Am Niederrhein. Andreas Wagner erzählt in seinem Roman „Wie Treibgut im Fluss“ die Geschichte von Auswanderern, die am Niederrhein gestrandet sind.

Bei Andreas Wagner muss es oft schnell gehen, auch fürs Interview hat er nicht viel Zeit, weil er gleich schon wieder in die Klasse muss. Ja, sein Leben ist durchgetaktet! Immerhin hat er einen Vollzeitjob als Sozialarbeiter an einer Realschule, ist Papa von drei Töchtern... und ganz nebenbei schreibt er auch noch Bücher. Wie das geht? „Ich versuche kleine Lücken zu finden“, verrät er. Mal ist das eine halbe Stunde im Café, mal eine längere Fahrt mit dem Zug. Herausgekommen ist so auch sein neuster Roman: „Wie Treibgut im Fluss“ erzählt von Menschen aus dem Hunsrück, die 1741 nach Amerika auswandern wollten und dann am Niederrhein gestrandet sind. Eine Geschichte, die für ihn eine ganz persönliche ist...

Herr Wagner, was bedeutet Heimat für Sie?

Heimat ist erst einmal der Ort, an dem man aufgewachsen ist. Ich denke dabei an den Niederrhein, weil ich aus einem kleinen Dorf komme, der zu Korschenbroich gehört. Mittlerweile ist aber auch Köln meine Heimat geworden, weil ich hier genauso lange lebe, wie ich damals in dem Dorf gelebt habe. Aber natürlich gehören auch Menschen zur Heimat – ohne sie sind Orte nur leere Hüllen.

Wollten Sie mal auswandern?

Nee, dazu fehlt mir der Abenteuersinn. In dem Buch gibt‘s ja auch zwei Lager: die, die gehen und die, die bleiben wollen. Ich bin eher der Typ, der bleibt.

Wieso erzählen Sie eine Geschichte von Menschen, die im 18. Jahrhundert auswandern wollten?

Ich bin irgendwie auf das Thema gestoßen... Das muss vor ungefähr fünf Jahren gewesen sein, vielleicht habe ich einen Zeitungsartikel darüber gelesen, aber ich kann mich nicht mehr richtig daran erinnern. Auf jeden Fall fand ich es interessant, dass Leute, die nach Amerika auswandern wollten, es nicht einmal bis über die erste Grenze geschafft haben. Dadurch ist mitten am Niederrhein die pfälzische Sprachinsel entstanden, in der bis heute ein Dialekt konserviert wird, den die Vorfahren vor über 280 Jahren mitgebracht haben. Das fand ich auch deshalb so faszinierend, weil meine eigene Großmutter aus einem Nachbarort, und zwar aus Bedburg-Hau, kam. Allerdings wurde sie adoptiert, weil ihre Eltern früh gestorben sind, und ist so im Hunsrück gelandet. Sie hat also quasi den entgegengesetzten Weg gemacht.

Wie war der Umzug vom Niederrhein in den Hunsrück für Ihre Großmutter?

Der Unterschied der Sprachen war riesengroß, weil Hochdeutsch kein Thema war. Meine Großmutter konnte niemanden verstehen und niemand verstand meine Großmutter. Deshalb habe ich mich gefragt, wie es für sie gewesen wäre, wenn sie die Sprache vorher schon mal im Nachbarort gehört hätte.

Haben Sie die Erzählungen Ihrer Großmutter mit in das Buch einfließen lassen?

Es ist kein biografischer Text, aber trotzdem habe ich einige biografischen Daten von ihr übernommen. Die Figur Josephine beispielsweise ist an meine Oma angelehnt. Ansonsten habe ich für die Figuren teilweise auch Namen von tatsächlichen Auswanderern übernommen, die vom Hunsrück aufgebrochen sind.

