Der Wirtschaftsweise Achim Truger will höhere Erbschaftssteuern. Weil es gerechter ist, wenn es Geld für die gesamte nächste Generation gibt.

In den Medien heißen sie „die Wirtschaftsweisen“. Offiziell lautet der Titel „Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung“. Dienstältester Wirtschaftsweise – seit 2019 im Amt – ist Achim Truger (54), Professor für Sozioökonomie an der Uni Duisburg-Essen - mit besonderem Blick auf die Frage, was passiert, wenn Staaten zuviel Geld ausgeben – oder zu wenig.. Stephan Hermsen befragte ihn zum Theme Erben und Generationengerechtigkeit.

Herr Professor Truger, ist erben gerecht?

Prof. Achim Truger: Die klassische Antwort: Das kommt darauf an. Was dafür spricht, Erbschaften anders zu behandeln als Erwerbseinkommen: Die verstorbene Person hat sich möglicherweise sehr angestrengt, um Vermögen zu erwirtschaften und die Familie zu versorgen. Zudem kann es sein, dass sich die Kinder um den Verstorbenen gekümmert haben, das wäre auch ein Argument, dass man ein Erbe nicht so besteuert wie das Einkommen.

Und was spricht dagegen?

Beim Erbe handelt es sich um unverdientes Vermögen. Das spricht dafür, dass man es versteuern muss. Abhängig von der persönlichen Verbindung, die sich darin widerspiegelt, dass es Erbschaftsteuerklassen nach Verwandtschaftsgrad gibt. Es gibt zudem Regelungen, die für Ehepartner, Ehepartnerin und Kinder das geerbte selbst genutzte Haus von der Steuer freistellen. Dass leistungsloses Vermögen, je ferner die Beziehung zum Erblasser ist, höher besteuert wird und dass bei großen Erbschaften prozentual mehr besteuert wird, finde ich gerecht. Der Höchstsatz gilt bei Erbschaften über 26 Millionen Euro. Das ist jetzt nicht der Oma ihr klein Häuschen.

Es gibt für Wohlhabende Lösungen, indem sie Stiftungen gründen und das Unternehmen oder das Vermögen dahin auslagern. Mit der Folge, dass es eine neue Form von Adel gibt, den Geldadel, der das Vermögen in der Familie hält.

Das ist ein Grundproblem: Wenn man ein Vermögen bewertet, muss man das möglichst marktnah und aktuell machen. Bei Immobilien wurde das nach uralten Einheitswerten bemessen. Das wurde vom Verfassungsgericht moniert, weil das zu einer Ungleichbehandlung von Grund und Boden und Betriebsvermögen geführt hat, verglichen mit viel höher bewerteten Finanzvermögen.

Das ist der Grund, warum viele sich mit Grundsteuererklärungen geplagt haben.

Ja, man versucht, gleichmäßiger zu besteuern. Dabei entstehen bei Betriebsvermögen hohe Steuerlasten. Da taucht die Frage auf, ob wegen der Steuer Familienunternehmen aufgelöst werden müssen und Arbeitsplätze gefährdet sind. Da spielte aber auch Lobbyarbeit, insbesondere von sogenannten Familienunternehmen eine Rolle. Daher hat man 2008 in der Erbschaftsteuerreform Regelungen zur Schonung der Betriebsvermögen eingeführt. Das Ergebnis ist, dass die ganz großen Vermögen mit extremer Ermäßigung oder sogar mit einer Nullsteuer vererbt werden und so eine Zweiklassengesellschaft entsteht. Diese Privilegierung ist im Subventionsbericht als größte Steuervergünstigung ausgewiesen. Das sind mehr als 5 Milliarden pro Jahr bei einem aktuellen Erbschaftssteueraufkommen zwischen 7 und 9 Milliarden.

AAuch die jüngste Reform des Erbschaftssteuerrecht wird wieder juristisch überprüft:  Die bayerische Staatsregierung hat im Juni ihre Verfassungsklage gegen die Erbschaftssteuer beim Bundesverfassungsgericht eingereicht. Man darf annehmen, dass die Ernem großer Familienunternehmen nicht zittern müssen.
AAuch die jüngste Reform des Erbschaftssteuerrecht wird wieder juristisch überprüft: Die bayerische Staatsregierung hat im Juni ihre Verfassungsklage gegen die Erbschaftssteuer beim Bundesverfassungsgericht eingereicht. Man darf annehmen, dass die Ernem großer Familienunternehmen nicht zittern müssen. © dpa | Hans-Jürgen Wiedl

Was würde passieren, wenn milliardenschwere Familienunternehmen rigider Erbschaftssteuer unterlägen?

