Am Niederrhein. .

Er war der Feuerwehrmann der Bundesliga. Er war ein eisenharter Verteidiger bei Hamborn 07. Und er war der erfolgreichste Trainer des MSV Duisburg. Ein Besuch bei Rolf Schafstall.

Zu Hause bei Rolf Schafstall. Ein Haus auf dem platten Land zwischen Kempen und Krefeld. Wir sitzen im Wohnzimmer. Ein großer Esstisch, dahinter eine Schrankwand voll mit Büchern: Alexander Solschenizyn „Der erste Kreis der Hölle“, Ulrich Wickert „Der Ehrliche ist der Dumme“, Johannes Mario Simmel „Der Stoff aus dem die Träume sind“, zum Beispiel. Daneben hat der größte Erfolg seiner Karriere ein wenig Patina angesetzt: die vergoldete Trophäe „Trainer des Jahres“, 1984 verliehen vom Fachblatt Kicker. In der Küche surrt die vollautomatische Kaffeemaschine. Rolf Schafstall serviert Kaffee, seinen trinkt er schwarz. Es ist einer der wenigen Momente an diesem Nachmittag, in dem er seinem Klischee eines harten Hundes gerecht wird.

Seit wann stehen Sie eigentlich wieder im Telefonbuch?

Rolf Schafstall (schaut überrascht) Ich stand immer im Telefonbuch. Ich habe nie etwas dagegen gehabt, wenn ich angerufen werde. Und ganz ehrlich: Ich habe auch nie darüber nachgedacht, nicht darin zu stehen.

Keine Angst vor bösen Anrufen gehabt?

Ach nein. Man konnte doch auch nie böse mit mir sei. (lacht)

Schon mal im Internet-Lexikon Wikipedia den Eintrag über sich gelesen?

Nein.

Dann darf ich mal zitieren. Ganz am Anfang steht: Rudolf Schafstall, also ihr richtiger Name. Wer sagt denn noch Rudolf zu Ihnen?

(grinst) Das sagen Leute immer dann, wenn Sie mich ärgern wollen. Zum Beispiel, wenn ich zu Gast im Sportstudio bin.

Nochmals das Internet: Beim Videoportal youtube.com ist ein Filmchen zu sehen, wie Sie als Trainer bei Bayer Uerdingen einem meckernden Zuschauer empfehlen, …

… er soll aufpassen, dass sein Gebiss nicht heraus fällt. An die Geschichte erinnere ich mich noch ganz genau. Der Mann saß direkt hinter mir auf der Tribüne, die Grotenburg ist ja ein kleines Stadion. Und dieser Mann schrie das ganze Spiel über herum. Irgendwann habe ich ihm mal etwas dazu gesagt. Na ja, das war halt spontan gewesen, so etwas gehört eben dazu. (überlegt kurz) Vielleicht war ich manchmal zu spontan.

Wie hieß die Straße, auf der Sie als Kind immer kickten?

Wir wohnten in Hamborn-Neumühl, auf der Lehrerstraße. Aber Fußball gespielt haben wir auf dem Gelände der Zeche Neumühl. Das war eigentlich verboten. Trotzdem haben wir dort unsere Tore mit Ziegelsteinen aufgebaut und haben unsere Straßenkämpfe ausgetragen: Fiskusstraße gegen Lehrerstraße, Lehrerstraße gegen Alexstraße und so weiter. Übrigens habe ich damals schon gemerkt, wo ich innerhalb der Mannschaft hingehöre: in die Abwehr. Ich wollte immer schon verhindern, dass wir ein Tor kassieren. Im Verein später spielte ich dann ja auch linker Verteidiger.

Ihr Vorbild damals?

(schüttelt den Kopf) Ich hatte keines.

Wie alt waren Sie, als Sie erstsmals mit einem richtigen Fußball spielten?

Anfangs haben wir uns aus Putzlumpen einen Fußball gemacht. Hauptsache, das Ding rollte. Dann gab es irgendwann die ersten richtigen Bälle in den Läden, ich stand vor der Schaufensterscheibe und dachte: „Mensch, den möchtest Du haben!“ Wahrhaftig: Heiligabend lag dieser Gummiball auf dem Gabentisch! Das muss 1949 oder 1950 gewesen sein. Und was haben wir damals gemacht? Am ersten Weihnachtstag sind wir auf die Straße gegangen und fingen an zu bolzen. (lacht) Das Material war so schlecht, der Ball hatte nach einer Viertelstunde überall so komische Beulen.

