An Rhein und Ruhr. Im NRZ-Interview spricht Grünen-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur unter anderem über Lützerath und Kohleausstieg – und zeigt sich optimistisch.
Dieser Januar war für Mona Neubaur wahrlich kein leichter Start ins neue Jahr. Die Räumung Lützeraths im Rheinischen Braunkohlerevier brachte die Grünen-Ministerin für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen ins Fadenkreuz vieler Aktivistinnen und Aktivisten sowie Kritikerinnen und Kritikern. Im Gespräch mit der NRZ stellte sie sich nun den Fragen der Redaktion und sprach über den Ausbau Erneuerbarer Energien, die Auswirkungen der Lützerath-Proteste auf die Grünen und die Rüstungsindustrie in NRW.
Der Protest in Lützerath hatte große politische Tragweite. Es wurde befürchtet, dass er die Grünen spalten wird. Was macht das mit Ihrer Partei?
Das war natürlich eine anstrengende Zeit für die Grünen, ich habe großen Respekt, dass die Partei sich dieser Diskussion stellt. Die Grünen sind eine Partei, die mehrsprachig Politik machen kann. Einerseits versteht sie die Sprache von Initiativen und Umweltverbänden, aber andererseits kann sie auch mit Industrie und Wirtschaft kommunizieren. Es ist wichtig, weiterhin hier als Brückenbauerin unterwegs zu sein, um politischer Spaltung etwas entgegenzusetzen. Dafür braucht es Diskurs- und Dialogbereitschaft und nicht ein „Wir gegen Die“.
Haben Sie das Gefühl, dass die Initiativen Ihren Ansatz verstehen?
In meiner Rolle als Wirtschaftsministerin, verantwortlich für rund 18 Millionen Menschen im Land, muss ich den Interessensausgleich suchen und versuchen, im Hinblick auf den Klimaschutz Antworten zu geben. Mir ist vollkommen klar, dass jene, die sich ausschließlich Klimaschutz und das Einhalten des 1,5-Grad-Ziels auf die Fahne geschrieben haben, mit dem Kompromiss nicht zufrieden sein können. Auch, wenn es ein großer Schritt auf dem Weg zu diesem Ziel ist.
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Haben Sie denn die Sorge, dass Sie bei den nächsten Kommunalwahlen Stimmen bei Initiativen lassen, die gegen die Grünen antreten?
Ich weiß, wie relevant wir als politische Kraft gerade auf kommunaler Ebene sind und dass wir den Klimaschutz, die Mobilitäts- und Energiewende erfolgreich umsetzen können. Ich weiß aber auch, dass wir als Grüne zeigen müssen, dass wir liefern und uns die guten Ideen nach vorn nicht ausgehen.
Würden Sie zugeben, dass Sie in Bezug auf Lützerath nicht alle möglichen Hebel genutzt haben? Das wird Ihnen aus der Klimabewegung vorgeworfen.
Robert Habeck und ich haben Gespräche mit dem tagebautreibenden Unternehmen in der Hochphase der Diskussion über eine mögliche Gas- und Strommangellage geführt, in einer spürbaren Realität der Klimakrise. Zudem waren wir inmitten der große Debatte um den Atomausstieg. Grundlage für unsere Verständigung waren auch die Angaben der Bundesregierung aus dem zweiten Stresstest. Da war mit eingerechnet, dass aus den Blöcken in Neurath zusätzliche Leistung erbracht werden muss, um die Energieversorgungssicherheit zu gewährleisten. Es ist uns gleichzeitig aber gelungen, 280 Millionen Tonnen Braunkohle sicher unter der Erde zu lassen und den Tagebau physisch nochmals zu verkleinern.
Wie geht es nun mit dem Gebiet hinter Lützerath weiter: Kann dort auch noch abgebaggert und enteignet werden?
Der Hauptbetriebsplan für die Braunkohle ist 2023 bis 2025 genehmigt, das ist ein ganz normales behördliches Verfahren, um die Voraussetzungen zu kontrollieren. Für das Jahr 2023 liegen alle Genehmigungen vor, alle Flächen, die für dieses Jahr benötigt werden, sind im Eigentum von RWE. Es laufen noch Gespräche über vergleichsweise kleine landwirtschaftliche Flächen. Dort wird versucht, Einigungen zu finden.
So gesehen ist es noch nicht vorbei, 2 Prozent der Flächen, die noch in RWE-Eigentum sind, können dem Tagebau noch zum Opfer fallen?
Genau. Dabei handelt es sich um landwirtschaftliche Fläche.
Wie froh sind Sie, dass sich zumindest das Thema Räumungen beruhigt hat?
Wir laufen einen Marathon und keinen Sprint. Aber den entscheidenden Schritt, nämlich den Kohleausstieg acht Jahre vorzuziehen, sind wir gegangen. Jetzt wird es darum gehen, die Erneuerbaren so schnell wie möglich breit in den Markt zu bringen, damit wir die Energieversorgung widerstandsfähiger, günstiger und uns zugleich unabhängiger machen.
