Duisburg. Viele Menschen wollen ihre Arbeitszeit reduzieren. In einem Duisburger Steuerbüro ist die Vier-Tage-Woche Realität. Das sagen Beschäftigte.
Vier Tage arbeiten, dann drei Tage lang ein verlängertes Wochenende genießen – und das regelmäßig: Die Vereinbarkeit von Arbeit und (Privat)-Leben steht in vielen Branchen im Mittelpunkt von Tarifauseinandersetzungen, prominentestes Beispiel dürfte der Arbeitskampf der GDL mit der Deutschen Bahn sein.
Bei Grüter-Hamich und Partner, einer Steuerberatungs- und Wirtschaftsprüfungsgesellschaft in Duisburg-Rheinhausen, ist die Vier-Tage-Woche bereits Realität. Und sie funktioniert. Ein Besuch.
Arbeitszeit von 40 auf 36 Stunden gesenkt – bei vollem Lohnausgleich
Die Wochenarbeitszeit der 1982 gegründeten Kanzlei wurde im vergangenen Jahr von 40 auf 36 Stunden reduziert. „Und das ohne Lohnverzicht“, betont Andrea Wagner, geschäftsführende Partnerin. Trotz einiger Herausforderungen gebe es bei der 45-köpfigen Belegschaft die einhellige Meinung: „Ein Zurück zum alten Modell kann sich keiner mehr vorstellen“, so Wagner.
Die Kanzlei, zentral gelegen unweit der Rheinhausenhalle und des denkmalgeschützten Rathaus Rheinhausen, liegt damit im Trend. Einer im vergangenen Jahr veröffentlichten Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung zufolge wünschen sich rund 81 Prozent der Vollzeiterwerbstätigen eine Vier-Tage-Woche mit entsprechend niedrigerer Wochenarbeitszeit. Knapp 73 Prozent geben dabei an, eine Arbeitszeitverkürzung nur bei gleichem Lohn zu wollen.
Gleichbleibende Bezahlung? Ja, das funktioniere
Geringere Arbeitszeit bei gleichbleibender Bezahlung? Ja, das funktioniere, sind sich Wagner und die beiden weiteren geschäftsführenden Gesellschafter, Ralf van gen Hassend, Claudia Gräßler, sicher. „Umsatz und Ertrag stimmen weiterhin“, gibt Wagner einen kleinen Einblick in das Zahlenwerk. Auswirkungen auf die Produktivität, die sich bei der Steuerberatung etwa anhand von „abrechenbaren“ und „nicht-abrechenbaren“ Stunden messen lassen, seien bislang jedoch eher vage. „Da sind wir vielleicht auch nach neun Monaten zu früh dran, um da in den Auswertungen große Veränderungen zu sehen.“
Ein wesentlicher Faktor, der für die Reduzierung der Arbeitszeit sprach, war und ist die Lage auf dem Arbeitsmarkt. „Wir wollen und müssen für Beschäftigte als Arbeitgeber attraktiv sein. In unserer Branche fehlen in allen Bereichen Fachkräfte“, führt Ralf van gen Hassend an. Es sei zunehmend schwieriger geworden, Stellen zu besetzen. „Seit der Umstellung auf die Vier-Tage-Woche merken wir aber, dass sich deutlich mehr Bewerberinnen und Bewerber auf Stellenanzeigen melden.“
Die Mandantinnen und Mandanten hätten in der überwiegenden Mehrheit positiv darauf reagiert, dass das Büro freitags nun nicht mehr besetzt sei. „Einige wenige Mandanten aus der Babyboomer-Generation“, so führt Claudia Gräßler an, „können diese Maßnahme nicht so nachvollziehen, da sie selbst sehr viel arbeiten und investieren mussten“. Im Großen und Ganzen sei das aber die Ausnahme.
Notfall-Telefon wird kaum benötigt
Auch am Freitag ist ein sogenanntes Notfall-Telefon geschaltet, „es kann ja plötzlich auch einmal die Steuerfahndung vor der Tür eines Mandanten stehen“, wirft van gen Hassend schmunzelnd als schlimmsten (und höchst selten vorkommenden) Fall ein. In einer Tour klingelt das Telefon nämlich nicht.
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„Das ist vollkommen überschaubar. Natürlich sind aus Sicht der Mandanten alle Anliegen dringend. Tatsächliche Notfälle hatten wir aber nicht, zwei oder drei Fälle gab es in den neun Monaten, die etwas dringlicher waren.“ E-Mails würden inzwischen ebenfalls seltener eintrudeln am Freitag.
Zunächst Probleme mit Mehrarbeit und Überstunden
Andrea Wagner berichtet offen darüber, dass eine Arbeitsgruppe im Haus, die sich mit dem Für und Wider dieses Arbeitszeitmodells beschäftigte, „nicht wirklich vorankam“. Mit Zustimmung der Belegschaft habe man im vergangenen Juli den Sprung ins kalte Wasser gewagt. „Die grundlegende Überzeugung war da, dass dieses Modell unterm Strich für alle Seiten von Vorteil sein wird.“ Bis Ende des Jahres sollte dieser Versuch zunächst befristet sein.
Wagner und Gräßler führen aus, dass es gerade in der ersten Zeit der Umstellung zu Mehrarbeit und Überstunden kam. Darum wurden interne Abläufe, etwa Urlaubsanträge oder die Überstundenerfassung und -genehmigung, weiter digitalisiert. Besprechungen, die bis dato einmal in der Woche stattfanden, wurden auf einen zweiwöchigen Rhythmus umgestellt. Die Checklisten zur Bearbeitung wurden überarbeitet, entschlackt. „Wir sind weiterhin dabei, Abläufe zu vereinfachen“, betont Wagner.
