Überraschung mit System: Schon bei den vergangenen Parlamentswahlen sind die Niederlande immer weiter nach rechts gerückt – und doch gilt der deutliche Wahlsieg des bekannten Rechtspopulisten Geert Wilders als historische Zäsur für das Nachbarland. Ein Überraschungssieg also, der unerwartet kam, aber angesichts der Entwicklungen der letzten Jahrzehnte nicht unerklärlich ist.
„Das Ergebnis der gestrigen Wahl war so unerwartet, weil der Unterschied zu den nachfolgenden Parteien so groß ausfällt“, sagt auch Max van Tongeren zu den jüngsten Ereignissen in der niederländischen Politik. Der Wissenschaftler arbeitet am Lehrstuhl für Wehrhafte Demokratie der Saxion-Universität für Angewandte Wissenschaften im niederländischen Deventer und hat selbst ein sozialdemokratisches Parteibuch.
Dass die Wahl auf den letzten Metern noch zur Richtungsentscheidung zwischen Rechts und Links werden würde, zeichnete sich erst spät ab. In den Umfragen kurz vor dem Wahltag holte Wilders immer weiter auf, während viele Wählerinnen und Wähler aus dem linken Spektrum strategisch auf den ehemaligen EU-Kommissions-Vize und Sozialdemokraten Frans Timmermans zu setzen schienen – und enttäuscht wurden.
Niederlande: Geert Wilders als neuer Premier?
Ob Geert Wilders eine Koalition unter seiner Führung zusammenbekommt, sei zwar noch offen, sagt van Tongeren. Doch habe Wilders als Wahlsieger im demokratischen Prozess traditionell das Vorrecht, mit der Regierungsbildung zu beginnen. Und durchaus gute Optionen, so van Tongeren. „Wilders hat seine Wünsche schon am Wahlabend angekündigt: Parteien sollten über den eigenen Schatten springen, eine Koalition aus der neu gegründeten NSC des Ex-Christdemoraten Pieter Omtzigt, der Bauer-Bürger-Bewegung BBB und der VVD wäre deswegen nicht undenkbar“, so van Tongeren. Diese käme auch auf eine sehr große Mehrheit von 88 Sitzen. „Mit der Ankündigung müssen sich die anderen Parteien nun auch positionieren.“
Das linke Bündnis aus PvdA/GroenLinks zumindest hatte eine Beteiligung ausgeschlossen und gilt auch nicht als logische Wahl vonseiten Wilders. Sollte der Rechtspopulist aus Venlo allerdings mit der Regierungsbildung scheitern, könnte dem linken Bündnis als Zweitplatzierte diese Aufgabe zufallen. „Wie es auch laufen wird“, sagt van Tongeren, „wir stehen vor langen Gesprächen. Wie schon bei den letzten Parlamentswahlen 2021.“
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Wilders Erfolg, so stimmt van Tongeren anderen Beobachterinnen und Beobachtern zu, hänge auch maßgeblich mit dem Verhalten der abgestraften Regierungspartei VVD zusammen. Die Rechtsliberalen hatten im Sommer ihre Koalition über der Migrationsfrage zerbrechen lassen – wohl in der Hoffnung auf bessere Ergebnisse. Im Wahlkampf dann zeigte sich Spitzenkandidatin Dilan Yeşilgöz offen für ein Bündnis mit Wilders. „Damit hat sie das Thema Migration zum Wahlthema und die PVV mit ihrem Asylstopp salonfähig gemacht.“ Und wurde schließlich von der populistischen Partei überholt.
Wie die sich in einer Regierung machen würde, bleibt abzuwarten. Besonders umstrittene Forderungen, so schätzt van Tongeren, könne Wilders gar nicht umsetzen, ohne internationale Konventionen und Gesetze zu brechen. „Der größte Unterschied wird sein, wie sich die Menschen in diesem Land fühlen. Musliminnen und Muslime fühlen sich schon länger als Bürger zweiter Klasse.“
Auch wenn Wilders Wahlsieg zurecht als große Überraschung bezeichnet wurde – in den Niederlanden gebe es schon lange einen festen Block im rechten Parteienspektrum, sagt Verwaltungswissenschaftler van Tongeren. „Er verschiebt sich bloß auf immer unterschiedliche Parteien. Nun hat diese Wählerschaft bei Wilders ihre Heimat gefunden. Bei den Provinzwahlen letzten März war es noch die BBB-Partei.“ Der linke Block unterdessen werde nicht größer. „Die Niederlande sehen sich seit jeher als sehr weltoffenes und tolerantes Land. Dieses Bild war schon immer übertrieben, ist seit gestern aber definitiv Geschichte.“