Duisburg. 60 Jahre Lehmbruck Museum Duisburg - schon die Architektur hat eine Botschaft. Ein Haus für die Kunst, für Offenheit und Transparenz.
Es braucht Mut, mutige Entscheidungen, um Veränderungen angehen zu können, um Dinge und Denken zu bewegen. Courage ist gefragt in der Gesellschaft, in der Politik und, oha ja, in der Kunst und damit auch im Museum! Zumindest dann, wenn der Ort des Schauens und Entdeckens sich eine Aufgabe gestellt hat, die neben dem schönen Schauen, der künstlerischen Ästhetik, noch eine Funktion hat. „Der museale Raum ist ein Raum für die Öffentlichkeit,“ sagt Dr. Söke Dinkla, seit 2014 Direktorin im Lehmbruck Museum Duisburg.
Weltweit bedeutendes Skulpturenmuseum
Das Lehmbruck Museum hat über all die Jahrzehnte diesen Spagat hinbekommen – zeitgenössische Kunst zeigen, zeitgenössisches Denken aktivieren, ungewohnte Sichtweisen anbieten, gewohnte aufbrechen, ein wenig provozieren, anstoßen und darüber wieder den Weg in die Ästhetik finden, weitergehen. Das fing schon mit der Architektur des nach wie vor einzigartigen Museums an – ein mächtiger Kubus mit großer, gläserner, sieben Meter hohen Fassade aus Glas, eine Ikone der Nachkriegsmoderne – man soll von außen sehen können, dass hier die Kunst ein Zuhause hat – offen und frei für alle.
Ein Ort mit viel Platz, Licht und Luft - für das Lebenswerk des gebürtigen Duisburgers Wilhelm Lehmbruck natürlich – und immer auch für die Kunst der Zeit. Vor 60 Jahren wurde eröffnet, am 5. Juni 1964 – mit viel Respekt vor großer Kunst mitten in einer Region, die noch von Kohle und Stahl geprägt war und der nicht jeder und jede eine museale Ästhetik zutraute oder sie ausgerechnet hier verorten wollte.
Heute ist das Lehmbruck Museum ein weltweit bedeutsames Haus und Skulpturenmuseum – die bemerkenswerte Sammlung zur Objektkunst, Foto- , Installations- und Medienkunst hat es mit einem zusätzlichen Profil versehen. Söke Dinkla muss, wie so viele Kunstbeauftragte dieser Zeiten, mit möglichst kleiner Kasse möglichst viel Kulturwerk leisten.
Das klappt, weil es ihr irgenwie immer wieder gelingt, Stiftungen, Förderer, private Mäzene zu gewinnen, um in Kultur und Bildung zu investierten. So ist es möglich, Kunst zu kaufen und die Sammlung mit hochkarätigen Erwerbungen zu erweitern, zuletzt von einer der erfolgreichsten Bildhauerinnen unserer Zeit, Alicja Kwade.
Courage - Motto der Jubiläumsausstellung
60 Jahre Museumsgeschichte – da gibt es natürlich auch eine Jubiläumsausstellung. Der Titel ist Programm: „Courage. Lehmbruck und die Avantgarde“. Das Werk Lehmbrucks im Dialog mit u.a. Medardo Rosso, Auguste Rodin, Egon Schiele, Oskar Schlemmer, Sophie Taeuber-Arp, Käthe Kollwitz, Alexander Archipenko, Umberto Boccioni, Lyonel Feininger.
„Wir stellen das Thema Mut ins Zentrum“, so Söke Dinkla. „In einer Zeit politischer Umbrüche, sozialer Konflikte, bahnbrechender Innovationen und den Schrecken des Krieges haben Künstlerinnen und Künstler den Umbruchsituationen eine Form verliehen. Sie haben wegweisende Werke geschaffen, Grenzen überwunden und neue Ausdrucksweisen gefunden, die uns den Umgang mit dem Neuen ermöglichen.“ Die Ausstellung stelle beispielhaft dar, „dass es der Kunst mit Mut, Eigensinn und Freude an der Neuerfindung gelingt, unser Bewusstsein zu schärfen und uns zu neuen Schritten zu ermutigen“.
Wer sich von der positiven Kraft der Kunst überzeugen möchte, hat vom 16. Juni bis 6. Oktober dazu Gelegenheit.
Unterstützt wird das Museum dabei maßgeblich von seinem Freundeskreis. „Unser Museum ist heute noch einzigartig“, sagt Dr. Söke Dinkla. Und kommt ins Schwärmen. „Diese großartige Architektur, dieses sich Öffnen durch die große gläserne Fassade in die Stadt, in den Park hinein.“ Architektur als politische Botschaft, Transparenz und Offenheit als Zeichen der damals gerade wieder gewonnen Demokratie. „Duisburg kann gerade heute besonders stolz sein auf dieses Haus.“ Manfred Lehmbruck, der Architekt und einer der Söhne Wilhelm Lehmbrucks, hat es seinerzeit so formuliert: Die Aufgabe seiner Architektur sei es, „die ungestörte Begegnung von Mensch und Kunst“ zu ermöglichen.
Transparenz und Offenheit – Architektur als Mission. Ein Kunstmuseum, dass sich nicht nur als Aufbewahrungsort für Kunstwerke der Vergangenheit oder Schauplatz für Wechselausstellungen versteht. „Kunst muss Stellung beziehen zu aktuellen Situationen und Konflikten, sie hat einen Auftrag. Und es ist ihre Stärke, dass sie diesen Auftrag auch ästhetisch erfüllen kann, um unsere Sinne anzuregen,“ sagt Söke Dinkla. Kunst kann ein Türöffner sein, ist in der Lage, Emotionen auszulösen, Denken anzufachen und gesellschaftliche Aufgaben zu erkennen. „Das ist doch das, was sie für uns unverzichtbar macht“, so Dinkla.
Innehalten, die Perspektive des anderen sehen und versuchen zu verstehen – „nicht belehrend, nicht mit dem pädagogischen Zeigefinger sondern auf ästhetische Weise. Unser Ziel ist, Dinge, die komplex sind, einfach zu sagen, damit sie gehört werden. Wir müssen so sprechen, dass die Menschen uns verstehen. Wenn Besucherinnen und Besucher hierherkommen, sollen sie auch etwas mitnehmen können.“
Und wie schön ist es doch, dass das alles passieren kann in einer so bemerkenswerten Architektur mit geschwungenem Beton, viel Glas, Sichtachsen und „runden“ Wänden, die einem rechten Winkel keine Chance geben.
Sehgewohnheiten ändern sich
Das Lehmbruck Museum hat in all seinen Jahren an seiner Sammlung „gearbeitet“, stellt ambitionierte, hochrangige Ausstellungsprogramme auf die Beine.
Da passt es gut, dass Söke Dinkla über interaktive, digitale Kunst promoviert hat – die Wege zu Künstlerinnen und Künstlern, die mit Videoeffekten statt mit Ölfarben arbeiten, kommen den heutigen Sehgewohnheiten entgegen. Und es ist genau diese Kombination des Sehenkönnens, die fasziniert: Lehmbrucks „Knieende“ und Alberto Giacomettis „Femme au chariot“, die expressionistische „Windmühle in Dangast“ von Erich Heckel und die „5 Unit Wall Sculpture“ von Donald Judd – zum Beispiel - und aktuell „The Fury“ (2022) der iranischen Künstlerin Shirin Neshat, eine raumgreifende Videoinstallation auf zwei monumentalen LEDScreens in der Glashalle.