Am Niederrhein. Eigentlich ist Laurent Lompo an den Niederrhein gekommen, um ein bisschen Ruhe zu finden – doch dann kam der Putsch in seinem Heimatland, Niger.

Eigentlich sollte seine Zeit am Niederrhein so etwas wie Urlaub sein, ein kurzes Durchatmen, Kräfte sammeln, Nachtsdurchschlafenkönnen ohne die Angst, dass in den Dörfern ringsherum gewaltsame Banden, ja, man darf auch Terroristen sagen, wahllos Menschen töten. Oder Menschen sterben, Männer, Frauen und auch Kinder, weil es nichts zu essen gibt, weil es an einfachsten Medikamenten fehlt. Eigentlich wollte Laurent Lompo (56), Erzbischof in der Diözese Niamey im Niger, bei seinen Freunden am Niederrhein von den Hilfsprojekten berichten, die dank der Kevelaerer „Aktion pro Humanität“ und anderen Förderern realisiert werden konnten, um in einem der ärmsten Länder der Welt ein bisschen Hoffnung und Perspektive zu schenken.

Eigentlich.

Persönlich

Djalwana Laurent Lompoist im Niger aufgewachsen, er kennt Not, Hunger und Elend aus eigener Erfahrung. „Mein großer Bruder ist Muslim. Er hat mich immer unterstützt, hat mir ermöglicht, zu studieren. Wir sind sechs leibliche Geschwister, Christen, Muslime, Anhänger der traditionellen Volksreligionen. Wir akzeptieren und tolerieren uns, helfen einander. Das hat mich geprägt.“ 1997 wurde er zum Priester geweiht, 2013 zum Bischof, 2015 zum Erzbischof. Unterstützt wird er, seit er sieben Jahre alt war, auch von Adam Bucher (und Familie) aus Bamberg, der für Misereor als Entwicklungshelfer im Niger war.

Doch dann kamen an diesem Mittwochvormittag, der 26. Juli war es, immer neue Meldungen aus den sozialen Medien auf seinem Handy an und meldeten einen Putschversuch, Bilder und Fotos von aufgebrachten Menschenmengen, Frankreich-Raus-Rufen und bewaffneten Putschisten. „Ich war fassungslos“, sagt der Erzbischof. „Für mich hat nichts auf diesen Umsturz hingewiesen.“ Am späten Abend dieses 26. Juli dann die Gewissheit auch in den europäischen Nachrichten: Es gab einen Staatsstreich im Niger.

Junge Menschen ohne Zukunft

„Ich hatte große Sorge, dass es ein größeres Blutvergießen geben könnte, die Menschen sind aufgebracht, wütend und auch enttäuscht von der Perspektivlosigkeit im Niger aufgrund der Unsicherheit. Nie zuvor gab es so deutliche, klare Anti-Macron und Pro-Putin-Plakate und Parolen.“

Die Menschen fliehen vor Terror und Gewalt im Niger, 1,2 Millionen Binnenflüchtlinge sind zu versorgen.
Die Menschen fliehen vor Terror und Gewalt im Niger, 1,2 Millionen Binnenflüchtlinge sind zu versorgen. © Aktion pro Humanität

Hat er auch Angst um seine Mitarbeitenden in der Bischoferei gehabt? „Nein. Es ist ja kein religiös motivierter Umbruch, keine Gewalt, die mit der Religion zu tun hat. Aber ich habe mich durchaus an die schlimmen Szenen aus der Zeit Charlie Hebdo erinnert, als bei uns Dörfer und Kirchen brannten. Viele junge Menschen, vor allem junge Männer, gehen wieder auf die Straße – junge Menschen, die keinen Job haben, kein Geld, keine Zukunft.“ Viele sagten, jetzt beginne eine Phase der Antikolonialisierung im Sahel. Doch das Wichtigste sei, dass die Regierung an der Seite der Bevölkerung stehe.

