Duisburg. . Eine Sammlung von kurzen Erzählungen, die NRZ-Leser uns zugeschickt haben. Sie handeln von der Arbeit im Bergbau, aber auch vom Leben der Familien im Schatten der Fördertürme.
Als wir noch bei Familie Hagen zwischen den „spanischen Wänden“ (aus Pappe) wohnten, gingen Papa und Mama abends öfter mal weg. Sie sagten immer, wir müssen noch mal die und die oder den und den besuchen. Damit wir keine Angst hatten, ließen sie eine Lampe brennen und hängten ein Handtuch darüber, damit das Licht nicht so grell war. Einmal sah ich, dass sie leere Säcke mitnahmen. Das fand ich komisch. Einmal wurde ich wach, als sie zurückkamen, und sah, dass sie beide an den Händen und im Gesicht schwarz waren. Mama hat uns morgens dann die Wahrheit gesagt, wir gehen einmal die Woche Kohlen besorgen, einer klettert auf den Kohlenzug kurz vor der Rheinwerft und wirft die dicken Kohlenbrocken vom Waggon herunter. Die anderen machen dann ihre Säcke voll und auch zwei Säcke für den, der die Kohlen herunterwirft, es sind immer mehrere da. Mama sagt, das ist keine Sünde, die paar Kohlen tun der Werft nicht weh, da drückt der liebe Gott schon ein Auge zu. (Heinz van de Linde)
Goldfieber im Kohlenkeller
Ich erlebte meine Jugend Mitte der 50-er in einer Bergbausiedlung, geheizt wurde mit Kohle. Und immer, wenn wieder eine Lieferung anstand, musste das Heizgut von der Straße mit einer Schubkarre in den Schacht des Kohlekellers gefahren und dort eingeschüttet werden. Mit zunehmendem Alter wurde auch ich – nicht immer zu meiner Freude – zu diesen Arbeiten eingesetzt. Das Faszinierende bei dem Job war, dass öfter, insbesondere bei größeren Kohlebrocken, an der Bruchstelle goldene Streifen zu sehen waren. Das regte nun schon die Fantasie eines Jungen an, der nun davon ausging, irgendwann mal einen reinen Goldklumpen zu finden... Heute weiß ich, dass die Bergleute dies als sogenanntes Katzengold bezeichnen und es völlig wertlos ist. Aber vom Goldschatz geträumt habe sicherlich nicht nur ich. (Dieter Metz)
Der Kübeldirektor
Ein etwas anrüchiges Problem für die Bergleute war die Tatsache, dass es schon mal vorkam, dass sie dringend zur Toilette mussten. Zwar versuchten die meisten, diesen Gang schon zu Hause oder in der Waschkaue zu erledigen, aber das gelang nicht immer. Um Abhilfe zu schaffen, wurden unter Tage spezielle Kübel aufgestellt. Diese runden, verzinkten Eisenkübel waren mit einem Deckel als Geruchsverschluss und einer Sitzkante aus Holz versehen. Für Transport und Reinigung war ein Bergmann verantwortlich, der nicht mehr gedingetauglich war. Er kennzeichnete die Kohlenwagen mit den vollen Kübeln mit Kreide und schrieb groß auf den Wagen „Kübel“, damit der Kreiselwipper festgesetzt wurde und der Inhalt sich nicht auf das Leseband ergoss. Die Arbeit machte es erforderlich, dass der beauftragte Kumpel nicht an die normalen Seilfahrtszeiten gebunden war - also genau wie der Direktor. Deshalb wurde er auch „Kübeldirektor“ genannt, was aber nicht herabsetzend gemeint war. (Hermann Sch.)
