Bunschoten-Spakenburg. Spakenburg in der Provinz Utrecht ist die Heimat der niederländischen Fischhändler. Das hat einen Grund. Hier ist die Geschichte dahinter.
Lecker, so ein Kibbeling! Frisch von der Fischbude in Zandvoort gehört das frittierte Seelachs- oder Seehecht-Filet zu den beliebtesten Snacks nicht nur deutscher Urlauber in dem niederländischen Ferienort. 90 Prozent von ihnen würden sicher auf die Frage, wo denn der Kibbeling, den sie sich gerade schmecken lassen, wohl herkommt, sagen: „Ja, hier aus der Nordsee.“
Eine schöne Illusion. Der Kibbeling hat nämlich schon eine weite Reise hinter sich, bevor er in Zandvoort, auf dem Markt in Enschede, Venlo, Arnheim oder Wesel ankommt. „Der Kibbeling ist aus den USA“, verrät Henk de Jong.
Er ist einer der 200 Fischhändler, die in Spakenburg ihren Sitz haben. Seit einer Gebietsreform, in der zwei Nachbargemeinden zusammengelegt wurden, heißt der 21.000 Einwohner zählende Ort in der Provinz Utrecht seit den 1960er-Jahren Bunschoten-Spakenburg. Aus dem kleinen Fischerdorf mit seinem malerischen Hafen am Eemmeer ist die Hauptstadt des Fischhandels in den Niederlanden geworden.
Arbeitslos durch Abschlussdeich
1923 gründete sich hier die Spakenburgse Vishandel Vereniging (SVV). In Bunschoten lebten vorwiegend Bauern, in Spakenburg die Fischer. Mit ihren Plattbodenschiffen fuhren sie auf die Zuiderzee hinaus, die südliche Bucht der offenen Nordsee (heute das Ijsselmeer), und am Ende des Tages zappelten in ihren Netzen viele Fische: Heringe, Schollen, Steinbutte, Anchovis, Garnelen und Stinte, eine kleinere Heringsart.
Ein schönes Leben und ein sicheres Einkommen für viele Familien in Spakenburg – bis die meisten von ihnen plötzlich arbeitslos wurden.
Um die Niederlande besser vor den Gefahren des Wassers zu schützen und um Land zu gewinnen, wurde zwischen Den Oever in Noord-Holland und Zurich bei Harlingen in der Provinz Fryslan der 1932 fertiggestellte Abschlussdeich gebaut. Der 32 Kilometer lange Damm riegelt die Nordsee ab, hinter dem Abschlussdeich beginnt das Ijsselmeer – und aus der Zuiderzee wurde ein süßes Gewässer.
„Das hat den meisten Fischern im Ort die Lebensgrundlage weggenommen“, berichtet Jan Bos vom Historischen Verein Spakenburg.
Statt massenhaft Salzwasserfische wie Heringe und Garnelen, fanden die Fischer nun nur noch ein paar Aale oder Barsche vor – ein neuer Plan musste her. Es war die Geburtsstunde Spakenburgs als Zentrum des Fischhandels.
„Die ersten Fischer sind mit dem Lastenfahrrad herumgefahren, teilweise sogar bis nach Arnheim“, berichtet Elbert Jan Koelenwijn.
Er ist heute einer der größten Fischhändler im Ort, hat 25 Angestellte und mehrere hochmoderne mobile Fischbuden. So wie Elbert Jan Koelenwijn machen es inzwischen 170 Fischhändler in Spakenburg. Sie fahren mit ihren Wagen durchs ganze Land und verkaufen auf Märkten oder eben am Strandboulevard von Zandvoort Fisch.
Der wird zwar nicht mehr vor Spakenburg gefangen, ist aber trotzdem frisch. Im Ort gibt es nur noch einen einzigen Fischer, der mit seinem Plattbodenboot aufs Wasser hinausfährt. Im Ansjovisweg im Spakenburger Industriegebiet aber werden täglich 20 bis 30 Tonnen Fisch umgesetzt – aus der Nordsee aber kommt eben das Wenigste davon.
Thunfisch aus Sri Lanka
Der Lachs kommt aus Norwegen, klar, der Seelachs auch, oder aus Dänemark, genau wie der Kabeljau und der Matjes. Doraden und Wolfsbarsche werden aus Griechenland geliefert, Anchovis, Sardinen und Sardellen aus Italien. Die Crevetten für Feinschmecker in Frankreich? Sind aus Südamerika. Der Seehecht ist aus Namibia, der Viktoriabarsch aus Uganda und der Thunfisch aus Sri Lanka. Heimische Fische aus der Nordsee, sozusagen regionale Produkte, sind die Schollen. Die sind tatsächlich aus dem niederländischen Teil der Nordsee.
„Wenn wir nur Fisch aus der Gegend nehmen würden, hätten wir schon längst dichtmachen können“, betont Henk de Jong.
Morgens um 4 Uhr stehen die ersten LKW vor dem Tor, dann beginnt in den mit etwa sieben Grad kühlen Hallen im Ansjovisweg die geschäftige Arbeit. Kisten um Kisten tiefgekühlter Fisch werden angeliefert, vor allem montags ist das Gedränge groß. Auch wenn die Fische eine weite Reise hinter sich haben, ist die Ware so frisch, als wäre sie aus der nahen Nordsee. Es wird abgepackt, portioniert, von A nach B gebracht und filetiert. „Die Kunden wollen heutzutage keinen Fisch mit Gräten mehr“, erzählt Henk de Jong.
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Arbeiter mit Messern, die Büffel töten könnten, ritzen den Lachsen den Bauch auf, orangerot schimmert das Fleisch auf dem Transportband. Alles geht schnell, klar, kaum eine Ware könnte verderblicher sein als frischer Fisch. Um 5 verlassen die ersten Fischhändler Spakenburg, ab halb sieben stehen die Ersten mit ihren Wagen auf den Märkten in Utrecht oder Den Burg auf Texel. „Spakenburg liegt günstig, wir sind mitten im Land. Du hast von hier aus nie ganz weite Wege“, nickt Elbert Jan Koelenwijn.
1.500 Verkaufsstände gibt es insgesamt in den Niederlanden, in Enschede und Münster hat die SVV Partnerunternehmen, die den Fisch aus Spakenburg im Grenzgebiet und auf deutschen Märkten weiterverkaufen. Zum Sortiment gehören auch Speiseöle, Mayonnaisen, Salate und Fertiggerichte. Die Gastronomie oder Hotels werden hingegen nicht aus Spakenburg beliefert. „Dafür braucht man Spezialitäten“, winkt Henk de Jong ab.
Einfacher ist Kibbeling, den mag jeder. Dass er nicht aus der Nordsee kommt, sondern aus Pollak in den USA, weiß niemand – er schmeckt ja trotzdem.