Zuerst eine Umgewöhnung für Kolleginnen und Kollegen
„Für viele Kolleginnen und Kollegen war das natürlich erst einmal ungewohnt“, berichtet Sabine Hegger-Hoppenz, die im vergangenen Jahr im April zur Kanzlei stieß. Sie ist Assistenz der Kanzleileitung, arbeitet selbst 30 Stunden pro Woche. „Drei Monate lang habe ich noch den ‚normalen‘ Arbeitsalltag erlebt.“ Dann wurde es im Juli ernst.
DGB: Beschäftigte brauchen Entlastung
Anja Weber, Vorsitzende des DGB NRW, spricht eine steigende Zahl psychischer Erkrankungen an. Dies zeige, „dass viele Menschen mehr Entlastung brauchen. Die Vier-Tage-Woche kann eines von vielen Instrumenten sein, um der stetigen Arbeitsverdichtung entgegenzuwirken.“ Diese sei nur dann zielführend, wenn sie mit einer Arbeitszeitreduzierung einhergeht. „Wenn die Arbeitszeit einfach von fünf auf vier Tage verschoben wird, ist nichts gewonnen.“ Zudem müsse der Lohnausgleich geregelt werden.
Wenn diese Kriterien beherzigt werden, kann eine Vier-Tage-Woche auch bei der Suche nach Fachkräften helfen. „Denn gute Arbeits- und Ausbildungsbedingungen sind die besten Mittel gegen den Fachkräftemangel – und da ist die Arbeitszeitgestaltung ein wichtiges Element“, so Weber.
Der DGB-Vorsitzenden ist auch klar: „Nicht in allen Bereichen ist die Vier-Tage-Woche gleichermaßen anwendbar.“ Jede Branche müsse für sich bewerten, was der beste Weg hin zu einer besseren Arbeitszeitgestaltung ist und dies verbindlich regeln.
„Unterm Strich funktioniert es. Auch schon während der Coronazeit wurden ja viele Abläufe digitalisiert.“ Ein Zurück zum alten Modell könne sie sich nicht vorstellen. „Wenn jetzt meine Tochter keine Zeit hat, dann kann ich unsere Reitbeteiligung viel häufiger selbst nutzen“, fügt Hegger-Hoppenz, die in Willich lebt, mit einem Lachen an. Aber auch Gesprächstermine mit Lehrerinnen und Lehrern könnten entspannter gelegt werden.
Wegen der Vier-Tage-Woche zum Steuerbüro gewechselt
Die Einführung der Vier-Tage-Woche war für Niklas Ueding sogar der ausschlaggebende Punkt, ins Steuerbüro nach Rheinhausen zu wechseln. „Dieses Modell war ich auch schon von meinem vorherigen Arbeitgeber gewohnt“, berichtet der IT-Fachmann aus Mülheim an der Ruhr.
Einzelne Arbeitstage könnten schon länger werden, darüber sprechen Ueding und Hegger-Hoppenz offen. „Gerade dann, wenn es auf dem Weg ins Büro auch noch Stau gibt“, ist Niklas Ueding leid erprobt. Durch die Arbeitsorganisation könne nun aber der Freitag für private Angelegenheiten genutzt werden, die sonst etwa auf Urlaubstage gelegt werden müssten. „Arztbesuche, Friseurtermine oder Behandlungen beim Physiotherapeuten, das kann ich jetzt immer am Freitag erledigen.“
Ueding machte während der Coronapandemie die Erfahrung, dass lange Phasen der Arbeit im Homeoffice ohne direkten Kontakt zu Kolleginnen und Kollegen nicht sein Ding seien. „Das Zwischenmenschliche ging dabei verloren.“ Eine gesunde Mischung, also Zeiten Zuhause und im Büro, sollten es seiner Ansicht nach sein.
In der Kanzlei gibt es eine „stille“ Mittagszeit, von 12 bis 14 Uhr findet kein Kundenkontakt statt. „In diese Zeit fallen die Mittagspause und wir können in Ruhe Aufgaben abarbeiten“, erklärt Hegger-Hoppenz. „Manche Kolleginnen und Kollegen nutzen die Zeit auch, um mit den Hunden, die hier im Büro willkommen sind, ein Runde Gassi zu gehen.“
Keine Arbeit mehr ins Wochenende mitnehmen
Andrea Wagner, die ursprünglich in Oberhausen aufgewachsen ist und nach einer Zeit in Meißen inzwischen in Rumeln-Kaldenhausen lebt, hat für sich beobachtet, dass sie keiner Arbeit mehr mit ins Wochenende mitnimmt.
Wagner nutzt den Freitag auch dazu, strategische Überlegungen über die Zukunft der Kanzlei anzustellen. „Unter der Woche in einer Viertelstunde während zweier Termine kommt so etwas viel zu kurz. So komme ich dazu, statt ‚für‘ die Kanzlei vielmehr ‚an‘ ihr zu arbeiten.“
Eine Baustelle gibt es noch bezüglich der Auszubildenden. „Nach dem Sommer startet eine Auszubildende. Mit der betreffenden Berufsschule laufen Gespräche darüber, dass der Freitag als Unterrichtstag festgelegt wird.“ Im Büro ist dann ja schon Wochenende.