Andreas Wagner hat das Buch „Wie Treibgut im Fluss“ geschrieben. 
Andreas Wagner hat das Buch „Wie Treibgut im Fluss“ geschrieben.  © Droemer Knaur

Gab‘s Peter Martini, oder, wie es damals hieß, Martini Peter, also tatsächlich?

Martini Peter kommt aus meinem eigenen Stammbaum, hat aber nix mit den Auswanderern zu tun. Das Buch ist ja kein historischer Roman, sondern nimmt das historische Ereignis nur als Grundlage für die Geschichte.

Was erhofften sich die Familien von der „Neuen Welt“?

Das waren Menschen wie du und ich, aber sie haben in einer ganz anderen Zeit gelebt, deshalb weiß ich natürlich nicht genau, was deren Gefühle und Hoffnungen waren. Klar ist nur, dass sie im Hunsrück lebten und dort Kriegen, Dürre, Armut ausgesetzt waren. Außerdem erlebten sie als Protestanten religiöse Unterdrückung. Deshalb sind sie den, teilweise zweifelhaften, Versprechungen gefolgt, um nach Pennsylvania auszuwandern, das schon damals für seine Religionsfreiheit bekannt war.

Wieso sind sie dann auf Schenkenschanz gestrandet?

Bis dahin ist alles historisch belegt. Durch den Krieg zwischen Spanien und England war die Passage zwischen Europa und Nordamerika sehr gefährlich. Es gab nur wenige Schiffe, die rüberfuhren. Deshalb stapelten sich in den Niederlanden die Ausreisewilligen. Reiche Kaufleute erwirkten dann, dass die Grenzen dicht gemacht wurden. Und weil die Pfälzer keine entsprechenden Dokumente hatten, mussten sie die Schiffe verlassen.

Wie haben Sie bei einem Roman über 250 Jahre deutsche Geschichte nicht den Überblick verloren?

Naja, ich überspringe ja sechs bis acht Generationen. Der erste Teil spielt vor 280 Jahren, der zweite Teil setzt dann wieder im 20. Jahrhundert an. Aber grundsätzlich strukturiere ich einen Text kapitelweise. Ich sammle Szenen, schreibe sie auf Zettel, die ich dann sortiere. Und wenn ich genug zusammenhabe, fange ich vorne an, zu schreiben. Dadurch habe ich ein Gerüst, an dem ich mich entlanghangeln kann.

Sind Sie für die Recherchen auch an den Niederrhein gereist?

Ich habe mir alle Orte angeguckt, die im Buch eine Rolle spielen. Mit Ausnahme von einem Dorf in Pennsylvania, dorthin habe ich es leider nicht hingeschafft (lacht). Aber sonst war ich überall. Bedburg-Hau, Luisendorf... das kannte ich vorher alles nicht.

Zum Buch „Wie Treibgut im Fluss“

Der Roman „Wie Treibgut im Fluss“ von Andreas Wagner ist bei Droemer Knaur erschienen, hat 352 Seiten und kostet als gebundene Ausgabe 24 Euro.

Der Autor Andreas Wagner wurde 1978 in Neuss geboren, studierte Sozialpädagogik und arbeitet heute an einer Realschule in Köln. Sein erstes Buch heißt „Jahresringe“ und ist ebenfalls bei Droemer Knaur erschienen.

Und? Wie hat es Ihnen gefallen?

Ich bin ein Fan des weiten Horizontes und vom platten Land. Da merke ich, dass es mir gut geht. Vielleicht kommen dann doch meine niederrheinischen Gene durch. Ich erschließe gern alles zu Fuß. Und, auch das kommt im Buch durch, ich bin ein Freund von Schautafeln. Davon gibt‘s gerade im Pfalzdorf viele, die auch die Geschichte der Auswanderer erzählen. Das kann ich nur empfehlen, beispielsweise für einen Ausflug an einem sonnigen Wochenende.

Aber an den Niederrhein auswandern möchten Sie dennoch nicht?

Nee (lacht). Dafür bin ich zu sehr Stadtmensch.