An Rhein und Ruhr. Spuckattacken und Flaschenwürfe: Oft kommt es zu Übergriffen auf Bus- und Bahnpersonal. Wie Deeskalationsschulungen auf den Ernstfall vorbereiten

Flaschenwürfe, Spuckattacken und Messerdrohungen… Das ist nur ein Bruchteil dessen, was an diesem Morgen auf dem Plakat im Seminarraum geschrieben steht. Bus- und Bahnfahrende der Duisburger Verkehrsgesellschaft haben mit Stift und Papier festgehalten, welche Erfahrungen sie selbst oder ihre Kolleginnen und Kollegen bereits im Alltag gemacht haben. Im Rahmen eines Deeskalationstrainings sollen sie lernen, besser mit diesen Gefahrensituationen umzugehen. „Die Schulung gehört zum Standardprogramm der Ausbildung bei uns“, erklärt DVG-Sprecherin Kathrin Naß.

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Mal stehen sie sich in Zweierpaaren gegenüber und trainieren das Aufzeigen von Grenzen mit Körper und Stimme zur Deeskalation, mal lernen die Bediensteten Taktiken zur Selbstabwehr – für den Ernstfall. „Wir hoffen natürlich, dass unsere Bediensteten diese Praktiken niemals anwenden müssen“, sagt Sprecherin Naß.

Viele Fälle von Übergriffen im letzten Jahr

Doch die Realität sieht oft anders aus: Erst Mitte August vergangenen Jahres hatte ein Fahrgast einen Fahrer der DVG ins Gesicht geschlagen und anschließend mit dem Messer bedroht. Wenige Tage zuvor wurde eine Busfahrerin abends von einem Fahrgast angegriffen, nachdem sie ihn mehrfach freundlich darauf hingewiesen hatte, die Musik leiser zu stellen. Nur durch den Einsatz anderer Fahrgäste konnte Schlimmeres verhindert werden.

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Ende August gab es erneut einen Angriff auf das DVG-Fahrpersonal. Der Fahrer musste im Anschluss im Krankenhaus behandelt werden. Anfang September ist eine Bahnfahrerin in der Bahn bedroht und bespuckt worden. Sie musste den Dienst daraufhin abbrechen. Wenige Tage später wurde ein Busfahrer von Jugendlichen attackiert, weil diese sich kein Ticket kaufen wollten. Drei Tage später wurde ein Busfahrer auf einem Betriebshof zusammengeschlagen, wie DVG-Sprecherin Kathrin Naß auf Anfrage der NRZ zusammenfasst.

Und auch bei der in Essen und Mülheim aktiven Ruhrbahn wurden bis Ende September letzten Jahres zehn dieser Vorfälle gezählt, bei denen ein Angriff auf Fahrpersonal stattfand. Bei den Angreifern handelte es sich laut Sprecherin Sylvia Neumann meist um Maskenverweigerer, die die Bediensteten anspuckten oder mit Gegenständen warfen. Und trotzdem weist Neumann daraufhin, dass die Zahlen in Summe zurückgegangen seien: 2019 zählte die Ruhrbahn 21 Fälle.

Deeskalationstrainings sollen helfen

Ähnlich die Situation bei der Niag (Kreise Kleve und Wesel). Genaue Zahlen könne der Verkehrsbetrieb auf Anfrage der NRZ nicht liefern, doch erklärt Sprecher Michael Block: „Vereinzelt wurden in den vergangenen Monaten Fahrerinnen und Fahrer aus unserem Unternehmen vor allem verbal angegriffen, also beleidigt oder sogar bedroht.“ Trotzdem kämen diese Vorfälle am unteren Niederrhein nicht allzu häufig vor. „Jedoch ist schon jeder einzelne Fall nicht zu tolerieren“, stellt der Niag-Sprecher klar.

Um auf einen derartigen Vorfall vorbereitet zu sein, bieten die Verkehrsbetriebe in der Region, wie der DVG, Schulungen an. Und das sei auch wichtig, sagt der Seminarleiter Friedhelm Hellmann, Leiter der Einsatzhundertschaft der Duisburger Polizei und Trainer für Kommunikation und Konfliktmanagement, der die Bediensteten der DVG an diesem Morgen schult.

Gesellschaft hat sich verändert

„Das Verhalten der Gesellschaft hat sich einfach verändert, Emotionen spielen eine größere Rolle. Da kommt dann immer häufiger respektloses Verhalten vor und das Nicht-Akzeptieren von Regeln. Deswegen bleibt nichts anderes übrig, als darauf vorbereitet zu sein“, erklärt der Erste Polizeihauptkommissar, der bereits seit knapp 30 Jahren die Deeskalationsschulungen durchführt.

Auch der 56-jährige Bus- und Bahnfahrer Dumrul Koyuncu ist an diesem Morgen hier. Schon seit 30 Jahren ist er bei der DVG, hat schon einiges erlebt. „Meist sind es Sachen von Vandalismus, manchmal werden die Türen aufgerissen und der Nothebel gezogen“, erzählt der Duisburger aus seinem Alltag. Auch Drohungen und Beschimpfungen habe er schon erlebt.

Wieso es auch Grund für Optimismus gibt

„Wenn man Verspätungen hat, dann weiß man eigentlich schon direkt, dass die Leute gestresst sind“, führt er weiter aus, seine Kollegin Tatjana Weingart stimmt ihm zu. Die 55-Jährige fährt seit drei Jahren Straßenbahn, Angst hätten beide trotzdem nicht, wenn sie in den Arbeitstag starten. „Das sind ja auch nur Einzelfälle, der Großteil der Fahrgäste ist total nett, ich mag meinen Job sehr gerne“, sagt Dumrul Koyuncu.

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Und vielleicht gibt es doch einen Grund für Optimismus: Niag-Sprecher Michael Block erklärt, nach Ende der Maskenpflicht gebe es bei Fahrerinnen und Fahrern den Eindruck, dass es zu weniger Ausfällen gegenüber dem Fahrpersonal kommen. Zwar würde es noch immer zu Überfällen aufgrund von Verspätungen kommen, die Fallzahl bleibe aber weiterhin niedrig.

>>> Zahl der Übergriffe auf Bahnpersonal im letzten Jahr verdreifacht:

2022 wurden laut Deutsche Bahn insgesamt 3138 Übergriffe auf DB-Mitarbeitende registriert, ein Anstieg von 21,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Beim größten Teil handelte es sich um leichte Körperverletzungen, 189 Taten waren schwere Körperverletzungen. DB Regio NRW erklärte kürzlich, dass sich die Zahl der Pöbeleien, Beleidigungen und Angriffe auf Zugpersonal binnen eines Jahres verdreifacht habe. Zählte der Nahverkehrsbetreiber im Jahr 2021 noch 1090 Übergriffe von Fahrgästen auf Kontrolleure und Zugbegleiter, waren es 2022 bereits 3630 Vorfälle, erklärt Frederik Ley, Vorstand der DB Regio