Als Anne Gesthuysen mal bei RTL moderierte, fand Tante Katty das eher peinlich. Nun hat die Journalistin, die in Veen aufgewachsen ist, ein Buch geschrieben - über ihre drei Großtanten

Capuccino, Latte Macciato, Milchkaffee?

„Och, was ist nochmal der Unterschied?“

Wenn man auf dem Land groß geworden ist, mit Muckefuck und Rübenkraut, dann bleiben einige Dinge einfach anders, unwichtig.

Anne Gesthuysen (43) ist in Alpen aufgewachsen, in Veen. Abi am Stiftsgymnasium Xanten. Journalistische Karriere beim WDR, Radio, Fernsehen, moderiert seit Jahren das ARD-Morgenmagazin. Und, ja, den Kollegen Frank Plasberg hat sie geheiratet. Vor allem aber hat sie ein Buch geschrieben, das auf Rang 4 der Spiegel-Bestseller-Liste geschnellt ist. Eine niederrheinische Familiengeschichte. Ein Roman, nicht dokumentarisch aber wahrhaftig - über das Leben ihrer drei Großtanten. Wir plaudern mit Anne Gesthuysen über den Niederrhein, über Anne Gesthuysen und über drei ganz starke Typen: Katty, Paula und Gertrud. Bei Milchkaffee.

Tach Frau Gesthuysen. Glückwunsch zu Ihrem Bucherfolg.

Danke, ja, das ist fantastisch. Damit habe ich nicht gerechnet.

Im November ist das Buch auf den Markt gekommen, jetzt sind schon fast 100.000 Exemplare verkauft.

Wahnsinn. Ich kapiere das alles noch gar nicht. Aber es ist toll.

Sie erzählen die Lebensgeschichten von Gertrud, Paula und Katty, alle so um 1900 geboren. Witz und Tragik, Lebensfreude, unglückliche Lieben, Humor und Schicksalschläge.

Meine Großtanten waren faszinierende Persönlichkeiten. Und haben dramatische Sachen erlebt. Die eine verlor ihren Mann an Männer, die andere verlor ihren Verlobten im 1. Weltkrieg, die zweite große Liebe konnte sie nicht heiraten, weil er Jude war. Katty, die Jüngste, sorgte gleich nach dem Krieg für eine Art Kachelmann-Prozess am Niederrhein, also ein Leumundsprozess der schillerndsten Art.

Sie soll ein Krösken mit dem CDU-Politiker Heinrich Hegmann gehabt haben.

Ja, das pfiffen damals die Spatzen von den Dächern. Dennoch hat das Gericht den beiden geglaubt, dass ihr Verhältnis rein platonisch war. Auf jeden Fall lebte Katty mit Heinrich Hegmann und dessen Frau auf dem Tellemannshof in Wardt. In der hochbrisanten Scheidungszeit ließ sich sogar Heinrich Lübke mit dem Hubschrauber nach Wardt einfliegen, um Heinrich auf dem Hof zu besuchen. Das war PR in Bestform, obwohl es PR noch gar nicht gab.

Sie sind in Veen aufgewachsen.

Und ich bin immer noch total gern da. Mein Bruder lebt ja auch in Veen, hat den alten Bauernhof unserer Großeltern wieder aktiviert - als Reiterhof mit Pensionspferden.

Mögen Sie das Landleben?

Ja. Aber ich bin Städterin geworden und lebe mit meiner Familie gerne und bewusst in der Großstadt, in Köln. Aber wir sind immer wieder gern am Niederrhein. Ich habe eine tolle Kindheit hier gehabt. Und wundervolle Erinnerungen. Wir sind auf Bäume geklettert und haben in Scheunen die verrücktesten Abenteuer erlebt. Mein Großvater war noch Landwirt, mein Vater hat aber umgesattelt. Die Scheunen wurden vermietet. In einer hatte ein niederländischer Schrotthändler sein Depot - wir haben da gespielt, haben geheimnisvolle alte Schlösser gefunden und uns Geschichten dazu einfallen lassen. In einer weiteren Scheune stand ein alter LKW. Und wir wussten: Der Schlüssel steckte immer hinter der Sonnenblende. Naja, und dann sind wir immer mal eben so 20 Meter durch die Scheune gepest. Wenn ich mir das heute als Mutter vorstelle...

Mädchen auf dem Land reiten alle.

