Essen. Alte Heizung raus, neue Heizung rein? Die Diskussionen um den Heizungstausch besorgen Hausbesitzer. Ein Ehepaar rechnet vor – und nennt Probleme.

Der Buchrücken des roten Fotoalbums ist mit Isolierband geklebt. Es ist wohl schon oft in die Hand genommen worden, um es durchzublättern, zu zeigen, zu ergänzen. In ihm ist die Geschichte von Rolf und Angelika Kramer, ihren Kindern und die ihres Hauses zu sehen. Die Aufs und Abs von Dach und Wand, die vielen handwerklichen Arbeiten und, ja, auch so manche Feier nach der Arbeit. Sie haben es sich richtig schön gemacht, hier auf einem Berg in Essen-Werden. Sie hören Spechte, füttern Eichhörnchen, ziehen Tomaten und Kräuter heran und haben sogar schon ein Reh auf ihrem Hof gesehen. Ein wahres Idyll. Doch: Wie lange noch?

Angelika Kramer ist eine fröhliche, herzliche Frau, die so schnell nichts zu erschüttern scheint. Ein Schwarzweißfoto zeigt die heute 65-Jährige in einem Arbeitskittel inmitten der Hausbaustelle sitzend. Sie hat kräftig mitgeholfen beim An- und Umbau des Hauses, das ihr Schwiegervater 1962/63 gebaut hat. Doch inzwischen sorgt sie sich. „Können wir das Haus noch halten?“, fragt sie bang.

Habecks Pläne rauben ihr den Schlaf

Denn was die Bundesregierung unter Federführung des grünen Wirtschaftsministers Robert Habeck gerade diskutiert, raubt ihr den Schlaf. Der Entwurf für das neue Gebäudeenergiegesetz sieht vor, dass ab 2024 in der Regel nur noch Heizungen eingebaut werden sollen, wenn die Wärme zu mindestens 65 Prozent durch erneuerbare Energien erzeugt wird.

An diesem Gesetzentwurf gibt es bekanntlich harsche Kritik. Auch aus dem Hause Kramer. Doch Rolf Kramer ist jemand, der zupackt, sich über Nachrichten in der Zeitung und den Polit-Shows informiert und Angebote einholt. Eigentlich hat er mit einer neuen Ölheizung geliebäugelt, die die aktuelle und dennoch effiziente von 1996 ablösen sollte. Doch als er vom Installateur erfuhr, dass kaum mehr Ölheizungen zu bekommen seien, holte er sich einen Energieberater ins Haus, um ein Gefühl dafür zu bekommen, was im Falle einer energetischen Sanierung auf ihn zukommen würde.

Wärmepumpe muss effektiv arbeiten – dafür braucht es Voraussetzungen

Denn: Will man eine Wärmepumpe in einer älteren Immobilie einbauen, müssen die Rahmenbedingungen stimmen. Damit eine Wärmepumpe effektiv arbeiten kann, muss sie eine möglichst niedrige Vorlauftemperatur haben. Die erreichen Hauseigentümer vor allem durch eine gut gedämmte Fassade und ein gedämmtes Dach, durch neue Fenster und Türen.

Rolf und Angelika Kramer haben 40 Jahre lang viel Arbeit in ihr Haus gesteckt. Eine Etage haben sie vermietet.
Rolf und Angelika Kramer haben 40 Jahre lang viel Arbeit in ihr Haus gesteckt. Eine Etage haben sie vermietet. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Was bedeutet das nun für das Haus der Kramers? Die Hausfassade ist seit 1996 mit Riemchen verkleidet. „Ich habe damals gesagt: Ich möchte das Haus später nicht noch einmal streichen müssen“, erinnert sich Rolf Kramer. Er wollte vorsorgen, wenig Arbeit im Alter haben. Würde er nun energetisch sanieren, müsste die Fassade mit Dämmung ummantelt werden.

