Essen. Der Essener Hausarzt Sebastian Krehl könnte viel mehr Patienten annehmen - doch das macht für ihn keinen Sinn. Warum die Ärzte nun protestieren.

Am Mittwoch, 15. November, bleiben bei vielen Arztpraxen an Rhein und Ruhr Anrufe und E-Mails unbeantwortet. Das „Aktionsbündnis Praxenkollaps – Nordrhein“ protestiert damit unter dem Motto „Lauterbach steht auf der Leitung“ gegen die Gesundheitspolitik der Bundesregierung. Damit soll den Menschen gezeigt werden, wie es ist, wenn immer mehr Praxen schließen müssen. Auch die meisten Apotheken in der Region bleiben dicht.

Ärzte protestieren „für und mit Patienten“

Hausarzt Sebastian Krehl aus Essen ist einer der Ärzte, die sich an dem Protesttag beteiligen. Der 40-Jährige betreibt eine eigene Praxis, mit seinem Vater als angestelltem Arzt, der zehn Stunden pro Woche übernimmt, wie Krehl berichtet. „Wir kriegen Patienten ohne Ende, die wir in der Zeit, die wir haben, nicht bewältigen können.“ Und etwa 20 Prozent der erbrachten Leistungen bekommen die Ärzte nicht bezahlt“, beklagt er. Er bekomme eine Grundpauschale von 30 Euro pro Quartal für einen Patienten. Für chronisch kranke Menschen gebe es kleinere Zusätze.

Damit seien aber nicht alle Leistungen bezahlt. „Es wäre schön, wenn man das, was man arbeitet, auch vergütet bekommen würde“, sagt Krehl. „Ich kann ja auch keinem Klempner erzählen, er soll sich im Quartal zehn Mal meine Wasserhähne angucken. Das macht er zwar gerne, aber dann stellt er mir auch jedes Mal eine Rechnung aus.“

Praxen haben steigende Kosten zu tragen

Der Essener Arzt beklagt steigende Kosten durch Löhne, Energie und Mieten. Aber es gehe bei dem Aktionstag nicht nur um Geld, betont er. „Wir machen das mit und für unsere Patienten.“ Es gehe um ein Gesamtpaket. „Wir nehmen seit zwei Jahren keine neuen Patienten mehr an, weil es nichts bringt, 2000 Patienten zu haben, die dann aber lange auf einen Termin warten müssen.“

Mit der telefonischen Krankschreibung während der Pandemie sei es einfacher gewesen. „Ich habe das Wartezimmer voll, es schnieft und hustet, und viele wollen eine Krankschreibung.“ Jeder Patient müsse aber zuvor vom Arzt gesehen werden. „Das könnte man auch delegieren. Eine gut ausgebildete Medizinische Fachangestellte sieht, ob eine Arbeitsunfähigkeit vorliegt oder nicht.“

KVNO-Chef warnt vor Kollaps der ärztlichen Versorgung

„Die wohnortnahe ambulante Versorgung, wie wir sie kennen, ist in akuter Gefahr“, warnt KVNO-Vorstandschef Frank Bergmann. Unmut, Frust, Ärger und Existenzängste unter Vertragsärzten seien groß wie selten zuvor. Betroffen sind nach Angaben der KVNO aber unter anderem auch Zahnärzte und Apotheker. Insgesamt beteiligen sich demnach 36 ärztliche und psychotherapeutische Berufsverbände und Versorgergruppen aus Nordrhein an dem Protesttag.

Der 15. November ist dabei nicht willkürlich als Protesttag gewählt. Nach Berechnungen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung ist der Tag der sogenannte „Zero Pay Day“ für die Praxen – also der Tag, ab dem sie für ihre Leistungen nicht mehr bezahlt würden. Die Ärzte und Psychotherapeuten arbeiten dann, so die KVNO, aufgrund der bestehenden Budgetierung ihrer Honorare umsonst. „Die Praxen bekommen ihre Leistungen de facto bis Jahresende nicht mehr bezahlt.“

Dadurch, aber auch durch „ein überbordendes Maß an Bürokratie“ würden die niedergelassenen Ärzte immer mehr ins Abseits gedrängt werden, beklagt Bergmann. Das nehme ihnen „jeden Handlungsspielraum – sowohl finanziell als auch mit Blick auf den ärztlichen Beruf.“ Wenn die Politik keine Verantwortung übernehme, so warnt der KVNO-Chef weiter, werde die vertragsärztliche Versorgung in Deutschland künftig nicht mehr das leisten können, was man von ihr erwartet. Deswegen werde man solange wie nötig auf den drohenden Kollaps des ambulanten vertragsärztlichen Systems aufmerksam machen.

Höhere Kosten und unbezahlte Leistungen

350 Millionen Euro seien allein im letzten Jahr nicht von den Krankenkassen an die Ärzte im Rheinland ausgezahlt worden, berichtet KVNO-Sprecher Christopher Schneider. „Die entsprechenden Leistungen wurden durch die Budgetierung quasi umsonst erbracht.“ Derzeit seien es 80 Prozent der Hausärzte im Rheinland, „die das von den Kassen zur Verfügung gestellte Budget pro gesetzlich krankenversichertem Patienten überschreiten und damit im Schnitt mindestens 10 Prozent ihrer erbrachten Leistungen dann nicht mehr voll oder nur gestaffelt vergütet bekommen“, so Schneider.

Gleichzeitig haben die Praxen mit allgemeinen Kostensteigerungen zu kämpfen. „Etwa für Personal oder Strom. Ohne adäquate Honorarsteigerungen einerseits und einer zeitnahen bundespolitisch umgesetzten Entbudgetierung fürchten wir, dass in naher Zukunft viele Praxen im Land kollabieren werden.“

Auch Apotheken protestieren gegen Gesundheitspolitik

Neben den Arztpraxen beteiligen sich aber auch die Apotheken an dem Aktionstag. „In den Ländern, in denen zum Protest aufgerufen wird – NRW, Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland – gibt es rund 6000 Apotheken. Wir gehen von einer sehr hohen Streikbereitschaft aus“, sagte Thomas Preis, Vorsitzender des Apothekerverbandes Nordrhein. In diesen Ländern sollen am Mittwoch insgesamt nur rund 500 Notdienst-Apotheken geöffnet bleiben.

Auch die Apotheken stünden laut Thomas Preis wegen unzureichender Honorare und Vergütungen unter einem enormen Druck. Lieferengpässe bei Medikamenten verursachten zusätzliche Kosten. Die Zahl der Apotheken in NRW sinke rasant – von etwa 5200 im Jahr 1990 auf voraussichtlich weniger als 3700 zum Jahresende 2023. Jede zehnte Apotheke in NRW sei akut von der Schließung bedroht, so Preis.

Zu einer zentralen Kundgebung am Mittag in Dortmund werden tausende Apothekerinnen und Apotheker sowie Ärztinnen und Ärzte aus NRW, Rheinland-Pfalz, Saarland und Hessen erwartet.

Durchgängig erreichbar ist am Mittwoch der Ärztliche Bereitschaftsdienst unter der Nummer 116 117. Informationen, welche Apotheke Notdienst hat, gibt es darüber hinaus auf www.aponet.de und über die kostenfreie Festnetznummer 0800 00 22 8 33.