Arnheim. Das Arnheimer Freilichtmuseum führt durch den niederländischen Alltag vergangener Jahrhunderte bis zu Gegenwart. Auch dunkle Seiten gewürdigt.

Mehrere hundert Jahre Alltag und Geschichte der Niederlande in nur einem Tag? Eine ehrgeizige Zeitreise, auf die das Nederlands Openlucht Museum (Niederländisches Freilichtmuseum) seine Besucherinnen und Besuchern schickt. „Wir zeigen das alltägliche Leben – wie Menschen in den Niederlanden wohnten und lebten, über die Jahrhunderte hinweg bis in die Gegenwart“, erklärt Marketingverantwortliche Carola van der Woude das Konzept. Aber: „Wir stellen viel mehr als nur das alte Bauernhaus von früher aus.“

So führt der Schnelldurchlauf durch die Lebensrealitäten verschiedener Regionen, Bevölkerungsgruppen und Geschichtsperioden in feine Herrenhäuser, hölzerne Stallungen, Kirchen, Windmühlen oder eine Schiffswerft. Zwischenstopps für Pausen bieten Gärten, Restaurants, Cafés und Spielplätze.

Mehr als Holland-Idylle im Nederlands Openluchtmuseum

Die etwa 100 Gebäude sind größtenteils historisch und wurden an den unterschiedlichen Orten in den Niederlanden ab- und im „Openluchtmuseum“ wieder aufgebaut. „Wir bekommen mehrmals pro Jahr Angebote“, berichtet Carola van der Woude. „Wir können aber nicht alles übernehmen, achten immer auf die Geschichte dahinter.“

Wer tatsächlich alle Gebäude an einem Tag schaffen will, sollte lieber Zeit und Ausdauer mitbringen – oder den Fußweg durchs 44 Hektar große Gelände mit den alten Straßenbahnen verkürzen, die an verschiedenen Stationen halten.

Niederländischer Alltag aus mehreren Jahrhunderten zu zeigen – das ist viel mehr als das Inszenieren historischer Postkartenidylle. Das 1918 eröffnete Museum bemüht sich inzwischen, Seiten des Nachbarlandes zu zeigen, die in den vergangenen Jahrzehnten bewusst unterbeleuchtet blieben, aber auch zur Realität gehörten.

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Wie etwa enge Wohnungen aus der Westerstraat in Amsterdam, die nun im Museum stehen. Überbevölkerte Häuser und Dreck machten den Menschen im 19. Jahrhundert das Leben im Amsterdamer Arbeiterviertel schwer. Später lebten während der 1970er Jahre türkische Arbeitsmigranten in eigens eingerichtete „Pensionen“ in den Häusern. Filme zeigen den Besucherinnen und Besuchern Ausschnitte aus ihrem Alltag.

Gegenüber einem Campingcaravan von 1969 und einem Ferienbungalow des bekannten Künstlers Gerrit Rietveld von 1951: ein ganz anderes Ferienhaus. Das „Vakantiehuis Warnsveld“ stand einst nahe der Grenze bei Münster und diente unter anderem der jüdischen Familie Urbach aus Leipzig als Versteck vor den Nationalsozialisten.

Düstere Realitäten des niederländischen Alltags thematisiert

„Wir erzählen diese Geschichten, weil wir es wichtig finden, sie im Gedächtnis zu erhalten“, so Museumskonservator Tim Smeets. „Das Alltagsleben ging trotz des Kriegs weiter, aber viele Niederländer waren in einem Dilemma. Hilft man den Geflüchteten oder nicht? Lehnt man sich gegen die deutsche Besatzung auf oder entscheidet man sich für die eigene Sicherheit?“ Sali und Gussie Urbach wurden nach Auschwitz deportiert, ihre Tochter aber konnte bis nach Australien fliehen: Ihre Nachkommen gaben dem Museum ihre Geschichte weiter.

Nicht allzu weit entfernt steht eine sogenannte „Molukse barak“. Sie gibt Einblick in das Leben von 18 Familien, die in den 1950er Jahren aus der ehemaligen niederländischen Kolonie Indonesien zur langfristigen „Umsiedlung“ in die Niederlande gebracht wurden.

Ausstellung über Menschenrechtsaktivisten und Kolonialverbrechen

Hier kocht Peggy Vastbinder, die deutsche, niederländische und indonesische Wurzeln hat, „maiskoejes“, eine Art Maispuffer mit Gemüse und Gewürzen – auch mit Schulkindern. Seit 15 Jahren arbeitet sie schon im Museum und ist froh, dass auch dieser Teil der niederländischen Geschichte, „über den nicht gerne gesprochen wurde“, gewürdigt wird.

Die niederländische Kolonialvergangenheit wird auch in einer Ausstellung am Eingang behandelt: Sie widmet sich dem Schriftsteller und Menschenrechtsaktivisten Anton de Kom, der sich gegen die Kolonialherrschaft in Surinam auflehnte und Rassismus anprangerte.

Ohne eine ordentliche Prise Holland-Idylle kommt das niederländische Freilichtmuseum aber doch nicht aus, an Windmühlen mangelt es nicht. „Doch Holzschuhe“, so betont Carola van der Woude, „stellen wir hier nicht aus.“