Tönisvorst. Gabriele Schovenberg bereitet alte Industriemöbel auf. Welche kuriosen Schätze sich in ihrer Werkstatt in Tönisvorst verstecken.
Die Augen irren umher, wissen kaum, wo sie zuerst stoppen sollen. Da ist die alte Werkbank, auf der schillernde Weingläser stehen, da ist der rostige Arztschrank, in dem kleine Apothekerflaschen aufgereiht sind, da ist ein riesiger Obduktionstisch... Moment mal, ein Obduktionstisch? Gabriele Schovenberg nickt. „Der ist von 1910“, sagt sie. Und damit vielleicht eines der ältesten Dinge in ihrer vollen, wirklich proppevollen Werkstatt. Wobei, „der Soldatenspind dort drüben“, sie zeigt auf einen weißen Schrank, „der ist wahrscheinlich auch so von 1905.“ Manch einer könnte zwischen all den Möbelstücken und Kinkerlitzchen vielleicht den Überblick verlieren... Aber nicht sie, immerhin ist sie „Frau Werkstatt“!
Das war aber natürlich nicht immer so. „Ich bin gelernte Krankenschwester“, erzählt Gabriele Schovenberg. Deshalb auch das Schränkchen mit der Aufschrift „Luftschutzhausapotheke“ oder die Lehrtafel zur „Anatomie: Haut und Zunge“? „Vielleicht“, sagt sie und lacht. Dabei fing ihre Leidenschaft für Secondhand eigentlich ganz anders an: „Als ich meinen Mann kennengelernt habe, bin ich bei ihm in der Firma für Gebrauchtmaschinenhandel miteingestiegen.“ Mit der Zeit machte sie dann eine Entdeckung. „Viele Holländer haben alte Werkbänke gekauft und sie dann in einer tollen Location aufgestellt, um dort irgendwelche Sachen zu präsentieren.“
Upcycling mit Feingefühl
Das könnte sie, die ja direkt an der Quelle sitzt, doch auch... „Mein Mann war aber erst nicht gerade begeistert“, erinnert sich Gabriele Schovenberg. Schließlich braucht er Platz für seine Maschinen, nicht für alte Möbel! Erst, als eine Halle auf dem Hof frei wurde, konnte sie endlich loslegen. „Eigentlich wollte ich nur einen kleinen Raum haben“, sagt sie. Daraus sind längst drei große Räume geworden und wenn sie ganz ehrlich ist, stehen vorne im Eingang auch immer mehr Sachen von ihr... Denn aus der anfänglichen Idee ist ein richtiges Geschäft geworden: „Ich fahre auf viele Antikmärkte, um dort nach alten Schätzen zu suchen.“ In Belgien, Frankreich, Tschechien ist sie unterwegs, aber auch in den Niederlanden oder in Sachsen und Thüringen.
Mal schnappt sich „Frau Werkstatt“ für ihre Fahrten den familieneigenen Anhänger, mal beauftragt sie einen externen Spediteur. Denn es kann auch schon mal passieren, dass sie bei einer Firmenauflösung 60 Schränke und 1000 Palettentische kauft. „Das grüne Schränkchen ist daher“, erklärt sie. Ja, tatsächlich, sie weiß, wo und wie und wann sie jedes einzelne Teil gefunden hat. „Die sind ein bisschen wie meine kleinen Kinder“, sagt sie mit einem Augenzwinkern. „Jedes Teil hat eine Seele.“ Deshalb behandelt sie ein Fundstück auch immer mit viel Feingefühl. Beispielsweise dieser Schrank aus einer Arztpraxis, „an dem arbeite ich gerade“, sagt sie und klappt die Abdeckung auf. „Der Verschluss muss neu gemacht werden und dann säubere ich ihn.“
Echte Sammlerstücke
Vorsichtig streicht Gabriele Schovenberg über die abgeblätterte Farbe. „Sonst bleibt alles so.“ Klar, wenn es gewünscht ist, kann sie den Schrank auch abschmirgeln und lackieren. Die meisten aber möchten genau diesen „Used-Look“, der jedes Teil zum Unikat macht. So, wie der Bäckereitisch, bei dem sich die Regale einklappen und die Platten dranhängen lassen, „und schon hat man einen fahrbaren Tisch“. Das Exemplar ist leider schon verkauft, „an einen Wohnaccessoire-Laden in Krefeld“, erzählt sie. Aber auch Privatleute finden Gefallen an ihren Industriemöbeln. „Die Werkbank hier kommt in ein Wohnzimmer in Geldern, das sonst ganz clean eingerichtet ist.“ Das ist dann der Hingucker schlechthin, „und den hat auch nicht der Nachbar oder Golffreund.“
Zu Besuch bei „Frau Werkstatt“
Gabriele Schovenberg öffnet ihre Werkstatt, Unterweiden 122 in Tönisvorst, samstags von 10 bis 17 Uhr und nach telefonischer Vereinbarung: 0172/9298857. Per E-Mail ist sie ebenfalls erreichbar: schovenberg.Gaby@web.de
Zudem bietet „Frau Werkstatt“ ihre alten Industriemöbel und anderen Schätze online auf der Plattform Kleinanzeigen an.
Eines aber muss klar sein: Alles ist zwar Secondhand, aber nicht alles ist auch preiswert. Denn in der Werkstatt versteckt sich so manches Sammlerstück, so wie ein unscheinbarer Hocker... „Das ist ein Rowac“, erklärt sie. „In der Möbelwelt ist das ein Name, wie in der Modewelt Dior oder Chanel.“ Klar, das Wissen musste sie sich auch erst aneignen, aber da kam ihr vor drei Jahren, als sie gerade mit ihrer Arbeit begonnen hatte, ein glücklicher Zufall zu Hilfe. „Über Kleinanzeigen habe ich einen Sammler in Bayern kennengelernt, der altersbedingt alles verkaufen wollte“, erzählt sie. Der Fachmann konnte ihr so manche Tipps geben und zudem echte Schmuckstücke verkaufen.
Ein Beichtstuhl in der Werkstatt
Aber gönnen sich die Leute wirklich eine „Opel Blitz-Werkbank“ für über 2000 Euro? Ja! „Immer mehr jüngere Leute finden Upcycling toll“, weiß Gabriele Schovenberg. Das ist schließlich etwas anderes als Schwedenmöbel, die sonst in jeder Wohnung stehen... „Und viele haben tolle Ideen!“ So kann sich ein alter Spind auch schon mal in einen Fernsehtisch verwandeln. „Einmal hatte ich auch einen Beichtstuhl“, erzählt sie. Was daraus geworden ist? Nunja, es gab verschiedene Interessenten... „Dann aber hat ihn die katholische Kirche gekauft.“ Doch so sehr sie jedes Stück auch mag, so sehr freut sie sich, wenn die alten Möbel ein neues Zuhause finden. Nur der Obduktionstisch, der hat es ihr schon angetan... „Den würde ich mir sonst auch in den Garten stellen“, sagt sie. Aber bald ist er verkauft, ganz sicher, und das ist für sie auch in Ordnung. „Dann habe ich zumindest wieder Platz für Neues.“