An Rhein und Ruhr. Gabie Raven leitet eine Praxis in NRW. Von Abtreibungsgegnern wird sie öffentlich als „Massenmörderin“ beschimpft. Trotzdem gibt sie nicht auf.
Graues Haar blitzt aus ihrem Dutt hervor, die Lesebrille hat sie auf den Kopf geschoben. Über ihre Wangen streift der Ärztin ein kleines Lächeln. Das hat Gabie Raven nicht verloren. Einige nennen sie eine Massenmörderin, andere eine Tötungsspezialistin. Ihre Praxis? Das ist ein Schlachthof, sagen jedenfalls Abtreibungsgegner, die der Ärztin seit vielen Jahren ihre Arbeit schwer machen wollen.
31 Jahre lang nimmt die Niederländerin bereits Schwangerschaftsabbrüche vor, hat eine Praxis in Roermond, eine in Rotterdam. Ende letzten Jahres eröffnete sie in Dortmund die erste Praxis in NRW, die auf diese Eingriffe spezialisiert ist.
„Damit war ich Feindin Nummer eins für die Demonstranten“, blickt die 61-Jährige zurück. „Es wird immer schlimmer, nicht nur in Deutschland. Ich bin froh, nicht in den USA zu sein, dort werden Ärzte erschossen.“ Drohungen gehören für sie zum Alltag, ihre private Adresse, Telefonnummer und Bilder von ihr hat die Pro-Life-Bewegung bereits im Internet veröffentlicht. „Aber so leicht lasse ich mich nicht einschüchtern“, stellt die Niederländerin klar.
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„Widerliche“ Methoden, durch die schwangere Frauen sterben
Aber zurück zum Anfang: Als Gabie Raven vor vielen Jahren in einem afrikanischen Krankenhaus arbeitete, hörte sie von Frauen, die zum Abbruch ihrer Schwangerschaft einen Schamanen aufsuchten und an den kruden Methoden letztendlich sterben mussten. Als „widerlich“ beschreibt sie diese Vorgänge. „Ich wollte nicht zulassen, dass Frauen sterben, nur weil sie sich dazu entscheiden, ein Kind nicht zu wollen.“
Alternative Abtreibungsmethoden seien nicht nur in afrikanischen Ländern ein Problem, sie würden auch heute noch in Europa und auch in Deutschland angewandt. Um dem entgegenzuwirken, spezialisierte sie sich in ihrer niederländischen Heimat auf Schwangerschaftsabbrüche. Mit ihren beiden Praxen im Nachbarland führe sie circa 6000 Eingriffe im Jahr durch. Oft seien es auch Frauen aus Deutschland, die über die Grenze kämen.
„Das liegt einfach daran, dass der Zugang in Deutschland zu schlecht ist.“ Trotz des aufgehobenen Paragrafen 219a, der die Werbung für Abtreibungen verbot, würden sich viele Ärzte in Deutschland dagegen sträuben, das Angebot auf ihrer Webseite auszuzeichnen. „Aus Angst, sie könnten Patientinnen verlieren, die grundsätzlich gegen den Abbruch sind“, vermutet Raven.
Viele Frauen fahren zum Abbruch ins Nachbarland
Auch die Versorgung in Deutschland sei schlechter als im Nachbarland. Das sagt auch Eva Ehlers, Sprecherin für Pro Familia NRW. „Es gibt nicht genug Anlaufstellen in NRW. Ein Schwangerschaftsabbruch muss zeitnah geschehen. Wenn es in den vorhandenen Praxen zu Personalengpässen kommt, haben die Frauen ein Problem“, erklärt sie. Ein Abbruch ist in Deutschland bis zur 14. Schwangerschaftswoche erlaubt, in Ravens Praxen in den Niederlanden können Schwangerschaften bis zur 18. Woche gebrochen werden.
Doch diese späten Eingriffe seien nichts, was die Ärztin gerne mache. „Wenn irgendwann irgendwo stehen sollte, dass ich diese Eingriffe nicht mehr hasse, dann höre ich auf mit meinem Job“, stellt sie klar. Es sei wichtig, dass vor allem der Zugang, die Versorgungsdichte und die bürokratischen Hürden vereinfacht würden. Auch Verhütungsmittel sollten laut Raven preiswerter sein. „Das Setzen einer Spirale in Deutschland kostet mehr als der Schwangerschaftsabbruch in einer meiner Praxen“, erklärt sie.
