An Rhein und Ruhr. Die Politik will mit der Ausgabe von Bezahlkarten die Zahl von Flüchtlingen senken. In den Städten warnt man vor Bürokratie.

Flüchtlinge sollen demnächst ihren täglichen Bedarf mit Bezahlkarten decken. Darauf haben sich Bund und Länder im November verständigt. NRW-Integrationsministerin Josefine Paul (Grüne) erhofft sich von der Einführung dieser Bezahlkarten eine Reduzierung des Verwaltungsaufwandes. In den Kommunen an Rhein und Ruhr herrscht aber Skepsis. Der Flüchtlingsrat NRW warnt vor einer Freiheitsbeschränkung für die Betroffenen.

„Wir unterstützen eine bundeseinheitliche Lösung. Im System der Bezahlkarte stecken Chancen. Entscheidend ist, dass damit am Ende der Verwaltungsaufwand für die Versorgung von Geflüchteten reduziert werden kann“, sagte Paul am Dienstag. Auch Geflüchtete hätten womöglich Vorteile von der Bezahlkarte, „wenn sie sich nicht zu einer bestimmten Zeit an einer bestimmten Stelle anstellen müssen“, so die Ministerin.

Das Ziel: Anreize für Zuwanderung senken

Tatsächlich ist die geplante Einführung der Bezahlkarte vor allem ein Versuch, vermeintliche Anreize für die Zuwanderung zu verringern. Wenn demnächst ein Teil der Leistungen als Guthaben auf eine Karte gebucht wird, können Asylbewerber kein oder nur noch wenig Geld in die Heimat überweisen. Damit sinke ein Anreiz, nach Deutschland zu kommen, so das Kalkül. Auf die Einführung der Bezahlkarten hatten sich Bund und Länder im November geeinigt, bis Ende Januar sollen erste Standards für das Projekt vorliegen.

In Moers könnten nach Angaben der Stadt zwischen 300 und 400 Menschen Empfänger dieser Bezahlkarten werden. Stadtsprecher Klaus Janczyk ist von der Idee allerdings nicht überzeugt. Er erinnert an die Neunzigerjahre, als Asylbewerber Warengutscheine erhielten. Die Stadt Moers habe damit keine guten Erfahrungen gemacht. „Die jetzigen Überlegungen würden unweigerlich zu einem personellen Mehraufwand führen“, gibt er zu bedenken.

Frank Helling, Sprecher der Stadt Oberhausen, hinterfragt grundsätzlich die Stoßrichtung des Projekts. Für ihn sei es „nur schwer vorstellbar“, dass Fluchtentscheidungen in den Krisengebieten davon abhängig gemacht würden, in welcher Form Unterstützungsleistungen gewährt werden. „Eine Geldkarte dürfte verschwindend geringen Einfluss auf die Fluchtbewegungen haben“, so Helling.

Eine Geldkarte dürfte verschwindend geringen Einfluss auf die Fluchtbewegungen haben.
Frank Helling - Sprecher der Stadt Oberhausen

Sollte die Bezahlkarte kommen, müsse das Land die Kosten der Einführung übernehmen und entsprechende Verträge mit Anbietern schließen, so Helling weiter. Der zusätzliche Verwaltungsaufwand dürfe nur moderat sein, das hätten die Kommunen auf der Ebene des Städtetages bereits gefordert, betont der Stadtsprecher. In Oberhausen beziehen derzeit etwa 550 Menschen Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz.

Auch der Essener Sozialdezernent Peter Renzel fordert: „Es darf auf keinen Fall neue Bürokratie entstehen.“ Renzel, prinzipiell ein Befürworter der Bezahlkarte, sieht noch viel Wasser den Rhein oder die Ruhr herunterfließen, bis das Projekt realisiert wird. Er rechnet mit einem bundesweit flächendeckenden Einsatz der Bezahlkarte frühestens im kommenden Jahr, weil noch eine Menge Details zu klären seien, etwa, ob Flüchtlinge mit der Karte auch online einkaufen können werden. Zudem müsse das Projekt gesetzlich verankert und die technische Infrastruktur ausgeschrieben werden.

Der dem Projekt wegen seiner Zielrichtung kritisch gegenüberstehende Flüchtlingsrat NRW kann der Bezahlkarte immerhin einen positiven Aspekt abgewinnen. In Einzelfällen, so Geschäftsführerin Birgit Naujoks, könne eine solche Karte eine Erleichterung für Flüchtlinge sein, nämlich für solche, die Probleme mit der Eröffnung eines Bankkontos hätten.

65.000 Asylsuchende in NRW im vergangenen Jahr

In Nordrhein-Westfalen wurden im Jahr 2022 rund 65.000 Asylsuchende gezählt, im Jahr davor waren es etwa 50.750. Haupt-Herkunftsländer waren Syrien, Türkei, Afghanistan, Iran und Irak. Die Prognose für das Jahr 2024 liegt bei rund 70.000 Asylsuchenden.

Seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine haben etwa 230.000 Ukrainerinnen und Ukrainer Schutz in NRW gesucht, so Paul. Diese Zahl sei aber ungenau. Tatsächlich wisse die Landesregierung nicht, wie viele Menschen aus der Ukraine sich tatsächlich in NRW aufhielten. Der Grund: Ausreisende müssten sich nicht abmelden. Viele dieser Geflüchteten pendelten zwischen ihrem Heimatland und NRW hin und her. Am Tag würden derzeit täglich im Schnitt 39 Geflüchtete aus der Ukraine gezählt, kurz nach Kriegsausbruch seien es täglich zehnmal mehr gewesen.

In NRW leben aktuell rund 60.000 ausreisepflichtige Geflüchtete. Die überwiegende Mehrheit besitzt eine Duldung, weil zum Beispiel Reisedokumente fehlen oder die Geduldeten berufstätig sind. Im vergangenen Jahr wurden laut der Bundespolizei 3379 Geflüchtete aus NRW abgeschoben. Rund 2500 reisten freiwillig aus.