Xanten/Duisburg. Mit Technik aus Duisburg und Xanten wollen Astronomen die Entstehung von Sternen und Galaxien erforschen. Wo diese zum Einsatz kommt
Auf Sekundenbruchteile kommt es im Alltag nur selten an. Profisportlerinnen und -sportler im Wettkampf gegen die Uhr dürften das zwar anders sehen, aber Verspätungen bei der Bahn werden in der Regel ja eher in Minuten (oder gar Stunden) angegeben. Für den Astronomen Dominik Riechers, Professor am Institut für Astrophysik der Universität zu Köln, entwickeln aber genau solche Bruchteile einer Sekunde eine Faszination. Zumal es ihm nicht um irgendeine beliebige Sekunde geht. Es geht ihm um die frühesten Momente nach dem Urknall.
Teleskop setzt auf Technik aus Duisburg und Xanten
Mit einem neuen Teleskop, erbaut von Spezialisten der Firma CPI Vertex Antennentechnik aus Duisburg, wollen Riechers und sein internationales Forschungsteam einen Blick zurück wagen, genauer gesagt 13,8 Milliarden Jahre zurück. „Wir reden hier von einem Zeitraum von 10 hoch minus 36 Sekunden bis 10 hoch minus 32 nach dem Urknall“, berichtet Riechers. Denn in diesem Zeitraum passierte erstaunliches, die sogenannten kosmische Inflation, eine Phase der extrem raschen Expansion des Universums.
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Das „Fred Young Submillimeter Teleskop“, kurz FYST, soll das möglich machen, neue Erkenntnisse über den Beginn des Universums zu sammeln. Es nimmt die Wellenlängenbereiche des Lichts in Augenschein, die von anderen Teleskopen nicht eingefangen werden können. „Wir bewegen uns hier fernab vom fürs menschliche Auge sichtbaren Licht oder auch dem Infrarotbereich. Das unterscheidet uns vom Hubble- oder dem James-Webb-Weltraumteleskop.“ In Xanten, auf dem Gelände der Firma Wessel, wurde es nun für einen Probebetrieb aufgebaut.
Neue Erkenntnisse über die Entstehung des Universums
Partner im Projekt sind die Cornell University (USA), ein deutsches Konsortium bestehend aus der Universität zu Köln, der Universität Bonn und dem Max-Planck-Institut für Astrophysik in Garching sowie ein kanadisches Konsortium mehrerer Universitäten.
Riechers erhofft sich Einblicke in die Entstehung der ersten Sterne und in der Folge von Galaxien und auch Planeten. „Wir können verschiedene Zeiträume in Augenschein nehmen.“ Seit knapp zwei Jahrzehnten beschäftigt sich Riechers mit den wissenschaftlichen Grundlagen für das Projekt, auch in seiner Doktorarbeit ging es bereits um das frühe Universum. „Richtig konkret mit dem Teleskop wurde es 2016 und 2017.“
Einen weiteren Vorteil im Vergleich zu „Hubble“ oder „James Webb“ sieht Astronom Dominik Riechers in der relativ einfachen Nachrüstbarkeit des stationären Teleskops. Das Hubble-Teleskop ist zwar in der Erdlaufbahn in nur einigen hundert Kilometern Höhe unterwegs, seitdem die US-amerikanische Weltraumbehörde Nasa ihre Space Shuttles eingemottet hat, gibt es aber keine Möglichkeit mehr, Reparaturen oder Upgrades anzubringen. Der letzte Wartungseinsatz datiert aus dem Mai 2009.
Kosten in Höhe von 11,8 Millionen Euro
Die Kosten für Planung und Bau des Fred Young Submillimeter Teleskop (FYST) belaufen sich bislang auf 11,8 Millionen Euro. Nach Angaben von Peter Fasel von der Herstellerfirma CPI Vertex Antennentechnik profitiere vor allem die regionale Wirtschaft. „Das Schöne ist, dass über die Hälfte der Mittel, genauer gesagt 52 Prozent, bei Betrieben und Unternehmen im Bereich der niederrheinischen IHK verbleiben.“ Das Teleskop wurde nach dem US-Amerikaner Fred Young benannt, der die Planung und den Bau über zwei Jahrzehnte mit über 16 Millionen US-Dollar unterstützt hatte.
Das James-Webb-Teleskop ist an seinem Zielort, dem 1,5 Millionen Kilometer von der Erde entfernten Lagrange-Punkt L2 (von Erde und Sonne), ebenfalls außer Reichweite für einen Boxenstopp. „Wir können dagegen Neuentwicklungen in der Fototechnik, etwa was die Sensorik anbelangt, in unserem Teleskop nachrüsten.“
Zwei sechs mal sechs Meter große Spiegel bilden zusammen das Herzstück des Teleskops. 1400 Kilogramm schwer sind diese aus Kohlefasern hergestellten Spiegel. Die Genauigkeit der Ausrichtung wird in Mikrometern, angeben (zur Erklärung: 1000 Mikrometer entsprechen einem Millimeter). Es sei so, als würde man von hier aus einen Spatzen auf der Spitze des Kölner Doms ins Visier nehmen, heißt es bei der Präsentation. Das tonnenschwere Gebilde ist dabei beweglich: Es kann sich um die eigene Achse drehen, ist ebenso in der Höhe verstellbar.
Der gesamte Sternenhimmel der Südhalbkugel wird beobachtet
Ein spezielles Objekt (Planet, Stern oder Galaxie) nimmt das Teleskop nicht in den Sucher. „Es geht darum, den gesamten Himmel, der von der Südhalbkugel aus sichtbar ist, zu kartografieren“, erklärt Dominik Riechers. Das Programm dafür laufe über die kommenden Jahre.
Xanten ist für das Teleskop aber nur eine Zwischenstation. In den kommenden Monaten geht es nun darum, das Teleskop auf „Herz und Nieren“ zu prüfen, die Instrumente für den Einsatz zu kalibrieren. „Wir wollen die Einstellungen hier vor Ort durchführen und auch die Leistungsfähigkeit testen, ob wir das machen können, wofür das Teleskop gebaut wurde.“ Nachjustierungen und kleinere Arbeiten seien schließlich am Herstellungsort deutlich einfacher als später in tausenden Kilometern Entfernung auf einer chilenischen Bergspitze. „In der Halle hier nebenan können wir auch schweißen.“
Die chilenische Wüste bietet beste Bedingungen für ein Teleskop
Warum aber muss es ein Berg in Chile sein, was spricht gegen die Sternenbeobachtung am Niederrhein? „Das Wetter“, sagt Riechers und deutet mit einem Lächeln im Gesicht auf den wolkenverhangenen Himmel über Xanten. Der Strahlungsbereich, der beobachtet werden soll, wird durch Wasserdampf in der Erdatmosphäre leicht verzerrt. „In der Atacama-Wüste in Chile ist das kein Problem. Auf 5600 Metern Höhe ist die Atmosphäre bereits sehr dünn.“ Regenschirme werden dort nicht benötigt.
Auf dem Berg Cerro Chajnantor selbst, dort wird das Teleskop aufgebaut, wird nur eine kleine Mannschaft, bestehend aus Ingenieuren, für den Betrieb benötigt. „Im Prinzip ist das Teleskop darauf ausgelegt, eigenständig und ferngelenkt zu arbeiten“, führt der Astronom Riechers an. „Ein paar Mal im Jahr werden wir sicherlich dorthin fliegen, aber die Forschung findet hier in Deutschland und bei den weiteren Partneruniversitäten statt.“