Essen. Gesundheitsminister Laumann spricht über Probleme bei der Krankenhausreform. Und was bei der Anwerbung von Pflegefachkräften schwierig ist.

Am Donnerstag kommen Bund und Länder zusammen, um über die Krankenhausreform zu beraten. Was NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) darüber denkt, welche Lehren er aus der Pandemie zieht und was sich im Pflegebereich ändern muss, schildert er bei seinem Redaktionsbesuch. Tobias Kaluza fasst das Interview zusammen.

Von Ihnen ist zur Pandemie der Spruch überliefert: „Wer nach so einer Nummer nicht den Landesrechnungshof am Arsch hat, der hat was verkehrt gemacht.“ Das war in den Anfangstagen der Krise. Haben Sie den jetzt am Arsch?

Laumann: Nein.

Also haben Sie alles verkehrt gemacht?

Nein. Wir haben aber auch nicht alles richtig gemacht. Die teuersten Masken, die wir gekauft haben, kosteten knapp 10 Euro. Das waren zum Glück nicht mehr als etwa 528.000 Stück. Aber es war die Zeit, wo kaum Schutzmaterial zu kriegen war. Und dass das völlig überzeichnete Preise waren, ist allgemein bekannt. Es wurde damals auch Schutzmaterial gekauft, was nicht den medizinischen Standards entsprach. Wir haben in NRW das Material nach Sankt Augustin, wo die Prüfstelle des Instituts für Arbeitsschutz sitzt. Diese hat dann die Wirkung des Materials untersucht. Noch heute sind Restbestände vorhanden, die wir eigentlich nur noch entsorgen können, weil bestimmte Informationen aufgrund fehlender Zertifizierung da nicht draufstehen und sie nur zu Pandemiezeiten verwendet werden durften.

Anfangs haben wir gekauft, was wir kriegen konnten, weil nichts anderes da war. Die Frage, die ich mir gestellt habe, ist: Willst du, dass das medizinische Personal ohne Schutz arbeitet, oder stellt man ihnen wenigstens etwas zur Verfügung, was einigermaßen vernünftig ist? Die Lieferketten waren schließlich zusammengebrochen und nicht mehr vorhanden.

Was waren denn aus Ihrer Sicht die größten Fehler?

Wir haben nicht bewusst Fehler entschieden. Sondern wir haben immer mit dem zu diesem Zeitpunkt aktuellen Wissen, so finde ich, vertretbare Entscheidungen getroffen. Aber bei dem, was jetzt alles über das Virus bekannt ist, da war rückblickend natürlich zum Beispiel die Schließung von Spielplätzen irre.

Und dass Leute in Altenheimen, die ewig verheiratet waren, nicht miteinander sein konnten und während dieser Zeit dann der Partner gestorben ist, das sind Sachen, die man nicht mehr gutmachen kann. Da mache ich mir auch wirklich Vorwürfe.

Was haben wir für Lehren aus der Pandemie gezogen? Wie bereiten wir uns besser auf so etwas vor?

Eine wesentliche Lehre ist für die Krankenhausreform, mit der wir uns auch in NRW intensiv befassen, dass man Krankenhäuser von der Menge der Behandlungsmöglichkeiten her nicht auf Kante nähen darf. Vor der Pandemie haben viele Leute gesagt, in NRW gebe es viel zu viele Krankenhäuser und „schaue doch mal nach Holland.“ Dann war es während der Pandemie aber so, dass wir den Holländern helfen mussten. Ich werde keine Krankenhäuser auf Kante nähen.

Wie ist da der Umgang auf Bundesebene mit Herrn Lauterbach, gerade im Hinblick auf die Krankenhausreform?

Das sehe ich wie Lauterbach, es geht darum, Versorgungssicherheit und Qualität zu gewährleisten. Krankenhäuser sollten nur das anbieten, was sie können. Und dazu gehört die technische Ausstattung, das entsprechende Fachpersonal und eine vernünftige Fallzahl. Klar, alle müssen Grund- und Regelversorgung anbieten. Und auch kleinere Krankenhäuser können in einem Bereich eine hohe Kompetenz haben. Aber ich kann auch keine Garantieerklärung für jedes Krankenhaus in NRW abgeben.

Das heißt gerade für die Kliniken auf dem Land, dass sie eine Mischung aus Grund- und Regelversorgung machen, plus Spezialisierung in einem Fachbereich?

Das ist eine Möglichkeit. Eine andere ist: Bei Herzinfarkten kümmern sich zum Beispiel zwei Häuser um zwei Drittel der Fälle, alle anderen machen diese Fälle aber auch. Und das ist das Problem. Das hat mich darin bestärkt, dass wir klar regeln müssen, wer was macht. Wenn man Innere Medizin und Chirurgie vorhält, kann man eigentlich 80 Prozent aller medizinischen Leistungen anbieten.

Aber machen wir uns nichts vor, es ist doch oft so: In einem Krankenhaus gibt es einen Chefarztwechsel und jeder Chefarzt hat irgendwo etwas Besonderes gelernt und ab dem Tag bietet dieses Krankenhaus diese Leistung an. Ob sie in der Region gebraucht wird oder nicht. Ein System, das Krankenhaus nach Fällen bezahlt, verlockt auch dazu, das zu machen.

Es wird immer wieder vor Krankenhaussterben gewarnt.

