Venlo. . Von wegen Shopping und „zwei Brüder“: Venlo, bei Deutschen als Einkaufsparadies beliebt, wird grün. 50 Millionen Euro fließen in nachhaltige Projekte.
Nicht nur in den großen Zentren oder auf Klima-Gipfeln wird sich über die Zukunft des Planeten Gedanken gemacht. Die südniederländische Provinz Limburg, und hier vor allem die 100 000-Einwohner-Stadt Venlo, ist regelrecht zur Modellregion für nachhaltiges Wirtschaften avanciert. Das ökologische Gewerbegebiet „GreenPark“, jede Menge Aufladestationen für Elektroautos und Hotels, die eigenen Honig herstellen lassen, sind nur einige Beispiele.
Kennzeichnend für die „Nachhaltigkeitsstadt“ Venlo ist vor allem aber das neue Stadthaus, das die ökologisch-nachhaltigen Prinzipien von ‘Cradle to Cradle’ (C2C) – wörtlich übersetzt bedeutet es „von der Wiege zur Wiege“ — versucht in die Tat umzusetzen. Das neue Stadthaus ist somit der architektonische Blickfang in einer auf Nachhaltigkeit getrimmten Stadt und einer Bevölkerung, die sich in vielen Studien zum grünen, nachhaltigen Leben entschieden hat.
50 Millionen für grüne Vision
Schon von weitem fällt das riesige und von außen begrünte Glasgebäude auf. Seit einem guten Jahr arbeitet hier die Verwaltung. Betritt man das Innere des weitläufigen Gebäudes fühlt man sich bei weitem nicht in einer Behörde. Der neunstöckige Bau, der etwa 50 Millionen Euro gekostet haben soll, ist hochmodern, alles ist sauber, die Luft angenehm frisch. Eine entspannte Atmosphäre. Man glaubt nicht in einer Behörde zu sein! Eher in einem Museum. Das Besondere des für Nachhaltigkeitspreise nominierten Gebäudes ist längst nicht nur dessen Moderne. Die Luft im Inneren wird gekühlt durch das Wasser aus dem Untergrund (Geothermie) und die unter dem Gebäude liegende Tiefgarage. Die Büroräume und die verglasten Gebäudeteile wiederum generieren Wärme, da braucht es fast keine Heizung mehr. Das Regenwasser, das aufgefangen wird, wird gereinigt und zur Toilettenspülung genutzt, bevor es in die Kanalisation geleitet wird. Bei der Inneneinrichtung wurden Bodenbeläge, die aus alten PET-Flaschen hergestellt und recycelbar sind, ausgewählt.
Hinter alle dem steht, wie erwähnt, die vielversprechende Abkürzung C2C. Dahinter verbirgt sich in erster Linie die Idee einer abfallfreien Wirtschaft und eines geschlossenen Wirtschaftskreislaufs. Abfallprodukte sollen so recycelt werden, dass diese als Grundmaterialien für andere gleichwertige Produkte dienen. „Darauf haben wir beim Bau großen Wert gelegt“, heißt es vom Stadtsprecher. Das Material soll ohne Qualitätsverluste, so die Vision, immer wieder für dasselbe Produkt wiederverwendet werden. Aus einer Rückenlehne wird also wieder eine Rückenlehne werden.
Ziel ist es freilich, die Umwelt zu schützen, dabei Ressourcen zu sparen und, übergeordnet, eine Vision vom grünen Kapitalismus weiter voranzutreiben. „Die Mitarbeiter der Stadtverwaltung haben ihre Ideen und Wünsche äußern können und der Architekt hat sie dann versucht umzusetzen“, heißt es von der Venloer Stadtverwaltung. Die Innenkonstruktion des Gebäudes besteht weitestgehend aus Holz. Dass Mitarbeiter in Planungsvorhaben mit einbezogen werden, ist mittlerweile üblich.
Dennoch ist das in Venlo besonders zu spüren. Im alten Gebäude, in einer Kaserne, die man von der Terrasse des neunten Stocks aus sehen kann, soll der Krankenstand der Mitarbeiter ziemlich hoch gewesen sein. „Es war kalt und nass, viele wurden dadurch krank“, sagt die Stadt selbstkritisch. Heute spricht man nicht mehr von Krankenstand, sondern eher von Gesundheitsstand. „Die Mitarbeiter fühlen sich hier sehr wohl, der Krankheitsstand ist zurückgegangen“, sagt der Stadtsprecher. Das liegt nicht nur an der eigenen Kantine, die natürlich von Bioprodukten bis veganer Kost alles zu bieten hat. Es liegt auch an dem Organisations- und Arbeitsmodell, welches sich durch die Architektur ergibt und auch den neuen, nachhaltigen Kreislaufwirtschaftsprinzipien zugrunde liegt. Mitarbeiter arbeiten, trotz des Großraumbüros, das sich über neuen Etagen erstreckt, mehr oder weniger autonom und selbstbestimmt. Festzugeordnete Büros gibt es praktisch nicht, Mitarbeiter können selbst die Chefetagen in der sechsten Etage für Meetings reservieren. Alles ist flexibel und mobil. Tische und Stühle in den Arbeitsbereichen lassen sich im Handumdrehen zu Einzel- oder Gruppenarbeitstischen umbauen. Die Höhen der Stühle und Schreibtische lassen sich individuell anpassen. Es wird zudem versucht, auf Papier zu verzichten. Alles soll digital und effizient ablaufen. Was sich viele Mitarbeiter in Deutschland wünschen, ist hier Realität: Homeoffice. Jeder Mitarbeiter kommt auch von unterwegs ins System herein. „Es gibt Termine, wo die Mitarbeiter anwesend sein müssen. Aber sonst können sie auch von Zuhause oder aus der Ferne arbeiten“, so die Stadt. Die „Kundeninsel“ im Erdgeschoss ist aber natürlich immer besetzt, um die Anliegen der Bürger zu beantworten.
Mehr als nur ein Strohfeuer
Dass das alles nicht nur ein Strohfeuer ist, um eine ländliche Region im Standortwettbewerb besser zu platzieren, macht die niederländische Regierung schon vor sieben Jahren klar. Damals wurde beschlossen, dass die gesamte öffentlichen Behörden für knapp 40 Milliarden Euro sukzessive nachhaltig werden sollen.
Das neue Stadthaus in Venlo versucht auch durch längere Öffnungszeiten (8 bis 20 Uhr) die in vielen Städten abhanden gekommene Bürgernähe wieder mehr in den Fokus zu rücken. Den Bürgern scheint es jedenfalls zu gefallen. „Viele kommen auch hierher, um sich die Architektur anzuschauen“, sagt der Stadtsprecher. Und, um vielleicht auch einmal inne zu halten, denn das „Nieuwe Stadskantoor“ ist durch die Weitläufigkeit und das gekonnt verschachtelte hölzerne Treppenhaus ein Ort der Ruhe. Nachahmer gefunden? Einige Städte in NRW wollen das Venloer Modell anwenden.