Essen. Eine Galeria-Verkäuferin erzählt, wie sich die drohende Schließung der Karstadt-Filiale im Limbecker Platz in Essen auf die Mitarbeiter auswirkt.

Es sind viele Erinnerungen, die in diesen Tagen vor Weihnachten bei Ulrike Hellmich* anklopfen. Wie Kinder an den Karstadt-Schaufenstern mit leuchtenden Augen die dekorierten Landschaften bewundern, in denen Steiff-Tiere mit dem Kopf wackeln. Wie Menschen durch die Eingangstüren des altehrwürdigen Althoff-Hauses quellen, sich an den Kassen in endlos lange Schlangen reihen und die Pralinenabteilung leerkaufen. Überall Verkäuferinnen, Kunden, prallvolle Regale auf fünf Etagen.

Schon weit über 30 Jahre verkauft die 55-Jährige Bettwäsche und Briefpapier, Toaster und Teekannen („und alles andere auch noch“) bei Karstadt. Der Name steht noch am Einkaufszentrum Limbecker Platz, aber der Arbeitgeber ist längst Galeria und ob er künftig auch noch Ulrike Hellmichs Arbeitgeber sein wird, entscheidet sich Ende Januar.

Drei Insolvenzen bei einem einzigen Arbeitgeber

Drei Insolvenzen hat die Verkäuferin, die unerkannt bleiben möchte, in ihrem Arbeitsleben mitgemacht, aber diesmal sind die Gespräche im Galeria-Personalraum noch resignierter. „Was sagst du?“, „Was schätzt du?“, fragen sie, wenn sie mittags um eins an den Tischen beisammensitzen. Hat die riesige Filiale, die ein Viertel des gesamten Einkaufszentrums ausmacht, eine Chance? Steht sie auf der Schließungsliste? Wird es eine Auffanggesellschaft geben? Am wichtigsten aber: „Werde ich arbeitslos?“

Gegenstände aus dem Arbeitsleben von Ulrike Hellmich* bei Galeria: eine Tasse, ein Schlüsselband, ein Schild und das Galeria-Weihnachtsheft 2022.
Gegenstände aus dem Arbeitsleben von Ulrike Hellmich* bei Galeria: eine Tasse, ein Schlüsselband, ein Schild und das Galeria-Weihnachtsheft 2022. © Katrin Martens

„Ich hab noch gut zehn Jahre bis zur Rente“, sagt Ulrike Hellmich, „und ich dachte eigentlich, ich schaffe es bei Galeria bis zum Schluss.“ Ihre Verbundenheit mit dem Warenhaus ist groß. „Früher hab ich meine ganze Wohnungsausstattung hier gekauft“, erinnert sie sich und lässt ihren Blick durch ihr Wohnzimmer schweifen. „Bei Karstadt hatten wir Küchen, Teppiche, das ganze Sortiment.“

Karstadt Sport schloss für immer

Nach und nach leerten sich die Warenbereiche. Die Fotoabteilung – gestrichen, die Kleinmöbel – weg, die Lebensmittel – auch gestrichen. Bei der letzten Insolvenz vor zwei Jahren musste Karstadt Sport die Türen für immer schließen. „Das vermisse ich schmerzlich, egal ob Skier, Tennisschläger oder die große Auswahl an Turnschuhen.“

Es sei leer geworden „auf der Fläche“, bedauert die Verkäuferin. Nicht nur die Produkte fehlen, auch die Kundinnen und Kunden. Ja, die älteren Menschen kommen noch. Sie sprechen den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Mut zu und drücken ihr Bedauern aus, „Mein Gott, was ist nur aus Karstadt geworden…“ Und sagen, dass sie bald nicht mehr wissen, wo sie in der Innenstadt noch Strümpfe oder Spielwaren kaufen sollen.

Kunden meckern über fehlende Preise an der Ware

„Aber es gibt auch diejenigen, die kein Verständnis dafür haben, dass wir so knapp besetzt sind“, sagt Ulrike Hellmich. „Sie meckern dann, dass sie keinen Verkäufer finden oder dass kein Preis an der Ware ist.“ Auf die Erklärung, dass sich die Preise in diesen Zeiten extrem schnell ändern und man den gültigen Preis an den Preisscannern erfährt, die an den Säulen im Laden angebracht sind, haben viele schon keine Lust mehr.