Die Krankenhäuser sind durch enorme staatliche Mittel in der Pandemie gestützt worden. Sie hatten auf der einen Seite viel zu tun mit Corona, sie hatten auf der anderen Seite aber wesentlich weniger Behandlungsfälle. Viel Zeit mussten sie aufwenden, um sich um isolierte Menschen zu kümmern. Und jetzt haben die Krankenhäuser auch das Problem, dass die Leute nicht mehr so oft wie vorher ins Krankenhaus gehen. Die Fallzahlen sind nicht mehr vorhanden.

In einem System, das nach Fällen finanziert wird, tut das weh. Aber wir haben dieses und nächstes Jahr durch die Inflation sehr hohe Lohnabschlüsse. Die müssen von den Krankenkassen refinanziert werden. Das muss in unserem System ein Jahr vorfinanziert werden. Und ich glaube, dass ein Krankenhaus das bei so hohen Personalkosten nicht kann.

Und wie steht es beim Thema Long Covid?

Long Covid ist ein schwieriges Thema. Zu dem Bereich habe ich, nach meinem Gefühl, sehr viele Bürgerbriefe. Diese Menschen haben das Problem, dass sie gesundheitlich beeinträchtigt sind – sie können einfach nicht, wie sie vorher konnten. Und keiner hat bisher herausgefunden, woran es liegt. Dann wird gemacht, was häufig gemacht wird in unserem Gesundheitssystem: Die Leute werden in die Reha geschickt. Die Einrichtungen, die auf Long Covid spezialisiert sind, nehmen zu, das ist gut. Aber dann kommen die Leute aus der Reha und die gesundheitlichen Einschränkungen sind trotzdem nicht weg. Die medizinische Idee, was man zur Heilung machen muss, hat man da bisher leider nicht.

Wie kann man die Anwerbung ausländischer Fachkräfte für die Pflege erleichtern?

Es gibt keinen Beruf, wo wir so viele Berufsanerkennungen haben wie in der Pflege. Wir haben in einem Jahr in NRW rund 10.500 Berufsanerkennungen über alle Berufe hinweg. Davon 7.200 in den Gesundheitsberufen. Wir haben in Deutschland bei der Frage der Anerkennung von beruflichen Kenntnissen von Menschen, die hierher kommen, generell ein Problem. Es muss alles zu 100 Prozent vergleichbar sein. Das ist nicht nur in der Pflege so. Wenn wir auf die gesamte Wirtschaft gucken, dann muss man sagen: Es gibt auf dieser Erde acht Milliarden Menschen, aber es leben nur 100 Millionen in Ländern, wo es die duale Ausbildung gibt. Und das sind wir und die Österreicher. Aber wir tun so, als ob alles, was nicht so ist, wie wir es machen, nicht gleichwertig sei. Und damit sind wir nicht attraktiv.

Es mag in der Privatwirtschaft so sein, dass das Pferd, was die Arbeit tut, auch den Hafer kriegt, auch ohne Anerkennung. Aber in der Gesundheitsprüfung ist man bei uns sehr genau. Dann kommt man aus dem Ausland als Pflegekraft oder Arzt nach Deutschland und wir schauen uns das Ausbildungsniveau in den Ländern an. Dann sagen wir, die müssen so und so viele Stunden Praxis oder Theorie absolvieren. Oder man kann eine Kenntnisprüfung ablegen. Und dann kommt die Sprachprüfung. Da tun sich einfach viele schwer mit.

Aber es dauert viel zu lange, bis die Leute mal hier sind.

Da will ich aber auch nicht in meiner Haut stecken, wenn in einem Krankenhaus in NRW einer arbeitet, der nicht ist, was er vorgibt zu sein.

Klar, sollte man aber nicht schauen, wie der Bedarf ist und wie die Regeln überhaupt noch gerechtfertigt sind?

Ich bin dafür, dass wir da lockern. Früher war es so, dass man eine höhere Qualität bekommen hat, wenn man die Leute besser ausbildet. Jetzt haben wir aber die Situation, dass wir ein gutes System haben, es aber durch die Personalfrage an Kapazitätsgrenzen stößt. Wir müssen ein bisschen von diesen hohen Standards in der Ausbildung runter und die ausländischen Kräfte sind ja oft nicht schlechter ausgebildet, sondern einfach mit anderen Schwerpunkten.

Die Pflege ist auch ein Bereich, der stark an der Mindestlohndiskussion hängt.

Wir haben in der Altenpflege bzw. der Pflegeversicherung überall eine Tarifbindung. Da sind wir weit vom Mindestlohn weg. Ohne die Zahlung entsprechender Entgelte können Pflegeeinrichtungen zukünftig nicht mehr mit den Pflegekassen abrechnen.

Bei den Krankenhäusern ist das Pflegebudget auch refinanziert. Es gibt eine kleine Lücke, da ist es nicht explizit geregelt, das ist die häusliche Krankenpflege.

Beim Personal in den Krankenhäusern gibt es aber Leute, die sagen, die wechseln lieber zu einer Leiharbeitsfirma, weil sie da mehr Geld bekommen.

Viele Jahre waren die Löhne bei der Leiharbeit tiefer als bei den Stammbelegschaften. Da fanden alle Unternehmerverbände das ganz klasse mit der Zeitarbeit. Jetzt bekommen die Leute im Gesundheitsbereich mehr Geld als die Stammbelegschaft. Und daraus wird ein Ding gedreht. Ich verstehe, dass das zu Neid führt, aber es sind in NRW nur zwei Prozent der Kräfte bei der Zeitarbeit.

Das Gespräch führten: Ralf Kubbernuss, Denise Ludwig, Jan Jessen, Stephan Hermsen, Madeleine Hesse und Tobias Kaluza.