Kein Job, kein Geld, keine Zukunft

Und die deutschen Soldaten? Der Monsignore schüttelt den Kopf. „Die einfachen Menschen unterscheiden nicht zwischen Deutschen und Belgiern, Franzosen, Italienern oder Amerikanern. Sie sehen nur Soldaten mit weißer Hautfarbe, die nichts tun, um die Gewalt im Sahel zu stoppen.“

Der Flughafen in Niamey ist gesperrt, der Monsignore kann wohl nicht wie geplant in seine Heimat zurück. „Ich bin hier, weil die Situation mich zwingt, hier zu sein. Die Grenzen für den internationalen Verkehr sind zu. Ich nutze die Zeit jetzt, um nicht nur über bereits realisierte Projekte zu sprechen und Danke zu sagen. Ich muss in dieser Krise mehr als je zuvor versuchen, um Hilfe für die Bevölkerung zu werben. Wenn wir nichts tun, gehen die Menschen zugrunde.“

Alle Institutionen, auch die EU und auch Deutschland, haben ihre Zusammenarbeit mit dem Niger gestoppt, haben die Gelder eingefroren. „Aber es trifft die arme Bevölkerung, die, die ohnehin nichts haben, die auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen sind. Die letzte Ernte war schlecht, sie wurde wegen Dürre und Überschwemmungen zerstört – oder die Terroristen haben die Felder in Brand gesteckt. Sanktionen erreichen nicht die, die sie verursacht haben. Die Bevölkerung leidet.“

Die Welthungerhilfe spricht inzwischen von 3,3 Millionen Menschen, die im Niger von „Ernährungsunsicherheit“ betroffen sind. In der Diözese Niamey, dem Arbeitssitz des Erzbischofs, suchen aktuell zudem 1,2 Millionen Binnenflüchtlinge Schutz und Hilfe. „Diese Menschen fliehen vor der Gewalt. Sie haben nichts außer dem, was sie am Leib haben oder selbst tragen können. Die Kinder können nicht in die Schule gehen.“

1,2 Millionen Binnenflüchtlinge

Laurent Lompo spricht ruhig, analysiert, klagt nicht an, fordert nicht. „Wir müssen den Dialog suchen. Wir müssen mit allen Parteien reden. Wir müssen den interreligiösen Dialog weiterverfolgen und Lösungen und auch Kompromisse gemeinsam finden. Die Kirche muss es schaffen, die Menschen zusammenzuhalten. In meinem Land sagt man: Wenn der Rhythmus der Trommel sich ändert, müssen sich auch die Schritte des Tanzes ändern.“

Ein Dach über dem Kopf haben - für viele Menschen im Niger sieht das so aus.
Ein Dach über dem Kopf haben - für viele Menschen im Niger sieht das so aus. © Aktion pro Humanität

Hat er sich einmal gefragt, wo in all diesen Dingen Gott ist? „Ich würde die Frage andersherum stellen. Gott ist da, Gott ist Liebe – aber wir folgen ihm nicht auf diesem Weg der Liebe. Teilen und geschwisterlich miteinander leben, sich auf Augenhöhe begegnen – wenn wir das nicht leben, wird es immer wieder Revolten und Krisen geben – und immer wieder die Frage danach, wo Gott in der Katastrophe ist.“

Die Hilfe vom Niederrhein wird weiterfließen

Froh ist der Erzbischof, dass er weiter auf die Hilfe vom Niederrhein bauen kann. Auf finanzielle Hilfe. Die Kevelaerer „Aktion pro Humanität“ ist dabei, die Stiftung der Familie Seibt von der Grav Insel in Wesel-Flüren, die action medeor, das Bistum Münster, die Keppel-Stiftung aus Kerken, und viele mehr. „Ich kann hoffentlich bald mit einem guten Gefühl zurückreisen“, sagt er. „Ich kann den Menschen sagen, dass sie in der Krise nicht vergessen sind, ich komme nicht mit leeren Händen. Das hilft, eine Vision von Zukunft zu entwickeln.“