Um eine Überforderung zu verhindern, existieren zwei Modelle. Das eine Modell, das ich für falsch und ungerecht halte ist das Modell der Flattax. Da sagt der Staat: Wir besteuern alle Erbschaften einheitlich mit einem niedrigen Satz von 10 bis 15 Prozent, inklusive Betriebsvermögen. Das kann ein Unternehmen auf zehn oder zwölf Jahre verteilt zahlen. Da besteht keine Gefahr für die Fortführung des Unternehmens.

Aber das war jetzt ja nicht die Lösung, die Sie propagieren würden?

Ich halte das für problematisch, weil damit komplett die Progression bei der Erbschaftsteuer gestrichen und reiche Erben von Privatvermögen massiv begünstigt werden. Es ist aber gerecht, wenn jemand, dem viel zufließt, stärker besteuert wird. Und dass nicht jemand plötzlich gigantisch reich wird, der dafür gar nichts getan hat – wie in der Lotterie. Daher würde ich die Erbschaftsteuer für Privatvermögen lassen wie sie ist, aber für das Betriebsvermögen eine Mindesterbschaftssteuer von 15 % einführen, die dann mindestens fällig würde. Mini- oder Nullbesteuerung wäre damit vom Tisch und gleichzeitig würden die Unternehmen nicht überfordert. Was ich noch ändern würde, ist die abstruse Regelung, dass reiche Menschen alle zehn Jahre wieder neu die Freibeträge nutzen und damit Teile ihres Vermögens steuerfrei an ihre künftigen Erben verschenken können.

Kürzlich wurde diskutiert, allen Menschen im Alter von 18 bis 20 pauschal 20000 Euro als „Erbe“ zukommen zu lassen, finanziert aus der Erbschaftssteuer. Wäre das eine sinnvolle Umverteilung?

Das würde die Vermögensverteilung spürbar gleichmäßiger machen. Denn im unteren Viertel der Gesellschaft existiert so gut wie kein Vermögen. Thomas Piketty, der französische Ökonom, plädiert sogar für 120.000 Euro. Meine Präferenz wäre, die Erbschaftsteuer für eine bessere, öffentliche Daseinsvorsorge zu verwenden. Davon haben alle etwas.

Gerade wurde über den nächsten Bundeshaushalt diskutiert. Allerdings fast nur über das Verteilen und nicht darüber, wie sich womöglich weitere Einkünfte erzielen lassen.

Das ist dringend geboten. Aber die Koalition im Bund hat sich auf Drängen der FDP extrem enge Beschränkungen auferlegt. Bei Steuererhöhungen wird immer über die höheren Lasten gesprochen. Dabei erzeugen Ausgabenkürzungen auch Lasten, häufig besonders für niedrige Einkommen. Nur über Kürzungen diskutieren, ist einseitig. Sinnvoll wäre es dagegen, dass die Schuldenbremse reformiert wird, so dass öffentliche Investitionen zumindest teilweise über Kredite finanziert werden können. Die zukünftige Generation, die man angeblich vor der Schuldenlast in Schutz nehmen möchte, würde profitieren von einer besseren, öffentlichen Ausstattung. Da ist es gerecht, sie zur Finanzierung heranzuziehen.

Dirigent eines Streichorchesters? Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) pocht auf Ausgabenreduzierung und Sparmaßnahmen. Volkswirtschaftler Schim Truger hält das für einen falschen Weg.
Dirigent eines Streichorchesters? Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) pocht auf Ausgabenreduzierung und Sparmaßnahmen. Volkswirtschaftler Schim Truger hält das für einen falschen Weg. © dpa | Michael Kappeler

Das heißt, die nächste Generation hat die Wahl, ob sie Schuldzinsen zahlt oder mit maroder Infrastruktur leben muss?

Investitionen bedeuten Vermögenszuwachs. Dafür kann es sinnvoll sein, Schulden zu machen. Man kann nicht sagen, dass die Infrastruktur in Deutschland in einem guten Zustand wäre oder dass es nicht dringend geboten wäre, in Klimaschutz, Netzausbau und Digitalisierung zu investieren. Das wäre ökonomisch vernünftig. Das Zweite ist, dass man nicht jede Steuererhöhung tabuisieren sollte. Wir haben als Sachverständigenrat beispielsweise zur Gegenfinanzierung der Entlastungen bei der Energiekrise einen befristeten Energie-Soli vorgeschlagen.

Heißt, derjenige, der zu Hause seine 250-qm-Villa beheizen muss, hätte mehr gezahlt als derjenige, der in einer kleinen Etagenwohnung sitzt?