Wie soll der Ausbau von erneuerbaren Energien denn in NRW konkret umgesetzt werden und was sagen Sie Kritikerinnen und Kritikern von Windrädern?
Der Widerstand gegen Windräder ist deutlich geringer geworden seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. Mich erreichen viele Anfragen aus Kommunen, die Flächen zur Verfügung stellen wollen. Deswegen überlegen wir, Energieabgaben einzuführen, bei denen ein Teil des wirtschaftlichen Erfolgs auch an die Kommune geht. Es wird auch darauf ankommen, sicherzustellen, dass gesetzliche Mindestabstände für Lärmschutz erhalten bleiben. Da ist viel Dialog und ein kluges Zusammenspiel der unterschiedlichen politischen Ebenen gefordert.
Die SPD hat einen Antrag eingebracht, die Tausend-Meter-Abstandsregel zu kippen. Das wollen Sie auch?
Wir haben jetzt im ersten Schritt im Gesetzesverfahren die Wegnahme der Abstandsregel für Repowering erzielt, so können bereits etablierte und akzeptierte Standorte mit der neuen Technik deutlich mehr Leistung rausholen. Für die weitere Abschaffung der Tausend-Meter-Regel kommt die Flächenausweisung in einem sehr komplexen Raumordnungsverfahren zusammen. Wir haben nichts davon, ein Hauruckverfahren in Gang zu setzen, das nicht rechtssicher ist.
Mal von der Energiegewinnung zum Verbrauch: Welchen Einfluss können Sie nehmen, um die Wasserstoffinfrastruktur auch in der Industrie anzukurbeln?
Ganz konkret haben wir als Land eine dreistellige Millionensumme zugesagt, damit die Stahlproduktion CO2 neutral in Nordrhein-Westfalen produziert wird. Klimaschutz muss als erfolgreiches Geschäftsmodell vorangebracht werden. Wenn wir das schaffen, können wir auch weltweit Vorbild sein. Wohlstand darf nicht zu Lasten von Klima, Umwelt und sozialen Standards gehen, es muss ein nachhaltiger Wohlstand sein. Wir haben eine hohe Exzellenz in den Betrieben und Hochschulen, sodass wir Vorreiter sein können.
Andreas Pinkwart hatte 2020 zusammen mit seinem niederländischen Amtskollegen eine Erklärung für eine gemeinsame Wertschöpfungskette zu Grünem Wasserstoff abgegeben. Wo stehen wir da grade?
Wir sind weiter in vitalem und regelmäßigem Austausch mit den Niederlanden. Ein wesentlicher Schritt ist, dass wir gemeinsam mit unseren niederländischen und belgischen Kollegen auf EU-Ebene klären, welche Regularien für grünen Wasserstoff gelten. Das ist der unsichtbare Elefant im Raum für viele, die investitionsbereit sind. Erst wenn diese Bedingungen geklärt sind, können Investitionen fließen.
Neben den Niederlanden ist auch China ein wichtiger Handelspartner. Wie beurteilen Sie die Zusammenarbeit, befürchten sie eine Einflussnahme auf die NRW-Wirtschaftspolitik?
Die Beziehung zu China ist für uns ein Spannungsfeld zwischen Möglichkeit, Wettbewerb und Systemrivalität. In den letzten Jahren hat sich gezeigt, dass wir in relevanten Bereichen abhängig sind. Da hat sich auch der Blick bei den Unternehmen geschärft. Ich finde es gut, dass die Bundesregierung im Frühjahr eine überarbeitete Chinastrategie veröffentlichen will. Diejenigen, die hier Geschäfte machen wollen, müssen ihren Fokus in Richtung Nachhaltigkeit lenken.
Auch Rüstung ist ein Wirtschaftszweig im Spannungsfeld. Wie stehen Sie zu der NRW-Rüstungsindustrie?
Mit der von Bundeskanzler Olaf Scholz aufgerufenen Zeitenwende ist klar, dass die Bundesrepublik viele Milliarden aufbringt, um die eigene Sicherheit und Wehrhaftigkeit auf den Stand der Zeit zu bringen. Ich finde richtig, dass dabei auch Strukturreformen mitgedacht werden.
Sie waren auch beim Neujahrsempfang der CDU. Der wurde unterstützt von Evonik. Wie stehen Sie als Grüne zur Unterstützung von Politik und Parteien, durch Wirtschaft und Industrie?
Ich kann für die Grünen sagen, dass wir damit sehr bewusst und sehr transparent umgehen. Die Partei hat zum Beispiel einen Spendenkodex, an dem sich alle orientieren. Politik und Wirtschaft müssen zusammenarbeiten, ohne dass daraus Abhängigkeiten oder Vorteile entstehen. Die beste Maßnahme dagegen ist, Transparenz zu zeigen und den Fußabdruck deutlich zu machen, den man als Partei oder als Politikerin hinterlässt.