Rheinbach. In den Gefängnissen in NRW sitzen immer mehr Menschen, die älter als 60 sind. In Rheinbach gibt es für sie eine spezielle Abteilung. Ein Besuch.

Der Mann mit dem langen grauen Vollbart zeigt auf den Verband um sein linkes Knie. „Muss in Fröndenberg gemacht werden.“ Sei wohl eine Arthrose. „Kein Problem, hatte ich an beiden Knien. Zwei Schnitte und fertig“, sagt ein Mitgefangener, der mit 82 Jahren einer der ältesten Männer ist, die in Nordrhein-Westfalen hinter Gitter sitzen. In Fröndenberg im Kreis Unna ist das nordrhein-westfälische Justizkrankenhaus, etwa 150 Kilometer nördlich von Rheinbach, wo die beiden Männer inhaftiert sind. Sie sind in einer speziellen Abteilung untergebracht. Einer für „Lebensältere“.

Der demografische Wandel zeigt sich auch in den Gefängnissen an Rhein und Ruhr. Im vergangenen Jahr saßen zum Stichtag 31. März in Nordrhein-Westfalen 577 Menschen hinter Gittern, die älter als 60 Jahre waren, viermal mehr als im Jahr 1990. Im Terminus des Justizvollzugs sind diese Menschen „lebensälter“. In zwei Gefängnissen in NRW gibt es für diese Inhaftierten spezielle Abteilungen. Eine befindet sich im Gefängnis in Rheinbach südlich von Bonn, einer 1914 gebauten Haftanstalt mit Platz für bis zu 613 Gefangene. Derzeit sitzen im viergeschossigen Hafthaus 580 Männer ein. In der Abteilung für Lebensältere, im Gefängnisjargon LEA genannt, sind es 16.

Ein langer Flur, von Neonlicht erhellt, cremefarbene Wände, weinrote Zellentüren, Grünpflanzen auf Rollbrettern. Es riecht nach kaltem Rauch und Reinigungsmitteln. Im kleinen Gemeinschaftsraum gluckert das Wasser in einem Aquarium, daneben stehen ein Kickertisch und eine zusammengeklappte Tischtennisplatte. An den Wänden hängen bunte Zeichnungen. Ein Gefangener spielt an einem Computer Mahjong. Drei andere unterhalten sich. Dass sie hier zusammensitzen, sich auf dem Flur treffen können oder in der Gemeinschaftsküche Kuchen backen können, ist der wohl größte Unterschied zum normalen Knastalltag.

Die Männer sehen mehr in die Vergangenheit als in die Zukunft

Die Abteilung ist „nach innen gelockert“, sagt Natascha Kremer. Heißt: Die Zellentüren sind tagsüber geöffnet. Die 44-jährige Sozialarbeiterin ist die Leiterin der Wohngruppe. Früher hat sie in der Altenpflege gearbeitet. Verständnis und Empathie für die Bedürfnisse älterer Menschen sind wichtig in ihrem Job. Die Männer, die hier einsitzen, sagt sie, haben oft einen erhöhten Redebedarf. Anders als beim Gros der Inhaftierten, das in Rheinbach wie generell in NRW zwischen 30 und 39 Jahre alt ist, verengt sich die Lebensperspektive der Männer auf der LEA, häufige Gesprächsthemen sind der Tod oder Krankheiten. Die Sicht auf das Leben ist oft in die Vergangenheit, selten in die Zukunft gerichtet.

Normalerweise werden in der Abteilung Gefangene aufgenommen, die älter als 60 Jahre sind. Um hier unterzukommen, müssen sie sich bewerben. Grundsätzlich sollen die älteren Gefangenen altersgemischt untergebracht werden, sagt ein Sprecher der Landesjustizvollzugsdirektion. Damit werde den Empfehlungen des Europarates gefolgt wonach „Gefangene im fortgeschrittenen Alter so untergebracht werden sollen, dass sie ein möglichst normales Leben führen können und nicht von den allgemeinen Gefangenen abgesondert werden.“ Für manche der älteren Inhaftierten ist das Leben im normalen Knastalltag aber zu laut und zu beschwerlich. Sie brauchen ihre Ruhe.

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„Draußen weht ein rauer Wind. Auf den normalen Abteilungen ist bis zum Einschluss Lärm“, sagt Robert H. in seiner Zelle. H. ist ein untypischer Insasse auf der LEA. Er ist erst 55 Jahre alt. „Manche altern im Gefängnis schneller“, sagt Natascha Kremer. „Hier drin merkt man jeden Monat“, formuliert es der Gefangene. H. trägt einen ockerfarbenen Overall, an seiner Zellentür steht „Baukolonne“. Er ist als eine Art Hausmeister beschäftigt. In seiner Zelle hängen Bilder der Familie an der Wand. Ob und wann er sie wieder sehen wird, ist offen. H. verbüßt eine lebenslange Haftstrafe. Zum Delikt äußert er sich nicht. Er sagt nur, dass er seine Strafe verdient habe.

H. sitzt bereits seit zehn Jahren im Gefängnis. Auf der Abteilung für die Lebensälteren ist er seit knapp einem Jahr. Es hat drei Monate gedauert, bis sein Antrag auf die Verlegung hierhin durch war. „Wir haben bestimmte Anforderungen“, erklärt Renate Gaddum, die Leiterin der JVA. Die Gefangenen müssen gemeinschaftsfähig sein, drogenabstinent, nicht suizidal, und sie müssen mit „offenen Türen leben“ können. Man lege in der Abteilung viel Wert auf das soziale Miteinander. „Das ist hier schon ein anderes soziales Umfeld“, sagt der Gefangene H., Streit gebe es so gut wie nie untereinander. „Wir kommen hier alle gut klar miteinander.“

Die Abteilung ist auch baulich auf die Bedürfnisse der älteren Männer zugeschnitten. In den Duschen gibt es Haltegriffe, die Betten sind erhöht, die gesamte Unterbringung ist barrierefrei. Regelmäßig wird Gedächtnistraining angeboten. H. gefällt das: „Man ist ja ein bisschen eitel und will sich nicht eingestehen, dass man das braucht. Aber das ist nicht verkehrt.“ Wichtiger ist ihm aber, dass er arbeiten kann, so wie insgesamt elf der sechzehn Männer auf der Abteilung. „Man muss schauen, dass man in Bewegung bleibt und nicht einschläft“, sinniert er. Er ist froh, in der Abteilung untergekommen zu sein. „Hier finde ich die Ruhe, die ich brauche.“

Manchmal werden die Mitarbeiter zu Pflegekräften

Normalerweise werden Gefangene, die kurz vor ihrem Lebensende sind oder zu Pflegefällen werden, entlassen. „Es gibt aber Delikte, die es schwierig machen, Gefangene zu enthaften, etwa Mord, Totschlag oder Sexualdelikte“, sagt JVA-Leiterin Gaddum.

In der JVA Hövelhof im Kreis Paderborn gibt es mittlerweile eine Pflegeabteilung mit 29 Plätzen für solche Gefangene. Weil die aber häufig voll ist, werden JVA-Bedienstete manchmal selbst zu Pflegekräften. Kürzlich haben sie in Rheinbach einen Pflegedienst für einen dementen Gefangenen hereingeholt. Die JVA-Bediensteten haben geholfen, ihn zu waschen. „Da war ich stolz auf meine Mitarbeiter“, sagt Gaddum.