Am Niederrhein/Benin. Medizinerinnen und Mediziner vom Niederrhein reisten in den afrikanischen Busch, ins Projekt der Kevelaerer Aktion pro Humanität.
Wir sind platt. 35 Grad wärmer als am Niederrhein, dazu das feucht-tropische Klima, die Klamotten kleben auf der Haut, der rote Staub, der der Straße in den afrikanischen Busch rechts und links ein weiches Bett schenkt, schenkt uns eine raue Patina und findet seinen Weg überall hin, in die Haare, in den Mund, in die Taschen, auch wenn die fest verschlossen sind. Mehr als 20 Stunden Anreise, eine kurze Nacht im Hotel und dann weiter im Minibus in den westafrikanischen Busch hinein, ins Centre Medical Gohomey, dorthin, wo die Kevelaerer „Aktion pro Humanität“ (APH) seit sage und schreibe fast 30 Jahren humanitäre Hilfe leistet. Wir sind elf dieses Mal, Medizinnerinnen und Mediziner, Pflegerinnen und Pfleger, APH-Vorstandsteam - und wir haben alle auf einmal Tränen in den Augen. An der drei Kilometer langen, holprigen Zufahrt von der einzigen asphaltierten Durchgangsstraße des Landes zum APH-Krankenhaus weist ein mächtiger Betonklotz den Weg und oben auf diesem Sockel, da prangt ein dicker fetter Buchstabe, ein weißes „H“ auf blauem Grund“. - „Wir haben den Hospital-Status“, jubelt es im Bus. „H“ für Hospital-Status, das bedeutet, dass das einstmals kleine Buschkrankenhaus nun tatsächlich ein vom beninischen Staat anerkanntes Hospital ist - mit allem, was dazu gehört, mit allen Rechten und Pflichten. Das macht stolz, froh und dankbar - und es zeigt den Weg in die Zukunft.
„Wir sind jetzt das 45. Hospital in Benin. Wir sind in der Gesundheitspyramide aufgestiegen - endlich“, freut sich APH-Vorsitzende und Kevelaerer Medizinerin Dr. Elke Kleuren-Schryvers. Mit einer kleinen Krankenstation fing vor knapp 30 Jahren alles an - inzwischen ist das Hospital der APH Arbeitgeber für mehr als 100 Beschäftigte, verfügt über europäischen medizinischen Standard mit u.a. OP-Container, Radiologie, Geburtshilfe, einem 80 Betten großen stationären Bereich, sogar einer zahnmedizinischen Praxis. „Mein Dank, unser aller Dank gilt unseren Spenderinnen und Spendern, ohne die wir das nicht hätten stemmen können“, so APH-Vorstandsmitglied Dr. Rüdiger Kerner (Chefarzt am Kevelaerer Marienhospital), der die kleine endoskopische Abteilung weiter aufbauen möchte.
Der nun offizielle Hospital-Status ermöglicht die ein oder andere finanzielle Unterstützung seitens des Staates (Material und Medikamente), die Teilnahme an Versorgungsprojekten und Ernährungsprogrammen - aber verpflichtet auch, neue administrative Anforderungen - vom Buchhaltungssystem bis zu neuen detaillierten Dokumentationsstandards - in kürzester Zeit umzusetzen.
Einmal im Jahr - mindestens - macht sich eine Truppe vom Niederrhein auf, um medizinisch und auch organisatorisch vor Ort mitanzupacken. Und dieses Mal war die Doktoren-Zahnarztfamilie Klein/Sturm aus Kevelaer wieder mit dabei, der Moerser Kinderarzt Dr. Hans-Hermann Pieper, der Internist Dr. Rüdiger Kerner (Kevelaer), der APH-Vorstand natürlich u.a. mit Dr. Elke Kleuren-Schryvers und Henrike van Briel, Silvia Köbbel war wieder mit und medizinische Experten, u.a. Dirk Henricy und Annemarie Pieper (Xanten).
Und die Mission servierte Schönes, Trauriges, Erschütterndes und Mutmachendes. So bereitete schon gleich bei einer ersten Visite eine junge, im siebten Monat schwangere Frau, große Sorgen. Die Frau litt unter einem großen entzündeten Zahnabzess - in einer Region, in der es keine zahnmedizinische Versorgung gibt, oft noch ein Todesurteil. Der Frau konnte mit einem operativen Eingriff geholfen werden - niederrheinisches Teamwork mit Dr. Katrin Storm, Dr. Roland Klein und Dr. Rüdiger Kerner. Und noch eine gute Nachricht aus der zahnmedizinischen Abteilung: Die junge beninische Zahnärztin Dr. Liliane wird im nächsten Jahr ihre Arbeit im Hospital aufnehmen - in dem kleinen Praxishäuschen, das die Familie Klein installiert hat.
Sorgenfalten hat immer der Kinderarzt, Dr. Pieper. Viele mangelernährte Babys, viele Neugeborene, deren Mütter bei der Geburt oder wenig später danach starben. Das jüngste Sorgenkind war vier Wochen alt und wog 1780 Gramm. „Wir haben schon die Befürchtung, dass die Zahl der illegalen Entbindungen wieder zunimmt, weil die Landbevölkerung sich eine „gesunde Geburt“ inzwischen wieder kaum leisten kann“, so Elke Kleuren-Schryvers. Auch aus diesem Grund hat APH seinen sozialmedizinischen Hilfsfonds noch einmal aufgestockt, um helfen und unterstützen zu können. Die Rotarier aus Xanten und Geldern helfen dabei! Dazu gehört auch Nahrungs- und Medikamentenhilfe auf den Dörfern. Madame Jacqueline kümmert sich schon seit vielen Jahren um das Ernährungsprogramm für Familien dort - mit dem Busch-Mofa begleiteten die Niederrheiner*innen sie und die Sozialarbeiterin Marie-Michelle auf holprigen und abenteuerlichen Trampelpfaden bis in die Hütten der von APH betreuten Familien.
Und manchmal gibt es auch ganz besondere Sternstunden. Evelyne sorgte für so eine. Evelyne Kakpo ist heute 31 Jahre alt und kam als kleines Mädchen ins Waisenhaus der APH. Evelyne hatte eine angeborene Deformation - ihr rechter Fuß war an ihrem Knie angewachsen - sie musste operiert werden, das Bein wurde teilamputiert. Ein stilles, in sich zurückgezogenes Mädchen, erinnert sich Elke Kleuren-Schryvers. Doch Evelyne fand ihren Weg, machte ihr Abitur, studierte Lehramt (Englisch) an der Uni in Cotonou und ist heute eine der führenden Kräfte im Behindertensport-Nationalkader Benins, hat ihren Badminton-Trainerschein gemacht und möchte mit ihrem National-Team an den übernächsten Paralympics teilnehmen.
Und dann machte der neue Deutsche Botschafter in Benin, Dr. Stefan Buchwald, sogar seinen Antrittsbesuch im Projekt - und war beeindruckt. „Dass das Medical Centre Gohomey etwas Besonderes ist, das ahnte ich schon. Aber was ich hier nun gesehen habe, ist wirklich sehr, sehr beeindruckend.“ Viel Lob, das vielleicht, so hoffen die Aktiven der APH, helfen kann, die kilometerlange Rumpelstrecke durch den Busch zum Hospital endlich befestigen zu lassen...