Kleve. Ein Niederrheiner wurde zur Stimme der französischen Revolution, starb unter der Guillotine. Thobias Roth übersetzte Anacharsis Cloots.
Als Anacharsis Cloots 1794 gegen Ende der Französischen Revolution durch die Guillotine stirbt, hinterlässt er ein riesiges schriftliches Werk. Seine Reden für die Menschen- und Bürgerrechte vor der Assemblée nationale und der Convention Nationale machten ihn zu einer überragenden Stimme seiner Zeit. Dennoch ist er im deutschsprachigen Raum nahezu unbekannt.
Im deutschsprachigen Raum ist Anacharsis Cloots nahezu unbekannt
Seine Schriften, allesamt auf Französisch, lagen in deutscher Übersetzung nicht vor. Das hat sich jetzt geändert. Der Übersetzer, Essayist, Lyriker und Schriftsteller Tobias Roth entdeckte Cloots für sich und kümmerte sich darum, dass seine Reden jetzt erstmalig in deutscher Sprache vorliegen. Auf Einladung des Museums Kurhaus Kleve und der Buchhandlung Hintzen stellt er ausgewählte Texte am Donnerstag, 4. April, 19.30 Uhr, im Museum Kurhaus Kleve vor. Den Part des charismatischen Redners übernimmt dabei der junge Schauspieler Janis Krebbers.
Ein Blick auf die aktuelle Weltlage mit immer mehr autokratisch regierten Staaten, autoritären Herrschaftssystemen und nicht zuletzt den Kriegen in der Ukraine und Israel zeigen, dass Cloots‘ Ansichten auch heute noch alles anderes als alt, verstaubt oder überholt sind. Er trat vor über 230 Jahren ein für universelle Menschenrechte, für eine friedliche und freie Welt für jede und jeden, unabhängig von Religion, Hautfarbe oder Herkunft.
Der „Botschafter des Menschengeschlechts“ wurde auf Schloss Gnadenthal bei Kleve geboren
Dafür kämpfte er kompromisslos und verlor am Ende sein Leben. Seine Wurzeln lagen am Niederrhein. Der „Botschafter des Menschengeschlechts“ wurde 1755 auf Schloss Gnadenthal bei Kleve als Johannes Baptista Hermanus Maria von Cloots, Baron von Gnadenthal, geboren – und starb 1794 in Paris.
Er sei durch Zufall auf Cloots aufmerksam geworden, erzählt sein Übersetzer Tobias Roth, der 1985 in München geboren wurde. „Es war ein für einen Literaturwissenschaftler klassischer Fundort“, schmunzelt er. Er sei durch eine Voltaire-Fußnote über Cloots gestolpert. „Was das denn für ein seltsamer Name sei, habe er sich gefragt. Nach einem Blick in seine Kurzbiografie sei es dann um ihn geschehen gewesen. Weil es keine deutschen Texte gab bzw. sie nur antiquarisch zu bekommen waren und der Fund in die Pandemiezeit fiel, „hatte ich Zeit, die gut 1000 Seiten Cloots zu lesen“.
„Reden aus der Revolution 1790-1793“
„Es war elektrisierend, die ganze Zeit“, erinnert er sich. Roth las sich ein und fand heraus, wofür Cloots zu seiner Zeit berühmt war. „Er war ein brillanter Rhetor, das war wohl sein Filetstück.“ Für sein Buch „Reden aus der Revolution 1790-1793“ hat Tobias Roth Cloots Reden ausgewählt, denen auch das Volk applaudiert hat und die er im Museum Kurhaus in den Verlauf der Revolution einordnen will. „Gleichzeitig erzählen sie viel über ihn als Gestalt und als Person während der Revolution“, erklärt Roth.
Zum Buch
Anacharsis Cloots: Reden aus der Revolution 1790-1793. Übersetzt und bevorwortet von Tobias Roth, Verlag Das kulturelle Gedächtnis. ISBN: 978-3-946990-79-6
Der Eintritt für den Abend am 4. April kostet 15 Euro. Schüler und Studenten haben freien Eintritt. Karten im Vorverkauf an der Museumskasse oder in der Buchhandlung Hintzen in Kleve, Telefon: 02821 26655.