Waren Sie als Hamborner Knirps eigentlich Hamborn 07-Fan?

Natürlich. Bei den Heimspielen saßen wir im alten Stadion an der Buschstraße, immer auf der Radrennbahn, die damals um das Feld herumging. Von dort aus haben wir uns die Spiele angeguckt. Gegen den Rheydter Spielverein, Westfalia Herne und wie die alle hießen.

Es ging also ein Traum in Erfüllung, als Sie im September 1955 ihr Debüt in der ersten Mannschaft von Hamborn 07 in der Oberliga gaben?

Sowieso. Ich spielte drei Jahre in der A-Jugend und dann in der ersten Mannschaft, das war doch das Höchste. Ich habe auch nie ausgesetzt, ich wollte immer spielen. Ich war so verrückt, ich hätte auch nie geduldet, dass ein anderer auf meiner Position spielen könnte. (schmunzelt) Dazu fällt mir noch eine verrückte Geschichte ein, wenn ich die erzählen darf?

Gerne.

Wir hatten ein Pokalspiel gegen Schalke 04 – ausgerechnet am Tag meiner Hochzeit. Hochzeit hin, Hochzeit her, ich habe heimlich meine Tasche mit den Fußballschuhen gepackt und mitgenommen. Weil ich dachte, ich könnte mich vielleicht für einige Zeit von der Feier abseilen.

Ist nicht Ihr Ernst!

Doch! (lacht) Verrückt!

Und, haben Sie sich abgeseilt?

Natürlich nicht!

Was hat eigentlich ihr Vater gesagt, der Hafenmeister war, als Sie anfingen, nebenberuflich Fußball zu spielen?

Er war wahnsinnig stolz. Dazu fällt mir noch eine andere Episode ein: Am Tag meiner Verlobung sollten wir bei Hertha BSC Berlin spielen. Ein Freundschaftsspiel. Ich hatte von meinem Trainer frei bekommen. Davon las mein Vater in der Zeitung, rief mich an und sagte: „Spinnst Du! Du fährst schön mit nach Berlin und spielst!“ Also fuhr ich mit nach Berlin und spielte. Meine spätere Frau hatte schon alle eingeladen, Kuchen gebacken – und ich sagte einen Tag vorher ab. (hält kurz inne) Verlobt haben wir uns kurz danach. Aber Mann, das war natürlich hart.

Was hat der Fußballer Rolf Schafstall vom Gruben-Elektriker Rolf Schafstall gelernt?

Ach, da sind andere Dinge entscheidender. Wir waren zuhause mit acht Kindern, fünf Jungen und drei Mädchen. Mehr als auf die Volksschule zu gehen, war nicht drin. Denn mehr war mit Geld verbunden, und Geld war nicht da. Aber wenn du im Leben eine Chance bekommst, dann kannst du sie wahrnehmen oder auch nicht. Und wenn du diese Chance wahrnimmst, dann kannst du auch stolz darauf sein. Ich habe meine Chance wahrgenommen.

Mit 19 Jahren bekamen Sie ihren ersten Spielervertrag bei Hamborn 07. Damals sollen Sie 125 D-Mark Grundgehalt bekommen haben.

125? Vielleicht hat es die in Köln gegeben. (lacht) Wir haben damals 80 Mark bekommen. Plus 25 Mark Siegprämie.

Traurig, dass Sie zu früh geboren wurden, angesichts der heutigen Spielergehälter?

Nein, überhaupt nicht. Ich habe so eine tolle Zeit gehabt, habe durch den Fußball so viel schöne Dinge erlebt, so viel von der Welt gesehen. Natürlich, wer möchte nicht mehr Geld verdienen? Aber ich hatte immer ein tolles Auskommen gehabt, auf jeden Fall mehr, als ich als Elektriker auf der Zeche hätte verdienen können.

Vor welchen Stürmer hatte der Verteidiger Rolf Schafstall Angst?

Pille Gecks vom MSV Duisburg. Ich mochte nämlich keine Spieler, die immer vor mir wegliefen, sich weit ins Mittelfeld zurückfallen ließen, sich dort anboten, und dann nach vorne stürmten. Ich brauchte immer den direkten Kontakt zum Gegenspieler, Mann gegen Mann.

Hat sich der MSV Duisburg eigentlich jemals beim Hamborn 07-Spieler Rolf Schafstall bedankt?