Vier Generationen
Vier Generationen meiner Familie haben seit dem 1.Juli 1912 auf Friedrich Heinrich, dem jetzigen Bergwerk West, die Kohle mit zu Tage gefördert. Mein Großvater war vom 1. Tag als Kohlenhauer dabei, später kam mein Vater als gelernter Bäcker zum Bergwerk. Weil er eine junge Familie mit zwei Kindern zu ernähren hatte, ging man damals eben zum Pütt. Am 1.April 1975 hat es mich aus gleichem Grund ebenfalls nach Fritzen Henn, wie die Zeche bei den Lintfortern liebevoll genannt worden ist, verschlagen. Über 20 Jahre war ich danach damit beschäftigt, Dieselkatzen unter Tage zu bändigen. Mit 53 Jahren bin ich dann aus „Altersgründen“ von der RAG in den Ruhestand versetzt worden. Mein Sohn hat auf diesem Bergwerk die Elektrotechnik erlernt. Meine Tochter ist mit der Kohle ebenfalls verbunden. Sie stellt aus kleinen Stücken Steinkohle in Hobbyarbeit modische Ringe aus dem schwarzen „Gold“ von „Friedrich Heinrich“ her. Sie macht also jetzt ein Stück Zukunft aus der Kohle-Vergangenheit unserer Familie. (Lutz Malonek)
Der Schleifer
Der Aufsichtshauer Heinrich D., auch genannt „ Der Schleifer“, malochte auf der Vorbereitungsschicht eines Kohlereviers der Zeche Franz Haniel bei ständiger Nachtschicht. Er hatte bevor er zum Bergbau kam als Ausbilder beim Militär gedient und die Anweisungen an seine Hauer waren trotz der enormen Geräuschkulisse nicht zu überhören, manchmal wie auf einem Kasernenhof. Dass er nicht nur von Freunden umgeben war, brauch eigentlich nicht erwähnt zu werden, es warteten viele auf eine Gelegenheit ihm eins auszuwischen. Die Chance hierzu kam bald. Um sich von seiner lebensverkürzenden Arbeit erholen zu können, hatte er sich eine Schrebergartenparzelle gepachtet und benötigte, um seine Anwesenheit hier zu dokumentieren, eine Fahnenstange. Die Fahnenstange wurde in der Werkstatt unter Tage aus drei ausziehbaren Rohren gefertigt und mit den erforderlichen Drahtseilrollen versehen, damit er sein Banner hissen konnte. Heinrich sorgte persönlich für den Transport des Fahnenmastes von Untertage und lagerte ihn auf der Rasenhängebank. Als er am Nachmittag mit einem gemieteten LKW den Mast hier abtransportieren wollte, war dieser verschwunden, einfach nicht mehr da. Die Aktion musste abgebrochen, der Lkw zurückgegeben werden. Am Abend betrat er grußlos die Kaue um sich für die Nachtschicht umzuziehen, alle schauten ihn grinsend an, keiner sagte ein Wort, dann ging man gemeinsam zum Schacht. Und siehe da, der Fahnenmast lag wieder am gleichen Platz, wo Heinrich Ihn am Morgen deponiert hatte. Letztendlich hat der Fahnenmast die Parzelle im Schrebergarten erreicht und Heinrich D. von dieser Lektion trotzdem nichts gelernt. (Fritz Klenk)
„Zum schwarzen Diamant“ oder „Tante Bella“
Als ich noch zur Schule ging (1956 - 63) erzählte meine Großmutter, wie schwierig es oftmals für manche Ehefrauen der Kumpel war, daß ihre Ehemänner den hart verdienten Lohn auch zu Hause ablieferten. Zu dieser Zeit gab es noch den „Abschlag“ und den „Restlohn“. Der Lohn wurde den Bergleuten mit einer Lohntüte bar ausgezahlt, und zwar in der „Lohnhalle“. Dort standen die Kumpel an den Schaltern, um von Ihren Steigern die Tüte entgegenzunehmen. Aber nicht nur die Männer standen an den Zahltagen dort, sondern sehr oft auch ihre Ehefrauen, um den Lohn und damit ihr Haushaltsgeld in Empfang zu nehmen und zu sichern. Denn es gab in Kamp-Lintfort einige Gaststätten, z.B. „zum schwarzen Diamant“ oder „Verbücheln“ oder „Tante Bella“, wo dann ein großer Teil direkt in Bier und Schnaps umgesetzt wurde. Aber der größte Teil der Bergmänner waren treusorgende Familienväter, die den kompletten Lohn auf den Küchentisch legten und von ihren Frauen wussten, dass diese es gut verwalteten. Ich möchte an dieser Stelle meine größte Hochachtung aussprechen für alle Kumpel-Frauen, die mit viel Arbeitskraft, Einfallsreichtum und Nachbarschaftshilfe dafür gesorgt haben, dass ihre Familien und insbesondere ihre Männer gut und reichlich essen konnten, denn damals wurde noch mit großem Kräfteverzehr unter Tage gearbeitet (wenn es Fleisch gab, war Vater immer der Bevorzugte, was auch verständlich war). (Karin Kamp)
Der Anblick der schwarzen Häuser