Tobias Roth, Essayist, Übersetzer, Schriftsteller ist Gründungsgesellschafter des Verlags Das kulturelle Gedächtnis. Er erhielt zahlreiche Auszeichnungen, u.a. den Bayerischen Kunstförderpreis.
Viel Freude hatte er daran, das ausgeprägte Punchline-Talent des Anacharsis Cloots zu entdecken, seine Fähigkeit in seinen Vorträgen Pointen zu setzen. „Jeder zehnte Satz könnte als Text für ein Plakat taugen“, findet der Übersetzer, der Cloots eine „große Lust am Sprachspiel“ bescheinigt. „Ich möchte mit meiner Arbeit nicht nur bereits vorhandenes Interesse bedienen, sondern auch neues wecken“, sagt Roth. Die politischen Botschaften von Cloots seien extrem aktuell. „Über weiteste Strecken hat er gesagt, was auch in heutigen Parlamenten noch vertreten werden könnte.“ Seine Ansichten seien dabei so fundamental, dass seine Texte nicht nur ein „faszinierendes Leseerlebnis“ seien, sondern Aufruf, auch heute eine „wehrhafte Energie“ für die Menschenrechte aufzubringen.
Einsatz für Menschen- und Bürgerrechte
Was können Übersetzer dazu beitragen? „Sie können für Nähe zwischen Sprachgruppen oder Themenfeldern sorgen“, sagt Roth, „und das quer durch die Zeit.“ Schließlich seien die Probleme unserer Zeit nicht so exklusiv. „Übersetzung macht Lösungsansätze lesbar, trifft eine Auswahl. Das ist bei der schieren Menge an Informationen heute umso wichtiger.“
Anacharsis Cloots
Anacharsis Cloots (1755-1794) stammte aus holländisch-preußischem Adel. Als Johann Baptist Hermann Maria Baron de Cloots wurde er 1755 in der Nähe von Kleve geboren. Er besuchte erstklassige Schulen in Brüssel, Mons und Paris sowie die Berliner Militärakademie, und siedelte Mitte der 70er-Jahre, nach dem Tod seines Vaters, nach Paris über. Dort kam er in Kontakt mit den Zirkeln der Aufklärung, machte Bekanntschaft mit Rousseau, Voltaire und Benjamin Franklin, und tat sich als religionskritischer Autor hervor. Der Name Anacharsis hat nichts mit Anarchie zu tun. Cloots wählte den Namen eines skythischen Philosophen des 7. oder 6. Jahrhunderts.
Zurück zur Französischen Revolution. Dort ging es um alles. Was Cloots forderte, sei nichts weniger gewesen als die eine und geeinte Weltrepublik. War er ein naiver Idealist? Aus Cloots‘ Sicht waren verschiedene Staaten mit verschiedenen Rechtssystemen nicht mehr nötig: Alle Trennungen werden obsolet vor Menschheit und Menschlichkeit, auf die Cloots mit viel revolutionärem Optimismus baut. Sein Traum ist dabei nicht nur international, sondern bereits antinational. Der einzige legitime Souverän ist für ihn die Menschheit in ihrer Gesamtheit. Um ihr eine Stimme zu verleihen, nennt er sich zuweilen Redner bzw. Botschafter des Menschengeschlechts.
Ironie der Geschichte: Cloots starb unter der Guillotine
„In seiner Zeit gilt er nicht als Spinner“, urteilt Roth. Er habe einen nüchternen Blick auf die Dinge gehabt, sei pragmatisch gewesen. Dennoch befürwortete er den Einsatz von Gewalt, immer aber unter dem Aspekt der Befreiung. „Leider hat er wohl einige Male zu oft betont, dass es ihm nicht um die Franzosen, sondern um die Menschheit ging.“ Er sei vielen wohl zu atheistisch gewesen, wurde schließlich als preußischer Spion verunglimpft. „Letztlich ist es bittere Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet er zum Opfer der Revolution wird“, sieht Roth. Und lange Zeit vergessen. Wichtig wurde er erst wieder für Joseph Beuys. Und durch die feine Übersetzungsarbeit von Tobias Roth, der am 4. April einlädt den Aufklärer besser kennenzulernen, einen Redner, der nichts von seiner Aktualität eingebüßt hat.