An Rhein und Ruhr. Die Ampel will den Autobahnausbau beschleunigen. Oliver Krischer erklärt, wie er Verkehrs- und Umweltpolitik unter einen Hut bringen will.
Staus sind auf vielen Autobahnen in NRW keine Ausnahme, sondern ein alltägliches Ärgernis. Die Ampel-Koalition will den Autobahnausbau beschleunigen. Klimaschützer sind empört. Für die Partei des grünen Landesumwelt- und -Verkehrsministers Oliver Krischer ist es ein Spagat. Er erklärt im Interview, wie er Verkehrs- und Umweltpolitik unter einen Hut bringen will.
Herr Minister Krischer, Sie sind heute mit dem Auto zum Redaktionsbesuch gekommen. Warum?
Da ich gleich einen Termin in Bielefeld habe, den ich nicht anders zeitlich erreichen konnte, war heute das Auto das Verkehrsmittel der Wahl. Wenn es meine Terminlage ermöglicht, erledige ich meine Wege mit dem Zug und dem öffentlichen Nahverkehr. Beides soll ja möglich sein, auf der einen Seite das Auto zu nutzen und auf der anderen Seite den öffentlichen Nahverkehr. Um Alternativen zum Auto zu schaffen, muss neben mehr Angebot bei Bahn- und Buslinien vor allem das Angebot für die letzte Meile verbessert werden, also den Weg vom Bahnhof zum Zielort, etwa durch Mobilstationen. Das ist ein ganz wesentlicher Punkt unserer Verkehrspolitik.
Die grüne Basis ist nicht sonderlich begeistert von der Verkehrspolitik im Bund, die die Grünen ja mittragen. Stichwort: beschleunigter Autobahnausbau. Haben die Grünen da zu leichtfertig zugestimmt?
Der Koalitionsausschuss hat, wie ich finde, für den Klimaschutz ganz richtungsweisende Entscheidungen gebracht. Beispielsweise die dringend überfällige Erhöhung der Lkw-Maut, um den Bahnverkehr zu stärken. Das ist ein ganz entscheidender Fortschritt für die Verkehrswende. Was den Autobahnausbau angeht, warte ich jetzt erst mal darauf, dass ich etwas vom Bundesverkehrsminister höre. Ich würde mir wünschen, dass sich Volker Wissing vor allen Dingen darum kümmert, dass die 873 kaputten Autobahnbrücken, die wir in Nordrhein-Westfalen haben, saniert werden. Mit der Haarbachtalbrücke in Aachen gibt jetzt bald neben der Rahmedetalbrücke schon die zweite gesperrte Autobahnbrücke. Das darf nicht so weitergehen!
Wo sehen Sie in NRW Bedarf für einen beschleunigten Autobahnausbau?
Seit zwei Jahren ist allein der Bund für die Autobahnen zuständig. Da kann und werde ich nicht jetzt mal ebenso ohne Sachgrundlage hier einzelne Prioritäten am Tisch festlegen. Generell gilt: Der Bund hat genauso wie wir als Land begrenzte Personalkapazitäten und Finanzmittel. Das heißt, man kann nicht alles machen. Daher ist meine Priorität klar: Erhalt vor Ausbau! Denn was nützt eine zehnspurige Autobahn, wenn sie dann vor einer Brücke endet, die wegen Baufälligkeit gesperrt ist? Hier habe ich den Eindruck, setzt der Bundesverkehrsminister die falschen Prioritäten.
Bei Autobahnbaustellen hat man ja eher das Eindruck, dass sie einfach jahrelang verwaist sind und nur den Verkehr behindern. Wie kann man wenigstens das ändern?
Das genau ist ja das Problem, dass wir mit Ankündigungen von Aus- und Neubauten am Ende nicht den Menschen helfen, die im Stau stehen, weil das trotzdem Jahre oder Jahrzehnte dauert und wir hier keine Fortschritte erreichen. Und deshalb freue ich mich, dass der Bundesverkehrsminister, aber auch das Land, jetzt an der Umsetzung von Projekten einiges ändern. Beispielsweise, dass in Zukunft nicht mehr allein nur der Preis entscheidet, wer einen Auftrag bekommt, sondern auch, wie schnell der Auftragnehmer das Projekt umsetzen kann.
Das Autobahnnetz mag dicht sein, das Netz der Radschnellwege ist es nicht. Wie wollen Sie das ändern?
Dass das vorangeht, hat bei uns noch mal Priorität bekommen. Wir haben hier ein abschnittsweises Zuständigkeits- und Kompetenzwirrwarr. Wenn so Autobahnen geplant und gebaut worden wären, gäbe es heute im Ruhrgebiet noch keine einzige. Wir bündeln das jetzt neu, lassen uns unter anderem von Straßen. NRW und den Kommunen, die hier entsprechend planen und bauen, ständig über den Projektfortschritt berichten. Es ist schade, dass von der anfänglichen Euphorie vor allem beim RS 1 in den Mühen der Ebene wenig geblieben ist. Wir hoffen, dass wir da jetzt mit neuem Elan vorankommen.