Wir, mein Mann Siegfried und ich, beide Jahrgang 1924, kamen nach Krieg und Flucht nach Lübeck. Es folgte eine Arbeitslosenzeit von 3 Jahren. Wir bekamen mit 2 kleinen Kindern DM 20 pro Woche „Stempelgeld“. Dann las mein Mann eine Ausschreibung der Zeche Lohberg, die auch Handwerker suchte. Nur, die Wohnungen waren knapp, aber ein Kumpel, der schon in Hünxe-Bruckhausen gesiedelt hatte, nahm uns als Einlieger auf. Der Umzug mit unseren wenigen Möbeln fand in einem offenen Anhänger statt. Auf einem Sofa nahmen wir alle Platz. So sparten wir uns das Bahngeld. Als wir über Lohberg unser Ziel erreichten, fiel ich bald in Ohnmacht wegen des Anblicks der schwarzen Häuser und Wege. Es sollte noch schlimmer kommen: Als ich erstmalig meine Betten zum Lüften auslegte und sie reinholte, waren sie übersät mit schwarzen Rußflocken. Ich war entsetzt. Aber das Leben spielte sich ein. Ein Jahr später hatten wir schon unser Siedlungshäuschen stehen. Da mein Mann Abitur hatte, wurde er zum Studium auf der Bergschule in Bochum angenommen und hat es 1958 im April erfolgreich abgeschlossen.Leider war mein Mann zu dieser Zeit schon schwer erkrankt und verstarb im Juli 1958.Es war eine feierliche Beisetzung, da alle Kumpel in der Bergmannsuniform erschienen. Da früher der Sarg mit Stricken heruntergelassen wurde, sagte meine Tochter, zu jener Zeit 8 Jahre alt: „Das ist Papas letzte Seilfahrt“. Wir, meine Kinder, Enkel und Urenkel sind hier seßhaft geworden. Und ich bin dehr traurig, dass es den Bergbau bald nicht mehr gibt. Es war schwere Arbeit, aber wir hatten Lohn und Brot. (Lieselotte Hoppe)
Walter hieß der arme Gaul
Noch in der Nase steckt der beißende Geruch, nachdem der Schießmeister die Strecke erweitert hatte. Die schwere Lampe wirft ihr fahles Licht an den glitzernden Stoß. Das Stützholz ächzt unter den Gesteinsmassen und droht zu bersten. Der aufkommende beißende Staub nimmt mir den Atem. Immer heftiger bebt der Berg, wo das Holz wegreißt, bricht und splittert, schlagen Gesteinsbrocken herab, wirbelt Russ in der dunklen Enge. Anfang der 50er Jahre war ich Berglehrling auf der Zeche Monopol in Kamen. In dieser Zeit auch Pferdejunge auf der 3. Sohle. Walter hieß der arme Gaul, der in der Zwischenzeit völlig erblindet war. Früh um 6 Uhr fuhr ich mit dem Futtersack an. Danach mußte die Strecke gesenkt werden. 8 ( volle) Wagen hatte am Ende der Schicht der Arme zum Schacht zu ziehen. Nach erfolgter 3jähriger Ausbildung schloß ich die Lehre erfolgreich mit dem Knappenbrief ab. Nach einem halben Jahr als Schlepper verließ ich den Bergbau. (Wolfgang Schmidt)
Porzellan-Motive und Schnupftabakflaschen
Ich, Jahrgang 1969, seit 1997 ohne berufliche Bindung an den Bergbau, möchte Ihnen kurz meine Geschichte erzählen: Am Anfang ist es eine Geschichte wie hunderttausende im Revier: Mein Vater war „auffe Zeche“ also habe ich auch dort 1986 meine Lehre -auf dem damaligen Bergwerk Lohberg- begonnen. Als sich 1997 abzeichnete, dass die Zeit des Bergbaus zu Ende geht, habe ich mich schweren Herzens entschlossen, der Zeche ade zu sagen und mein berufliches Glück außerhalb der Kohle zu suchen. So traf es mich auch hart, als 2003 die RAG die Stilllegung „meiner Zeche“ Lohberg beschloß. Für mich war das damals Anlass, zumindest die Erinnerung an diese Zeche wach zu halten. Ich sammelte viel Material, das ich dann aufbereitet auf der Internetseite www.bergwerk-lohberg.de veröffentlichte. Für mich war es ein Trost, daß die beiden Lohberger Fördergerüste unter Denkmalscutz stehen und daher auch die Nachwelt immer an die Zeche Lohberg erinnert werden würde. Als 2008 die Abrisspläne der RAG bekannt wurden und sich der Förderverein für den Erhalt der Türme gründete wurde ich sofort Mitglied, inzwischen als Vorsitzender. Durch einen Zufall wurde ein Hersteller von Porzellanartikeln auf mich aufmerksam. Er hat ein umfangreiches Angebot an Porzellan-Motiven von Zechen aus dem Ruhrgebiet im Angebot, die früher wohl fast in jeder Bergmannswohnung an der Wand hingen. Die Teller kamen aus der Mode - genau wie der Bergbau. Ich war begeistert von den nostalgischen Motiven, die es auch auf Tassen und Bierseidel gibt - und natürlich auf Schnupftabakflaschen.So kam mir die Idee, diese Produkte in einem kleinen Internetshop anzubieten. Inzwischen gibt es auf www.zechen-shop.de nicht nur diesePorzellanprodukte sondern auch Spieluhren und Modellbausätze von Ruhrgebiets-Zechen. Auch Grubenkleidung ist im Angebot, zu Karneval ist das Grubenhemd mittlerweile ein Renner. Geld bleibt zwar am Ende nicht viel über (der Gewinn geht in den Ausbau des Angebots) aber ich freue mich, wenn ich dazu beitrage, zumindest die Bergbau-Geschichte wach zu halten. (Norbert Bruckermann)