Mehr Abtreibungen im letzten Jahr
Zustände, die nicht förderlich sind, gerade mit Blick auf die steigenden Zahlen der Schwangerschaftsabbrüche im letzten Jahr, die auch Raven beobachten konnte. Während in NRW im Jahr 2021 noch 19.887 Eingriffe registriert wurden, waren es 2022 bereits 22.558 Abbrüche. Die meisten davon erfolgten bis zur zwölften Schwangerschaftswoche.
Den Anstieg erklärt sich die Frauenärztin mit der Unsicherheit junger Menschen. „Da sind einerseits finanzielle Sorgen aufgrund von Inflation, alles wird teurer und dann der Krieg, das bringt viele zum Nachdenken, ob sie überhaupt noch Kinder bekommen möchten.“ Auch deutschlandweit ist die Anzahl der Eingriffe im Vergleich zum Vorjahr um fast zehn Prozent gestiegen. Waren es 2021 noch 94.600, wurden 2022 104.000 Fälle gemeldet. In den Niederlanden liegt die Zahl bei rund 30.000 Abtreibungen pro Jahr. Im Nachbarland besteht außerdem keine Pflicht zum vorherigen Beratungsgespräch, wie es in Deutschland der Fall ist.
Abschaffung des Paragrafen 218 wird weiter diskutiert
„Es muss sich noch einiges tun“, findet die 61-Jährige. Momentan wird in Deutschland die Abschaffung des Paragrafen 218 diskutiert, der den Abbruch (ohne vorheriges Beratungsgespräch und Einhaltung festgelegter Fristen) unter Strafe stellt. Erst kürzlich hat die Bundesregierung eine Expertenkommission einberufen. Ähnliche Diskussionen gebe es auch in den Niederlanden, erklärt die Ärztin und hat dazu eine klare Meinung: „Der Paragraf muss gestrichen werden, aber zuallererst muss sich auch in den Köpfen der Menschen etwas ändern.“ Noch immer sei der Schwangerschaftsabbruch ein Tabuthema.
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„Letztens hatten wir zwei Schwestern gleichzeitig in der Praxis, die nicht davon wussten, dass die andere da ist. Sie waren total schockiert, als sie sich im Wartezimmer getroffen haben.“ Ob sich der Umgang der Gesellschaft mit dem Thema Abtreibung jemals normalisieren wird, könne die 61-Jährige nur schwer sagen. Ziel sei es auch nicht, dass jede Frau, die in eine ihrer Praxen kommt, abtreibt. Viel wichtiger sei es ihr – und dafür mache sie diese Arbeit – dass Frauen eine Wahl für sich selber treffen.
Wichtig ist Gabie Raven, dass Frauen selbst bestimmen können
„Wenn wir merken, sie sind sich nicht sicher oder es ist nicht ihre eigene Entscheidung gewesen, dann machen wir den Abbruch auch nicht. Aber wenn sie sagen ‘Ich will dieses Kind nicht’, dann unterstützen wir sie dabei und sorgen dafür, dass sie sicher sind“, fasst Raven ihre Arbeit zusammen.
„Natürlich ist es oft auch traurig, die Frauen sind aufgewühlt und das ist auch gut so, sie gehen ja auch nicht zum Friseur, sondern zum Abbruch und es ist eine große Entscheidung. Aber wir können sie unterstützen und helfen. Die Dankbarkeit ist überwältigend“, sagt die Ärztin, während ein breites Grinsen über ihr Gesicht strahlt. „Ich liebe meinen Job“, fügt sie hinzu.
Blickt sie zurück, fällt ihr ein Erlebnis ein, das ihr besonders in Erinnerung geblieben ist: Eine 34-jährige Patientin, die sich fest entschlossen hatte, kein Kind in diese Welt setzen zu wollen, wurde überraschend schwanger. Nach dem Abbruch und im Rahmen einer Nachuntersuchung reichte sie Gabie Raven einen Zettel. „Vielen Dank, dass Sie mir mein altes Leben wieder zurückgegeben haben“, stand darauf.