An Rhein und Ruhr. Nach nur zwei Jahren wirft der Landesvorsitzende Kutschaty hin. Er hinterlässt eine Partei ohne inhaltliche Ausrichtung und Machtperspektive.

Der Ort, an dem Thomas Kutschaty das Unvermeidliche verkündete, ist nach dem Mann benannt, der für die SPD in drei Landtagswahlen hintereinander die absolute Mehrheit holte, und der mehr als zwei Jahrzehnte lang der unumstrittene Chef des mächtigsten Landesverbandes der Sozialdemokraten war. Unter Kutschaty kam die SPD bei der jüngsten Landtagswahl nur noch auf die Hälfte des Stimmenanteils, den Johannes Rau 1985 eingefahren hatte, im Amt hielt es den Essener Juristen gerade einmal zwei Jahre. Kutschatys Scheitern ist aber nicht nur ein persönliches. Die SPD in NRW ist nur noch ein Schatten ihrer selbst.

Die Landespartei stehe nach der verlorenen Landtagswahl vor großen Herausforderungen, und um die zu bewältigen, „braucht man als Vorsitzender die Unterstützung aller Gremien der Partei“, sagt der 54-Jährige am Donnerstag mit leicht brüchiger Stimme im Düsseldorfer Johannes-Rau-Haus.

Aktion mit Kamikaze-Charakter

Diese Unterstützung ist ihm spätestens am Mittwoch völlig weggebrochen, dank einer Aktion mit Kamikaze-Charakter: Kutschaty stellt dem Präsidium der NRW-SPD am Mittwoch ohne Vor-Abstimmung eine weithin unbekannte Kandidatin für das Amt der Generalsekretärin vor, die 36-jährige Magdalena Möhlenkamp aus Bonn. Das Präsidium lässt den Parteivorsitzenden auflaufen, insbesondere der mächtige Parteibezirk Westliches Westfalen fühlt sich brüskiert.

Nicht verwunderlich, widerspricht ein solches Vorgehen doch sämtlichen Gepflogenheiten. Derart wichtige Personalvorschläge müssen vorher abgesprochen werden. Kutschaty, so heißt es aus Kreisen des Landesvorstands, habe sich aber seit geraumer Zeit Bitten um einen Gesprächstermin entzogen.

Kritik an mangelnder Kommunikation

Kommunikation sei seine Stärke ohnehin nicht, versichern einige Landtagsabgeordnete auch am Donnerstag. Um die komplizierte Partei mit ihren mächtigen Bezirken, selbstbewussten Rathausspitzen und direkt gewählten Bundestags- und Landtagsabgeordneten bei Laune zu halten, zähle Kommunikation aber zu den wichtigsten Eigenschaften eines Parteichefs.

Die einem Misstrauensvotum gleichkommende Klatsche des Präsidiums war zwangsläufig, zumal Kutschaty ohnehin seit geraumer Zeit in der parteiinternen Kritik stand. Möglicherweise war der Personalvorschlag, den er am Mittwoch unterbreitet hat, auch einfach ein Akt der Ratlosigkeit und Verzweiflung. Dem Vernehmen nach sollen sowohl Ina Blumenthal (Hagen/EN-Kreis) als auch Lisa Kapteinat (Castrop-Rauxel) Kutschaty einen Korb gegeben haben, und es soll weitere vergebliche Anwerbeversuche gegeben haben. Offenbar scheuten alle außer Möhlenkamp davor zurück, sich an der Seite Kutschatys zur Wahl zu stellen.

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Von Ralf Kubbernuß(r.kubbernuss@nrz.de)

Chef der Landtagsfraktion will der Essener nun aber vorerst bleiben, er hinterlässt der Partei aber einen Scherbenhaufen. Der Oberhausener Politikwissenschaftler Martin Florack sieht die SPD in Nordrhein-Westfalen in einem vielschichtigen Dilemma gefangen: personell, inhaltlich, organisatorisch, aber auch in der Frage einer Machtperspektive. Nach der verheerenden Niederlage bei der Landtagswahl sei die Partei „meilenweit von einer Konkurrenzfähigkeit“ zur CDU entfernt, zumal sich Ministerpräsident Hendrik Wüst nun einen Amtsbonus erarbeitet könne, so Florack.