Die Hauswand würde um 16 Zentimeter wachsen

Er hält einen Zollstock an die Mauer, die um satte 16 Zentimeter wachsen würde, so will es die Norm. Die Folge: Die bereits dreifach verglasten Fenster, die einst 13.500 Euro kosteten, passen nicht mehr und müssten ausgetauscht werden. Die Kellerschächte müssten neu gebaut, das Dach müsste verlängert werden, um die dann dickere Fassade abzudecken. Das Dach sollte ebenfalls zusätzlich gedämmt werden, ebenso die Kellerdecke. Dazu kommt dann die Wärmepumpe neben dem Hauseingang.

Unterm Strich würde die energetische Sanierung, ausgelöst durch den verpflichtenden Heizungstausch, rund 120.000 Euro kosten, wie der Energieberater in seinem Sanierungsfahrplan schreibt. Und da sei nicht einmal die Photovoltaikanlage auf dem Dach inbegriffen, die Rolf Kramer in dem Fall gern hätte, um die Stromkosten für die Wärmepumpe damit abzufedern.

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„Wir haben all die Jahre auf so viel verzichtet, auf so viele Urlaube“, sagt Ehefrau Angelika, „und jetzt soll das alles wieder losgehen?“ Nun, das ist noch nicht klar, der Familienrat wird noch tagen. Rolf Kramer hat sogar darüber nachgedacht, das Haus zu verkaufen und in eine Eigentumswohnung zu ziehen. Nichts für Angelika. „Das ist doch unser Leben hier.“

232.500 Euro haben die Kramers in 40 Jahren in ihr Haus gesteckt – fast alles selbst gemacht, zusammen mit Freunden, Verwandten, Nachbarn. „Wir haben immer Wert auf gutes Material gelegt“, sagt der Hausherr. Und jetzt will die Politik einen Schnellschuss mit dem Gebäudeenergiegesetz machen.

Sorge um die politische Stimmung

Rolf Kramer hat sich bei einem Finanzberater informiert. Von den 120.000 Euro müsste er 90.000 Euro finanzieren. Für einen großen Teil dafür kann er einen günstigen Kredit der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) nutzen, also eine staatliche Förderung. Das wären in dieser Beispielrechnung 65.000 Euro. Bleibt eine Restsumme von 25.000 Euro, für die ihm seine Hausbank einen Kredit geben müsste. Denn wer ein KfW-Darlehen nutzt, muss das über seine Hausbank oder eine andere Bank abwickeln, sonst geht es nicht.

Die Restsumme stellt dann die Hausbank. Da die Summe kleiner ist, geben manche Banken solche Kredite ungern oder gar nicht. Zudem müssen Banken dafür Sorge tragen, dass Kredite zu Lebzeiten zurückgezahlt werden können. Kramer weiß das. Als Postbeamter hat er vor seinem Ruhestand selbst bei der Postbank gearbeitet. Würde er als Rentner also keinen Kredit bekommen, „ist das eine astreine Enteignung“, sagt er.

Und zu guter Letzt seien die Fördertöpfe der KfW oft so schnell leer, dass man vielleicht gar nicht mehr zum Zuge komme. In diesem Jahr, so sagt das Bundeswirtschaftministerium auf Anfrage der NRZ, sei der Fördertopf für energetische Sanierungen im Bestand bis zum Jahresende allerdings noch „auskömmlich“. 12,8 Milliarden Euro schwer ist dieser Topf insgesamt.

Rolf Kramers Sorge ist aber auch eine politische: Durch diese Politik der Bundesregierung befürchtet er, dass die rechte AfD erstarken wird.

Das Sanierungsvorhaben, sollte es dazu kommen, würde Kramer frühestens in zwei, drei Jahren angehen. Dann würde die Rückzahlung des Kredits für die nächsten zehn, 15 oder 20 Jahre beginnen. Dazu braucht es ein langes und gesundes Leben von Rolf und Angelika Kramer. Und wohl den Verzicht auf so manch weiteren Urlaub.