Sie meinen wegen Eia Krämer? Weil ich den gefoult haben soll, Pitter Danzberg dann das Siegtor gegen uns geschossen hat, und der MSV in die Bundesliga aufgestiegen ist? (lacht) Nein. Übrigens, das war kein Foul, Werner Krämer ist über seine Beine gestolpert. Darüber ärgere ich mich noch heute, ehrlich.

Wann waren Sie zum letzten Mal bei einem Heimspiel der Löwen?

Das ist lange her. Erst fehlte die Zeit, dann brach irgendwann der Kontakt ab.

Sie wechselten 1963 von Hamborn 07 zum SSV Reutlingen. Ein Blick in die Fußballdatenbank, ihre Spielerstatistik liest sich so: Sieben Jahre SSV, sieben Jahre Regionalliga Süd, 38 Spiele, keine Tore, keine Platzverweise. Ist dem noch etwas hinzuzufügen?

Nein. (schüttelt den Kopf)

Wirklich kein Platzverweis? Obwohl Sie doch als harter Hund galten, als eisenharter Verteidiger!

(überlegt) Doch, doch, stimmt! Gegen Hessen Kassel. Das war so: Ein Kasseler Stürmer bricht durch und foult unseren Torwart. Wirklich ein böses Foul. Da bin ich zu dem Spieler hin, habe mich vor ihn gestellt und „Du Idiot“ oder ähnliches gebrüllt. Ich habe ihn aber nicht angefasst, doch der Schiedsrichter hat mich vom Platz gestellt. Ich habe eigentlich nie viel Foul gespielt. Ich habe immer schon gesagt: Nur wer nicht hundertprozentig fit ist, der muss Foul spielen. Und ich war immer hundertprozentig fit.

An wen sollen sich die Leute später lieber erinnern: an den Spieler oder an den Trainer Rolf Schafstall?

Ach, an den Spieler erinnern sich heute doch nur noch die wenigsten, das ist schon viel zu lange her…

14 Trainerstationen in 30 Berufsjahren. Sie haben den Ruf des Feuerwehrmanns. Fühlen Sie sich verkannt?

Nein, gar nicht! Weil ich diese Dinge gerne gemacht habe. Mir konnte es eigentlich nie schwer genug sein. Schon bei meiner ersten Trainerstation, beim MSV Duisburg, musste ich ja gleich die Mannschaft aus dem Keller holen. Und das ging dann immer so weiter.

Otto Rehhagel galt auch lange als Feuerwehrmann, bis er bei Werder Bremen langsam zu König Otto aufstieg. Neidisch?

Überhaupt nicht. Ich war mit meiner Rolle wahnsinnig zufrieden.

Als ihre erfolgreichste Trainerzeit gelten ihre Jahre beim VfL Bochum von 1981 bis 1986.

Die fünf Jahre in Bochum, das war schon eine unglaubliche Zeit. Wir hatten damals ein Gerüst von erfahrenen Spielern: Ata Lameck, Lothar Woelk, Walter Oswald. Dazu kamen immer neue, junge Spieler. Ich könnte jetzt eine Liste mit bestimmt 25 Namen schreiben, alles Spieler, die ich für 30.000 Mark aus Amateurklubs nach Bochum in die Bundesliga geholt habe: Stefan Kuntz, Martin Kree, Uwe Leifeld, um nur mal drei zu nennen, die alle beim VfL groß geworden sind.

Richtig, dass die Ernennung zum Trainer des Jahres 1984 ihr größter Erfolg ist?

Ob es der größte Erfolg war, weiß ich nicht. Aber wer wird denn normalerweise Trainer des Jahres? Immer der, der deutscher Meister wird. Mit Bochum aber konnte ich unmöglich Meister werden. Ich habe aber über Jahre junge, gute Spieler für wenig Geld nach Bochum geholt – und wir sind nie abgestiegen. Diese wahnsinnig anstrengende Arbeit wurde endlich einmal anerkannt. Darauf bin ich natürlich stolz.

War ihre Rückkehr auf den Trainerstuhl beim VfL Bochum ein Fehler?

Die zweite, 2001, vielleicht. Präsident Werner Altegoer hatte mich gefragt, ob ich nicht helfen kann. Und meinem alten Freund Werner konnte ich das natürlich nicht abschlagen. Ich hatte aber nur noch sieben Spiele Zeit, das war einfach zu wenig. Anders als 1991 sind wir dann leider abgestiegen. Das tut mir noch heute leid.

