Duisburg/Xanten. . Ellen de Witte hat in dem Buch „Familienbande“ die Biografien ihrer Eltern und Großeltern aus Duisburg aufgeschrieben.
Die Nähmaschine. Sie war die erste auf der ganzen Straße. Lisa hatte noch rote Ohren vor Erregung, als sie es abends ihrem Mann Karl erzählte. „Was hast Du?“- „Eine Nähmaschine gekauft. Ein Vertreter war da. Stell Dir vor, ich muss nicht mehr mit der Hand jeden Tag bis Mitternacht Flickarbeiten machen. Die Arbeitsanzüge, die Hosenböden der Jungen, die durchgescheuerten Ärmel an den Kleidern und Hemden...“ „Wenn wir das bezahlen können?,“ fragte Karl. „Monatlich fünf Mark, das schaffen wir“, sagte die Mutter von elf Kindern.
Nähmaschine als Errungenschaft
Karl wäre nie auf die Idee gekommen, zu fragen, ob Lisa mit der neuen Maschine umgehen könne. Eine Nähmaschine im Haushalt war 1912 keine Selbstverständlichkeit. Stolz hat Lisa König das später immer wieder ihren Kindern und Enkeln erzählt. Die Autorin Ellen de Witte hatte ihrer Oma gerne zugehört und die Geschichten nie vergessen. Jetzt, im Alter von 80 Jahren, hat sie ihr erstes Buch veröffentlicht: „Familienbande.“
„In der Familie wurde immer viel erzählt. Vieles habe ich auch noch selbst erlebt“, sagt die 1932 in Duisburg geborene Niederrheinerin. Vor 20 Jahren begann sie ihre Familiengeschichte aufzuschreiben. „Das hatte ich meiner Mutter versprochen.“ Doch dann schob sie das Manuskript wieder beiseite, bis sie sich vor gut einem Jahr sagte: „Jetzt ist die Zeit.“
In 19 Episoden erzählt sie „schlaglichtartig Zeitgeschehen“ - vom Kaiserreich bis zur Bundesrepublik. Es ist keine fortlaufende Geschichte. Der pensionierten Lehrerin, die seit 1968 in Xanten lebt, war von Anfang an klar: Es sollte keine Autobiografie werden. „Davon gibt es zu viele auf dem Büchermarkt“, sagt Ellen de Witte. „Alles was ich erzählt habe, hätte so in fast jeder Familie passieren können. Viele Menschen werden sich in der einen oder anderen Geschichte wiederfinden.“ Zwei Weltkriege, Hungersnöte, die Familienmoral im Wandel der Zeit, die Weimarer Republik, politische Konflikte um „Braun oder Rot“ zu Beginn der 30er Jahre - Themen, die Ellen de Witte in jeweils eine Episode gefasst hat. Politisch klingen will sie dabei nicht. Tut sie auch nicht.
Hommage an eine zupackende Frau
Das bescheinigt ihr Fritz Pleitgen in seinem Vorwort. „Familienbande“, so schreibt er, handelt nicht von Großbürgern wie die „Buddenbrooks“, sondern von einfachen Menschen, was sogleich mein Interesse weckte. Vieles, was ich las, deckte sich mit dem Leben meiner Eltern. Sie kamen ebenfalls aus einfachen Verhältnissen, aus Duisburg-Meiderich“, schreibt der ehemalige WDR-Intendant.
Und weiter mit Blick auf die Geschichte der Oma Lisa: „Die Hommage auf diese Frau erscheint mir zugleich wie eine tiefe Verbeugung vor den Millionen einfacher Leute, die trotz aller Widrigkeiten ihr Leben meistern.“
Das Vorwort von Pleitgen „ist für mich wie ein Ritterschlag“, freut sich Ellen de Witte. Sie hatte ihm das Manuskript einfach mal zugesandt. „Mir fielen nur zwei bekannte Duisburger ein, die ich gerne als Vorwortschreiber gehabt hätte: Gerhard Mercator und Fritz Pleitgen.“ Damit gerechnet, dass Pleitgen ihr antworten würde, hatte sie nicht.
Genauso überrascht war Ellen de Witte, dass sie mit ihrer ersten Anfrage bei einem Verlag Glück hatte: „Ich dachte, versuche es erst mal in der Nähe, man hört ja immer, wie schwer es ist, einen Verleger zu finden, wenn man nicht bekannt ist.“
Sie rief beim Anno-Verlag in Rheinberg an. Der nahm sie unter Vertrag. „Kleinere Verlage sind wichtig für die Kultur- und Literaturwelt“, ist Ellen de Witte überzeugt.
Viele kleine Episoden fügen sich in dem 192 Seiten fassenden Buch zu einer Familiengeschichte zusammen. Während des Zweiten Weltkriegs harrten Oma Lisa und Karl in Duisburg-Laar aus. Zum ersten Mal in ihrer Ehe konnte Lisa ihren Mann nicht beeinflussen. Er wollte nicht raus aus der Stadt. Sie blieben.
Und so eilten die beiden Alten bei jedem Fliegeralarm zum 200 Meter entfernten Bunker, ein kleines Köfferchen in der Hand. „In Laar fallen keine Bomben“, sagte Karl. Als der Schwiegersohn sie fand, hockten sie seit Stunden in den Trümmern ihres Hauses. Stumm, versteinert, das Köfferchen krampfhaft festhaltend...
Zeit des Wanderns war vorbei
Ellen de Witte selbst nimmt sich in dem Buch zurück und lässt die Familiengeschichten im Jahr 1954 enden. Damals kam die Familie nach den Kriegswirren wieder in Duisburg zusammen. „Es schien, dass die Zeit des Wanderns vorbei war.“
Bewusst hat sie auch auf private Fotos verzichtet. Mit der Xantener Illustratorin Friederike Hantel hat sie Schwarz-weiß-Zeichnungen erarbeitet. Oma Lisa, die an der ersten Nähmaschine in der Straße die Kleidung bis in die Nacht hinein geflickt hat, bekommt so zwar ein Gesicht. Aber eines, was dem Leser noch Spielraum lässt, an seine eigene Oma zu denken.
So hält Ellen de Witte ihren Anspruch: „Familienbande“ ist mehr als die Geschichte einer Duisburger Familie.
Zur Person: Lehrerin und Puppenspielerin
Ellen de Witte wurde 1932 in Duisburg geboren. Nach dem Krieg machte sie ihren Schulabschluss an einem Gymnasium in Ruhrort. 13 Jahre arbeitete sie bei der Finanzverwaltung, bevor sie im Alter von 36 Jahren ein Lehramtsstudium begann. Sie arbeitete bis zu ihrer Pensionierung als Sonderschullehrerin, ist verheiratet und hat zwei Kinder. Seit 1968 lebt sie in Xanten, widmet sich der Puppenspielerei, schreibt Puppenstücke und betreibt an der Klever Straße ein kleines Geschäft, in dem sie Kleider und Kostüme verschiedener Epochen aus Theater, Film und Fernsehen sowie antike Schmuckstücke und Bücher verkauft - alles Originale, keine Neuware.
Infos: www.antik-und-retro.de
Ellen de Witte, „Familienbande - Liebe, Lachen, Tränen“. Episoden einer Familiengeschichte vom Kaiserreich bis zur Bundesrepublik Deutschland, 192 Seiten, erschinen im anno-Verlag, 14,95 Euro.