Kompetenzwirrwarr, Kollisionen von klima- und verkehrspolitisch notwendigen Projekten mit dem Umwelt- oder Artenschutz oder langwierige Bürgerbeteiligungen ziehen Projekte generell ziemlich in die Länge. Wo sehen Sie Nachjustierbedarf?
Es gibt an vielen Stellen Optimierungsbedarf, selbstverständlich auch beim Thema der Umweltverträglichkeitsprüfung. Wir müssen nicht manche Prüfungen über mehrere Jahre oder doppelt und dreifach machen. Das verzögert oft Projekte. Ich bin aber sehr dafür, dass man nicht nur über Artenschutz und Bürgerbeteiligung, sondern dass man auch über die Projektumsetzung redet, und da gibt es viele Probleme. Beispielsweise ist beim Radwegeausbau eines der großen Probleme, an die nötigen Grundstücke zu kommen. Da wollen wir in Zukunft auch von der Bundesebene andere Möglichkeiten bekommen, ähnlich wie beim Straßenbau.
Also nötigenfalls Enteignungen?
Bisher haben Sie praktisch keine Möglichkeit, für einen Radweg an ein Grundstück zu kommen, wenn jemand nicht verkaufen will. Es geht nicht um Enteignungen, eher um Flächentausch oder flexible Planung. Es kann auch nicht sein, dass Planungen wegen Personalmangels in Genehmigungsbehörden liegen bleiben. Ein anderes Thema sind Verzögerungen durch Klagen bei Vergaben und Preisnachforderungen bei der Ausführung. Wir brauchen einfach eine ehrliche Diskussion darüber, was uns wirklich voranbringt.
In den Niederlanden scheint das besser und zügiger zu laufen. Was machen unsere Nachbarn eigentlich besser?
In den Niederlanden haben viele Dinge einen längeren Vorlauf, und die profitieren von guten Entscheidungen, die sie in der Vergangenheit getroffen haben. Was sie konkret im Moment besser machen, ist, dass sie viel standardisierter bauen, beispielsweise beim Thema Brücken. Davon wollen wir uns einiges abgucken. Auch in Nordrhein-Westfalen muss man nicht alles immer wieder neu und aufwendig planen, genehmigen und überprüfen lassen.
Die Industrie will mehr Güter von der Straße aufs Wasser bringen. Einverstanden?
Das begrüße ich absolut. Ich freue mich, dass die Industrie das Potenzial der Wasserstraße unterstützt. Was wir brauchen, ist eine zügige Sanierung des Kanalnetzes und vor allen Dingen auch eine Sanierung der völlig überalterten Binnenschifffahrtsflotte. Da würde ich mir neben dem Engagement des Bundes vor allen Dingen auch ein stärkeres Engagement der Industrie wünschen. Wir sind mit der Branche und der Industrie darüber im Dialog.
Etwas ganz anderes: Für viele Menschen am Niederrhein sind Wölfin Gloria und ihr Rudel ein großes Gesprächsthema. Sind diese Tiere so gefährlich, dass sie getötet werden müssen?
Der Wolf ist eine geschützte Tierart, da sind die gesetzlichen Regelungen eindeutig. Aber natürlich bringt die natürliche Rückkehr der Tiere auch große Probleme mit sich. Erst vor ziemlich genau einem Jahr hat noch die frühere schwarz-gelbe Landesregierung im großem Einvernehmen mit dem Landtag eine Verordnung erlassen, die den Umgang mit dem Wolf regelt. Die wenden wir an. Wir werden uns anschauen, ob es da Änderungsbedarf gibt, also ob man mehr für die betroffenen Schäferinnen und Schäfer tun kann oder wir andere Schutzmaßnahmen für Weidetiere ergreifen müssen. Wir werden alles Notwenidge tun, was rechtlich zulässig ist. Aber wir müssen Wege finden, wie wir mit dem Wolf leben können. Daran arbeiten wir.
Ist NRW nicht einfach zu dicht besiedelt, als dass Mensch und Wolf zusammenleben können?
Das ist nicht so, auch wenn das Bundesamt für Naturschutz davon ausgeht, dass Gebiete für den Wolf vor allem in anderen Bundesländern liegen. Das ist in der Tat eine Folge der dichten Besiedlung Nordrhein-Westfalens. Wir haben in ganz Nordrhein-Westfalen nur drei Wolfsterritorien, zuzüglich einzelner durchwandernder Tiere. Verglichen etwa mit Niedersachsen oder Brandenburg mit einer vielfachen Zahl an Wolfsterritorien gibt es in Nordrhein-Westfalen eine sehr überschaubare Anzahl von Wölfen. Das ist lokal dann sicherlich immer eine schwierige Diskussion. Aber es zeigt sich an den Zahlen auch, dass wir als Land mit der Strategie des Herdenschutzes im Grundsatz auf dem richtigen Weg sind.
Das Interview führten Jan Jessen, Ralf Kubbernuß, Patrick Schuh und Peter Toussaint