Aus den Niederlanden. Zum ersten Mal ist NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst Gast beim Befreiungstag – an dem aber nicht alle Menschen in den Niederlanden frei haben.

Als NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst am Freitag zum niederländischen „Bevrijdingsdag“ - dem nationalen Feiertag zur Befreiung der Niederlande von der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg - reiste, war das nicht bloß ein weiteres von zahlreichen diplomatischen Treffen im Nachbarland. Der Besuch gilt als ein besonderes Zeichen - und die Einladung als besondere Ehre. Wüst darf als erster deutscher Ministerpräsident eines Landes an den Feierlichkeiten teilnehmen.

Am 10. Mai 1940 überfiel die deutsche Wehrmacht die Niederlande und besetzte das Nachbarland bis zur Kapitulation am 5. Mai 1945. Im Jahr 2023 feiern beide Länder gemeinsam Frieden, Freundschaft und Demokratie. „Ein historischer Moment“, sagt auch Andries Heidema, Kommissar des Königs der Provinz Overijssel, die an Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen grenzt. Der „Bevrijdingsdag“ beginnt jedes Jahr in einer anderen der zwölf niederländischen Provinzen. In diesem Jahr ist Overijssel Gastgeberin der Feierlichkeiten. Vor Ort wird Wüst auch auf den niederländischen Ministerpräsidenten Mark Rutte treffen.

Niederlande gedenken Opfern des Zweiten Weltkriegs

Der Befreiungstag sei für beide Länder ein „wichtiger Meilensteine für Freiheit, Frieden und Demokratie“, so Heidema weiter. Als Symbol dafür überreichte der Kommissar des Königs Ministerpräsident Wüst das sogenannte Friedensfeuer, „vredensvuur", in Zwolle. Nach zehntägiger Reise mit einer Läuferstaffel wird das Feuer nach Zwischenstopps in Gronau und Coesfeld am 15. Mai in Münster eintreffen.

Die Niederlande begehen die Erinnerung an die Kriegsopfer und die Befreiung von der deutschen Besatzung jährlich an zwei Tagen: Am 4. Mai ist „Nationale Dodenherdenking“, zu Deutsch Nationaler Totengedenktag, an dem an die Kriegstoten und Opfer des Zweiten Weltkrieges ab 18 Uhr bis Sonnenuntergang erinnert wird.

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In diesem Jahr steht der Tag unter dem Motto „Leben mit dem Krieg“ und soll insbesondere die Auswirkungen von Krieg auf Familien und das Zusammenleben in den Fokus rücken. Zwischen 20 Uhr und 20.02 Uhr finden traditionell zwei Gedenkminuten statt, die offiziellen niederländischen Flaggen hängen auf Halbmast.

Das niederländische Königspaar Willem-Alexander und Máxima kommt zu einer Gedenkfeier in die Nieuwe Kerk und auf den Dam in Amsterdam. Die Geschäfte schließen um 19 Uhr. An rund 4000 Denkmälern können laut dem „Nationaal Commité 4 en 5 mei“ im ganzen Land Kränze von der Bevölkerung niedergelegt werden.

Laut Regierung sind Feste oder laute Musik unerwünscht, ein offizielles Verbot gibt es aber nicht. Ganz im Gegenteil zum „Bevrijdingsdag“, dem Befreiungstag am 5. Mai: Hier ist ausgelassenes Feiern ganz ausdrücklich erwünscht, im ganzen Land gibt es große Feste. Doch Party machen im Geiste der Freiheit ist nicht für jeden und jede möglich: Obwohl der 5. Mai seit 1990 ein offizieller nationaler Feiertag im Nachbarland ist, haben nicht alle Menschen frei.

Bevrijdingsdag: Nicht alle haben freien Tag

Das entscheidet nämlich der jeweilige Arbeitgeber. Schülerinnen und Schüler sowie Studierende haben meistens Glück, heißt es seitens der niederländischen Regierung. Für alle anderen hingegen: „Fragt das euren Arbeitgeber. Oder schaut in euren Arbeitsvertrag.“ Insbesondere in der Pflege, im Einzelhandel oder in der Gastronomie haben viele Arbeitnehmende in den Niederlanden zum „Bevrijdingsdag“ keinen vertraglichen Anspruch auf einen freien Feiertag.

Eine Amsterdamer Petition unter dem Motto „5 mei iedereen vrij“ – „5. Mai für alle frei“ – will das ändern. „Trotz der Wichtigkeit unserer Freiheit, bekommt sie nicht die Aufmerksamkeit, die sie verdient“, heißt es von der Initiative.

Dabei scheint die Auseinandersetzung mit der nationalen Historie wieder wichtiger zu werden: Laut der „Nationalen Freiheitsuntersuchung 2023“ des „Nationaal Commité 4 en 5 mei“ fühlen sich im Vergleich zu 2022 mehr Menschen mit der niederländischen Geschichte verbunden. Gerade der Einfluss der Sklaverei- und Kolonialgeschichte werde deutlich stärker wahrgenommen – wohl wegen des aktuellen Ukraine-Kriegs.

Petition: Feiertag für alle Menschen schaffen

Trotz einiger Vorstößen aus der niederländischen Politik und Zivilgesellschaft in den vergangenen Jahren gibt es bis heute aber weiterhin keinen gesetzlichen Anspruch auf einen freien Tag am 5. Mai für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den Niederlanden.

Die verschiedenen Regierungen unter Premier Mark Rutte hatten seit dem erstem Amtsantritt 2010 die Verantwortung bislang bei den Arbeitnehmern belassen wollen. Der niederländische Staat als Arbeitgeber hat seinen Beamten unterdessen einen freien Tag eingeräumt. Unbekannt ist solche eine Kontroverse in NRW nicht: Auch hierzulande gibt es immer wieder Diskussionen darüber, den 8. Mai zum Feiertag zu erklären.