Zugleich macht die Abwanderung der Grünen zur CDU die Suche nach künftigen Koalitionspartnern für die SPD schwierig. Ohne Machtperspektive werde es aber in der „inhaltlich ausgezehrten“ Partei problematisch, auf kommunaler Ebene erfolgreiche Politiker für Aufgaben in der Landesebene zu finden, argumentiert der Wissenschaftler.

Manche Reaktionen auf den Kutschaty-Rücktritt muten so routiniert wie kraftlos an: Die Partei müsse nun die „notwendigen Beratungen über den Rücktritt führen und darüber, wer in der Lage ist, den Landesverband zu führen“, so Wolfgang Schiefner, der SPD-Vorsitzende der Region Niederrhein. Wer auch immer Kutschaty nachfolgt, müsse verkörpern, für was die SPD stehe und sie auf die anstehenden Europa- und Kommunalwahlen vorbereiten, so Schiefner weiter. Das Problem ist nur: Niemand weiß so recht, wofür die NRW-SPD steht. Auch einflussreiche SPD-Politiker räumen hinter vorgehaltener Hand ein, dass die Partei keine klare inhaltliche und strategische Ausrichtung habe.

Parteitag am 6. Mai

Die Zeit drängt: Am 6. Mai schon sollen auf einem Landesparteitag die Weichen für den Neuanfang gestellt werden. Der Entwurf eines Leitantrags ist längst geschrieben. Seit ein paar Tagen liegt auch eine Analyse vor, in der die NRW-SPD Gründe für ihre Wahlniederlage nennt und Lehren daraus zieht. Die Partei wolle wieder mitten unter den Menschen sein, steht zum Beispiel darin. In diesem Rat steckt auch Kritik an Kutschaty. Denn nach der vergeigten Landtagswahl mit dem für die SPD historisch schlechtesten Wahlergebnis von 26,7 Prozent wurden in der Partei Vorwürfe laut, Kutschaty verstecke sich in der Düsseldorfer „Blase“, und vernachlässige den Kontakt zu Bürgerinnen und Bürgern sowie Parteimitgliedern.

Die wichtigste Frage ist aber: Wer soll den bundesweit größten SPD-Landesverband an Kutschatys Stelle führen? Namen von möglichen Kandidaten kursieren nicht erst seit dem Rücktritt des Parteichefs, öffentlich will noch niemand seinen Hut in den Ring werfen.

Wer soll die Landes-SPD führen?

Michelle Müntefering wäre eine Kandidatin. Die Herner Bundestagsabgeordnete und Frau des früheren SPD-Spitzenmanns Franz Müntefering war schon als Generalsekretärin im Gespräch, wollte sich aber offenbar nicht an Kutschaty binden. Der Name Svenja Schulze aus Münster, Bundesentwicklungsministerin, fällt immer wieder mal. Auch die Oberbürgermeister Marc Herter (Hamm), Sören Link (Duisburg), Thomas Eiskirch (Bochum) und Thomas Westphal (Dortmund) werden genannt, außerdem Stefan Kämmerling (Landesgeschäftsführer der Partei).

Das Problem: Diese Damen und Herren haben anspruchsvolle Aufgaben und könnten die in Trümmern liegende Landespartei nicht mal eben im Nebenjob wieder aufbauen. Zumal die Übernahme des Landesvorsitzendes einer derart angeschlagenen Partei einem Himmelfahrtskommando gleicht und ein potenzieller Karrierekiller ist.

Die kommissarische Leitung übernehmen Noch-Generalsekretärin Nadja Lüders und Vize-Parteichef Marc Herter. Am Freitagabend trifft sich die Parteispitze in Dortmund zur Krisensitzung.