Essen. Wärme, Ansprache und saubere Kanülen: Im Druckraum in Essen können Drogenabhängige unter Aufsicht konsumieren. Die NRZ war eine Stunde lang dabei.
Es ist kurz nach 16 Uhr, in den beiden weiß gekachelten Räumen sitzen drei Männer im kalten Neonlicht vor den polierten Metallspiegeln. Es riecht nach kaltem Tabakrauch und Desinfektionsmittel. Einer sucht konzentriert nach einer Vene in seiner Hand, findet schließlich eine, setzt die Spritze an, zieht das Blut hoch, drückt. Er hält kurz inne, atmet tief durch, schaut in den Spiegel, säubert die Platte vor sich, steht auf und geht.
Im Wachraum beobachten drei Mitarbeiter der Suchthilfe die Szene. Es ist wichtig, die Kundschaft im Blick zu haben, nicht dass einer kollabiert. Der Drogenkonsumraum, andere sagen: Druckraum, in Essen ist ein Ort, den Menschen aufsuchen, die suchtkrank sind. Er liegt verborgen hinter dem Gebäude der Suchtberatung des Diakoniewerks ausgerechnet an der Hoffnungstraße.
Viel Hoffnung ist hier aber nicht, nur die pragmatische Erkenntnis, dass es besser ist, wenn Menschen, die nicht von illegalen Substanzen wegkommen, zumindest einen sicheren und geschützten Ort zum Konsum haben.
Ein bisschen Wärme, saubere Kanülen, mit denen sie sich nicht mit HIV oder Hepatitis anstecken, Leute, die auf sie aufpassen.
Im Wachraum mit seinen cremefarbenen Wänden schieben an diesem Nachmittag Benedikt Engel, 27, Charleen Schnasse, 29, und Maria Dedic, 42, Dienst. Engel und Schnasse studieren soziale Arbeit. Dedic ist medizinische Fachangestellte. Sie greift ein, wenn es zu einem Notfall kommt. Passiert immer wieder. Krampfanfälle, Herzstillstand. „Im Januar hatten wir vier Notfälle, im Dezember waren es zwei“, sagt Dedic. Der Stoff, den die Besucher des Druckraums auf der Straße kaufen, ist nicht immer der gleiche, manchmal wird Heroin mit dem ungleich stärkeren Fentanyl versetzt.
Eine lange Liste von Besuchern
Vor einem Spiegel in dem Raum, in dem die Besucher Drogen rauchen oder durch die Nase ziehen können, hat ein Mittdreißiger Platz genommen. Graue Mütze, graue Jacke, weiße Sneakers, Jeans. Keiner, der verelendet aussieht. Er dreht sich einige Zigaretten, bereitet ein Blech mit Heroin vor, erhitzt es mit dem Feuerzeug, zieht den Rauch in die Lungen.
In der folgenden Stunde wird er das immer wieder machen, mit sich selbst reden, sich über die Beine streichen, gestikulieren, auf dem Stuhl hin- und herrutschen. Sie haben einen Computer im Wachraum, darin sind die Namen der Besucher. Es ist eine lange Liste. Wer im Druckraum konsumieren möchte, muss aus Essen kommen.
Etwa 620 Süchtige haben die Einrichtung im vergangenen Jahr aufgesucht. Manche von ihnen kommen schon seit zwei Jahrzehnten hierher. Eine ältere Frau sitzt auf dem Stuhl am Eingang des Konsumraums, sie hat ein Bier vor sich, spielt auf dem Mobiltelefon. Nicht jeder kommt zum Drücken oder Ziehen in die Einrichtung. Manche brauchen einfach einen Platz, um nicht allein zu sein. Wer hier hinkommt, lebt am äußersten Rand der Gesellschaft. Die drei Mitarbeiter der Suchthilfe urteilen nicht. Es ist ein höflicher, respektvoller Umgang. Meistens jedenfalls. Manchmal müssen sie Hausverbote aussprechen. „Ey, nicht den Mülleimer durchsuchen“, ruft Engel einem zu, der etwas ziellos im Raum herumläuft.
Manche sind Veteranen der Szene
Ein älterer Mann hat sich gerade hinter einem Vorhang einen Schuss gesetzt, an dem Platz, an dem sie sich die Spritze in die Leiste setzen, weil sonst keine Venen mehr nutzbar sind. Er kommt zum Tresen, verabschiedet sich freundlich. „Darf ich ein Bonbon haben?“. Klar. Engel greift in das Körbchen mit den Süßigkeiten, verabschiedet sich von dem Mann, einem Veteranen der Szene. Er geht gebeugt heraus.
Manche schaffen es, die Härte der Straße über Jahrzehnte zu überleben. Dazu dient auch diese Einrichtung. „Wir wollen helfen, Leben zu erhalten“, sagt Schnasse. Immer wieder kommen neue Besucher. Manche sind ruhig, manche rappelig. Am Tresen sagen sie, was sie brauchen.
Zwölfer Nadeln, zwanziger Nadeln, Abbinder, Löffel und Ascorbin zum Aufkochen von Heroin, Pfeifen für die Konsumenten von Crack. Die Mitarbeiter der Suchthilfe haben alles fein säuberlich in Schubladen sortiert. Um 16.45 Uhr kommt ein hagerer Mann mit geschorenem Kopf herein, lässt sich Nadel, Spritze und Abbinder geben, setzt sich vor einem der Spiegel einen Schuss.
Thorsten ist 57 und ebenfalls einer der Veteranen der Essener Drogenszene. Er ist seit einem Vierteljahrhundert auf Heroin, das jagt er sich nicht mehr in die Venen, seit er Methadon nimmt. Seit sieben Jahren spritzt er Kokain, so wie heute. „Wenn es einmal klick macht im Kopf, dann ist es vorbei, dann muss ich was nehmen“, sagt er, seine Füße schubbern nervös auf dem Boden, er zuckt ständig mit den Schultern, die Augen wandern unruhig hin und her.
Thorsten sagt, er komme hierher, „weil mir hier sofort geholfen wird, wenn mir etwas passiert. Ich will einen Kick haben, aber ich will nicht sterben“. Früher, da hat er zu Hause gespritzt, da hat seine Mutter auf ihn aufgepasst. „Sie war meine beste Freundin. Ich leide immer noch darunter, dass sie vor sechs Jahren gestorben ist. Geh nie vor mir, hat sie immer gesagt.“
Die Szene, sagt er, habe sich verändert. „Das ist extrem schlimm geworden, die Leute zocken sich gegenseitig ab.“
Um kurz vor 17 Uhr verabschiedet sich die ältere Dame, die in der vergangenen Stunde vor ihrem Bier saß. Sie lässt sich ein Bonbon geben. „Danke schön, ich wünsche euch noch einen schönen Abend.“ Geöffnet ist der Druckraum heute noch bis 20 Uhr.