Wenn man so will sind Sie bis heute der erfolgreichste Trainer des MSV Duisburg. 1978 standen Sie mit den Zebras im Uefa-Pokal-Halbfinale und haben erst gegen den späteren Sieger verloren, Borussia Mönchengladbach.

(lacht) Das war wirklich eine sensationelle Saison. Ich war ja vorher Trainer der A-Jugend des MSV, bin mit den Jungs deutscher Meister geworden. Aus dieser Mannschaft kamen Spieler wie Jakobs, Fenten, Fruck, Dronia, die ich zu den Profis hoch geholt habe, und auch habe spielen lassen. Auch im Uefa-Pokal: gegen Lech Posen, Hans Mayers Carl Zeiss Jena, Honved Budapest, Racing Straßburg, und dann kam Borussia Mönchengladbach. 2:2 in Duisburg, und ich dachte: „Eine Minimalchance haben wir noch.“ Das Rückspiel haben wir 4:1 verloren. Dennoch: Für den MSV Duisburg war es eine tolle Sache.

Ein Wort zu ihrer Zeit bei Schalke 04: Ihre Verpflichtung war der Auslöser für den ersten Rücktritt von Rudi Assauer als Manager. Es heißt, Assauer und Sie hätten jahrelang kein Wort mehr gewechselt?

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Das ist richtig. Na gut, man muss die Zusammenhänge von damals kennen. Anderserseits: Das ist lange her. Ich habe Rudi Assauer übrigens im vergangenen Jahr auf dem Ball des Sports getroffen. Ich saß mit meiner Frau an einem Achtertisch, an dem noch zwei Plätze frei waren. Plötzlich kommt Rudi Assauer in Begleitung an unseren Tisch, geht auf mich zu, umarmt mich, als wären wir die dicksten Freunde. Ich war ganz überrascht. Daraus ergab sich eine lange und gute Unterhaltung. Und zum Schluss haben wir uns freundlich verabschiedet. Na ja, nach so langen Jahren sollte man auch nicht mehr vergrämt sein, oder?

Ist Rolf Schafstall etwa doch altersweise geworden?

Ja, vielleicht. (schmunzelt)

Rückblickend betrachtet: Hätten Sie sich eine Trainerstation ersparen sollen?

(guckt nachdenklich) Ja. Dresden, natürlich. (überlegt kurz) Ich hätte auch nicht unbedingt zu Schalke gehen müssen. Präsident Dr. Fenne wollte mich damals unbedingt. Ich habe mir im Vorfeld aber zu wenig Gedanken darüber gemacht, auf wen und auf was ich mich dort einlasse. Das war wohl ein Fehler.

Als Trainer galten Sie immer als autoritärer Typ. Heute, in Zeiten der Klopps und Tuchels, gelten Typen wie Sie als Auslaufmodell. Was denken Sie darüber?

Das war einfach eine andere Zeit. Wir sind ja auch ganz anders groß geworden. Hinzu kommt: Wenn man von einem Verein geholt wird, muss man dem Verein helfen. Bayer Uerdingen zum Beispiel: Eine Mannschaft mit so guten Spielern wie den beiden Funkels, Herget, Kuntz, Bommer, Klinger – warum steht die unten drin? Als neuer Trainer muss man eine klare Ansprache halten und sagen, worauf es einem ankommt. Auf Disziplin, Ordnung und vor allem auf das Miteinanderwollen. Genau das muss man auf eine besondere Art aus den Spielern herauskitzeln.

Nutzen Sie ihre Ehrendauerkarte beim VfL Bochum eigentlich noch?

Ja, regelmäßig bin ich dort. Manchmal treffe ich dort alte Weggefährten wie Ata Lameck. Leider lassen sich aber immer weniger von ihnen dort blicken.

Ab wann wussten Sie, dass jetzt nie mehr das Telefon klingeln wird, und ein Vereinspräsident oder Manager nach Ihnen als Trainer fragt?

Das ist schon ein paar Jahre her.

Traurig gewesen?

Anfangs schon. Ich hätte gerne drei, vier Jahre länger gearbeitet.

Letzte Frage: Stimmt es, dass Sie mal gesagt haben: „Ohne Fußball würde ich verrückt!“?

(lacht) Nein! So etwas habe ich ganz bestimmt nicht gesagt.