Es ist nicht leicht, bei Galeria in diesen nervenaufreibenden Zeiten als freundliche, motivierte Verkäuferin aufzutreten. Ulrike Hellmich hat ihren Optimismus noch nicht verloren. „Ich arbeite einfach gern mit Menschen und quatsche auch gern mit ihnen.“ Aber es gebe auch andere, die weniger Lust haben, beobachtet sie. „Viele, die motiviert und fleißig sind, hatten Überstunden aufgebaut. Die kann man bei uns in Freizeit abfeiern. Aber die Überstunden sind eingefroren, weil sie in die Insolvenzmasse eingegangen sind.“ Da könne man schon wütend sein, „wie wir immer verschaukelt werden“. Und schnell landet da auch schon mal ein Krankenschein im Personalbüro.

René Benko? „Dem geht’s doch ums Immobiliengeschäft!“

Dass das klassische Warenhaus mit seiner „Alles unter einem Dach“-Philosophie keine sichere Zukunft hat, ist für die Essener Galeria-Belegschaft schon lange kein Geheimnis mehr. „Ich krieg nicht so viel mit, ich lese keine Wirtschaftsfachzeitschriften“, erzählt Ulrike Hellmich, „aber ich hab seit Oktober keine Umsatzprovision mehr bekommen.“ Auf den Unternehmer René Benko ist sie nicht gut zu sprechen („Dem geht’s doch ums Immobiliengeschäft!“), auf ihren eigenen Geschäftsführer schon. „Der hat einen guten Job gemacht, der zittert genauso wie wir.“

Obwohl das Unternehmen längst Galeria heißt, ist der Schriftzug Karstadt noch an vielen Stellen am und im Einkaufszentrum Limbecker Platz sichtbar.
Obwohl das Unternehmen längst Galeria heißt, ist der Schriftzug Karstadt noch an vielen Stellen am und im Einkaufszentrum Limbecker Platz sichtbar. © Katrin Martens

Was hat sich geändert im Einzelhandel? „Die Leute kaufen online. Ins Geschäft lockt man sie heute nur noch durch Rabatte“, beklagt sich Ulrike Hellmich. Sale! Ausverkauf! Fast jede Woche eine andere Aktion. „Beratung ist zweitrangig geworden.“ Früher, da hieß es noch „Schmecken, fühlen, ausprobieren – das ist der Handel“. Aber die Zeiten sind lange vorbei. Auch im Einkaufszentrum Limbecker Platz merkt man: Gute Läden ziehen weg, billige kommen.

Unfair: Erst beraten lassen, dann im Internet kaufen

Die unfairen Kunden lassen sich bei Galeria beraten und kaufen dann im Internet. „Dann sagen sie ‚Ich gucke noch mal‘, manchmal ärgert’s mich“, gibt Ulrike Hellmich zu. Sie selbst shoppt auch ab und zu online, zum Beispiel Technik oder Kleidung, „ich kann nicht für jedes kleine Teil einen Nachmittag opfern. Aber ich gucke erst mal bei uns. Wir sind nicht immer teurer als andere.“

Falls Karstadt in Essen bald Geschichte sein sollte, täte es der 55-Jährigen leid um die vielen Stammkunden, die ihre Filiale verlieren. Und um die Teilzeitkräfte, die jetzt schon abends nach der Arbeit putzen gehen, um über die Runden zu kommen. „Ich selbst kann mir durchaus vorstellen, noch mal was anderes zu machen“, sagt sie zuversichtlich. „Zugbegleiterin zum Beispiel. Brötchen verkaufen werde ich jedenfalls nicht, da muss ich zu früh aufstehen.“

„Jetzt aber halten wir erst mal alle durch bis zum Schluss.“ Und dann nimmt sie noch einen großen Schluck Kaffee aus der Tasse mit den blau-gelb-roten Streifen. Das bunte „Villeroy & Boch“-Service („zwölfteilig, mit allem Pipapo“) ist ihr Hochzeitsgeschirr. Von Karstadt, was sonst?

Galeria Karstadt Kaufhof in Zahlen:

Deutschlands letzter großer Warenhauskonzern Galeria Karstadt Kaufhof hat zum zweiten Mal innerhalb von weniger als drei Jahren Rettung in einem Schutzschirmverfahren gesucht. Im Januar wird die Entscheidung erwartet, welche der 131 Filialen weitergeführt werden. Es heißt, mehr als 40 sollen geschlossen werden.

Eine Rolle bei der Entscheidung über das Schicksal einzelner Filialen könnte auch ein mögliches Entgegenkommen der jeweiligen Vermieter spielen. Für die Filiale im Limbecker Platz in Essen hatte sich 2020 auch OB Thomas Kufen eingesetzt – Galeria zahlt nun weniger Miete.

Galeria ist mit rund 17.000 Mitarbeitern noch in 97 deutschen Städten vertreten. Eigentümer ist der österreichische Immobilienmilliardär René Benko.

*Name von der Redaktion geändert