Genau. Weil auch die Person mit Villa und Pool von Gas- und Strompreisbremse profitiert und die hätte das wohl nicht gebraucht. Genauso wenig wie ich. Also hätten die Besserverdienenden über den Energie-Soli bezahlt, was allen zu Gute gekommen ist.

Das Problem könnte darin liegen, dass Menschen, die viel Steuern zahlen, tendenziell eher wählen gehen. Also scheut jede Partei Erhöhungen.

Ich glaube, es gibt eine hohe Bereitschaft, etwas mehr zu zahlen, wenn dafür eine entsprechend gute öffentliche Infrastruktur entsteht. Ich glaube, dass es im Wesentlichen ein Lobbyproblem ist. Dass sehr lautstark von sehr Reichen und Unternehmensverbänden geklagt wird, so dass die Politik Angst bekommt. Als ob die Menschen die einfache Logik nicht verstehen würden, dass wir große Herausforderungen vor der Brust haben und wir schauen müssen, wie man das finanziert bekommt. Es ist nur gerecht, wenn starke Schultern dabei mehr tragen als schwache. Diese Einsicht ist doch recht weit verbreitet.

Bekommen Sie diese ihre Sichtweise im Kreise der Wirtschaftsweisen durchgesetzt?

Das kann ich nicht prognostizieren. Wir diskutieren immer lebhaft. Beim letzten Mal haben wir den Gedanken, dass starke Schultern mehr tragen als schwache und den Solidaritätsgedanken immerhin im Titel zum Ausdruck gebracht.

Kommt es vor, dass Sie abends beim Bier gemeinsam über „die da oben“ schimpfen, die nicht auf Sie hören?

Beim letzten Mal im Oktober haben wir es nicht einmal geschafft, abends gemeinsam essen zu gehen, sondern uns Essen in den zwölften Stock des Statistischen Bundesamtes in Wiesbaden, liefern lassen. Dort tagen wir. Wir sollen die Öffentlichkeit und die Politik informieren, machen Konjunkturprognosen und erläutern Optionen. Auch, wenn man uns die Wirtschaftsweisen nennt, haben wir nicht die Weisheit gepachtet. Wir erbringen eine Dienstleistung für Politik und Gesellschaft. Dann gibt es demokratisch gewählte Politiker und die entscheiden. Und den Respekt vor diesen Entscheidungen sollten wir sehr hochhalten.

Wo wir über die Generationen reden: Haben Sie Kinder? Welche Zukunft hat die nächste Generation angesichts all der Lasten?

Wir haben eine 16-jährige Tochter und die diskutiert mit uns – und das sehr gut, muss ich sagen. Ich bin gar nicht so pessimistisch. Schauen Sie: Wir haben immer noch zu viel Arbeitslose, aber es sind viel weniger als zu der Zeit als ich in den Beruf einstieg. Ich erlebe bei den Studierenden heutzutage ein hohes Selbstbewusstsein, weil die Angst vor Arbeitslosigkeit viel geringer geworden ist. Wir müssen nicht immer über quantitatives Wachstum nachdenken und wie noch mehr gearbeitet und erwirtschaftet werden kann. Wenn die jüngere Generation auf Lebensqualität und Wohlstand in einem umfassenden Sinn abzielt, ist das legitim. Genauso wie es legitim ist, wenn Menschen Zeitwohlstand wichtiger ist als ein Zuwachs an materiellen Gütern.

Also weg vom Bruttosozialprodukt, hin zum Glücks-Index?

Es geht um Qualität und das ist etwas, das uns auch gegen den Klimawandel helfen kann. Wenn es immer nur um möglichst schnelles, starkes Weiterwachsen geht, haben wir ein Problem. Ein Kompromiss wäre doch, dass man insgesamt die Wochenarbeitszeit bei Vollzeit verkürzt. Viele, die heute Teilzeit arbeiten, vor allem Frauen, könnten dann mehr arbeiten. Das sorgt für viel mehr Teilhabe und Gleichberechtigung. Wer heute schon Vollzeit arbeitet, häufig Männer, könnte dann weniger arbeiten. Es gäbe eine bessere familiäre Arbeitsteilung, bessere Aufteilung der so genannten Care-Arbeit, des sich Kümmerns um Kinder und Eltern. Wir sollten darüber nachdenken, dass auch Freizeit Nutzen stiftet und dass Care-Arbeit elementar wichtig ist. Wenn wir schon über Gerechtigkeit sprechen, ist das auch eine Frage der Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern und Generationen.