(lacht). Ja, ich auch, natürlich. Mit zehn oder zwölf hatten mein Bruder und ich das erste Pony - Reitunterricht hatten wir natürlich bei Arno Albers in Veen. Ich bin mit meinen Freundinnen stundenlang mit den Pferden im Latzenbusch unterwegs gewesen. Rucksack dabei mit ‘ner Tüte Chips, Apfelsaft und Möhren für die Ponys. Und später habe ich natürlich auch Turniere geritten - in Keppeln, Sonsbeck, Xanten, Mörmter...

Und dann Journalistin...

Ja, das war mein Wunschberuf, solange ich denken kann. Ich habe übrigens mal mit 15 ein Praktikum bei der NRZ gemacht. In Wesel.

Und haben sich prompt für den redenden Journalismus entschieden.

(lacht) Aber nicht deswegen. Ich habe, sagt man, immer schon viel und gerne geredet.

Was war ihre erste Reportage?

Also wenn man es genau nimmt... Ich habe ja einen älteren Bruder, der war natürlich immer besser als ich: der konnte schneller laufen, höher klettern und war im Tischtennis unbesiegbar - für mich. Einmal hat er mit meinem Vater Tischtennis gespielt - und ich habe das Match, dass er natürlich verloren hat, genüsslich von der Tischkante aus moderiert...

Irgendwann der Abschied von Veen.

Ich habe in Dortmund studiert, das war für mich natürlich schon Metropole. Ich habe erst mal den Unterschied zwischen Straßenbahn und S-Bahn lernen müssen.

Sprechen Sie Platt?

Nee. Aber ich weiß den Unterschied zwischen Hahn und Kapaun.

Der wäre?

...schnipp...

In ihrem Buch findet sich ganz viel Niederrhein.

Die Geschichte von Katty, Paula und Gertrud kann nur hier spielen, die drei haben ja hier gelebt, und der Niederrhein und seine streng Katholisch-konservative Umgebung stellen einen entscheidenden Anteil an dem dar, was die drei erleben. Komischerweise kommt das Buch auch woanders an. In Leverkusen zum Beispiel, habe ich gelesen, da haben die Leute in meinen Großtanten ihre Tanten wiederentdeckt. Vielleicht ist das die Erklärung für den Erfolg: Jeder hat Tanten und alle haben viel zu erzählen, weil sie aus einer Generation stammen, die unglaublich viel erlebt und auch durchgemacht hat.

Im Roman treffen sich Dichtung und Wahrheit.

Meine drei Tanten hat es gegeben, den Aktenordner, der die Scheidungsunterlagen von Tante Katty enthält, der verbrannt werden sollte, den habe ich nun zu Hause. Es hat ‘ne Weile gedauert, bis ich mich von dem Gedanken lösen konnte, journalistisch zu schreiben - also alles bis ins Detail zu recherchieren. Irgendwann ist der Knoten geplatzt. Ich habe mich eine Woche in einem Hotel vergraben und geschrieben wie eine Wahnsinnige. Mein Mann und unser Sohn haben derweil viel Spaß zusammen gehabt.

Haben Sie sich gefragt, was wohl ihre Tanten dazu gesagt hätten?

Immer und immer wieder. Das ging so weit, dass in Talk-Shows, in denen das Buch vorgestellt wurde und natürlich auch die Charaktere, ich das Gefühl hatte, sie verteidigen zu müssen. Bis ich kapierte, das sind ja Romanfiguren - wenn auch mit ganz viel Dokumentarischem drin.

Sie sind nun auf Lese-Tour.

Und es macht unglaublich viel Spaß. In Sonsbeck oder auch in Xanten, da waren 350 Leute. Ich habe gefragt, wer denn meine Tanten wohl noch kannte? Und Sie glauben es nicht, ein Drittel der Hände ging in die Höhe.

Wie viel Katty, Paula und Gertrud steckt in Anne Gesthuysen?

Das weiß ich nicht. Aber mein Vater hat mal gesagt, dass ich ein bisschen was von Tante Katty habe.

Was hat Tante Katty gesagt, als Nichte Anne bekannt wurde?

Sie hat das immer sehr kritisch begleitet. Als ich bei RTL moderierte, war Tante Katty not amused. ‘Anne, der Sender ist peinlich’, war ihr Kommentar. Ich bin mir sicher, die drei Damen sitzen im Himmel auf einer Wolke, schnasseln sich gelegentlich einen und haben alles gut im Blick.

Nach dem Erfolg des Romans - gibt`s eine Fortsetzung?

Es ist eigentlich alles erzählt. Andererseits erzählen mir die Menschen auf Lesungen noch so viele lustige Anekdoten, die sie mit Katty erlebt haben, da juckt’s einen schon mal in den Fingern.