Kall, Bad Neuenahr-Ahrweiler, Leverkusen-Opladen. Am 8. November heulen bundesweit Sirenen – eine Folge der Flutkatastrophe im Ahrtal. Wie sieht es dort aus – anderthalb Jahre danach?
Wenn am Donnerstag überall in Deutschland um 11 Uhr die Sirenen heulen (siehe Infobox), dann hat das auch etwas mit der Flutkatastrophe vom Sommer 2021 zu tun. Das Hochwasser hatte in NRW und Rheinland-Pfalz ganze Landstriche verwüstet, mehr als 180 Menschen starben. Seither ist manches geschafft worden, aber der Wiederaufbau geht stellenweise zum Verzweifeln langsam voran. Wo Kinder betroffen sind, ist das besonders problematisch. Ein Lagebericht aus drei Schulen in der Eifel, im Ahrtal und im Rheinland:
„Wir hatten die perfekte Schule“, sagt Marianne Rütt. Ein halbes Jahr lang wurden die 13 Klassen der Gemeinschaftsgrundschule Kall in der Eifel in einem frisch renovierten Gebäude unterrichtet. Neue Werkräume, Rückzugsräume, moderne Essensausgabe – ein Vorzeigeobjekt. Bis Mitte Juli 2021. Damals wurde aus dem Bach Urft ein alles mit sich reißender Strom, der in Kall und Umgebung Autos wegspülte, Bäume entwurzelte, Straßen und Geschäfte verwüstete.
In der Grundschule Kall war das Erdgeschoss komplett zerstört. Das Wasser kroch in Boden und Wände. Es entwickelte sich Schimmel, der den Unterricht im Gebäude unmöglich machte. Für Monate hieß es zunächst, sodass die Kinder in „mobile Bauelemente“ auf dem Schulhof zogen. Diese Containerlösung sollte längst zu den Akten gehören, aber der Umzug klappt erst 2024. Denn der Schulträger hat jetzt entschieden: Da sowieso alles im Rohbau ist, wird angesichts der Energiekrise modernisiert. Die Grundschule erhält ein kostensparendes Heizungssystem. „Es ist so frustrierend“, sagt Schulleiterin Rütt.
Auch in Bad Neuenahr-Ahrweiler ist seit der Flutkatastrophe „viel passiert, aber nicht nur Positives“, fasst Doris Stutz, die Leiterin der Erich-Kästner-Realschule, zusammen. Die Flut hat das Ahrtal am heftigsten
getroffen. Über 130 Menschen starben, 17.000 haben durch das Hochwasser alles oder fast alles verloren. Da hört es sich fast an wie ein bisschen Glück im Unglück, dass der Unterricht vor anderthalb Jahren für die Realschüler im ersten Stock des Schulgebäudes weitergehen konnte.
Von Chemie- und Physik-Räumen, Werkraum, Hauswirtschaftsraum, Küche und Turnhalle hatte das Wasser kaum etwas übrig gelassen. Fazit: Alle naturwissenschaftlichen Räume ziehen nun aus dem Erdgeschoss in den ersten Stock, damit die Technik vor einem nächsten Hochwasser geschützt ist.
Aber es ist ein holpriger Prozess. Mal werden die falschen Türen geliefert, dann fehlen der Boden oder die Waschbecken für die Toiletten. Oder die Handwerker werden zu einer anderen Baustelle gerufen. Im Erdgeschoss sind gerade einmal vier Räume saniert. „Warum sollte es uns da anders gehen als allen anderen Menschen im Ahrtal“, versucht Doris Stutz die Ruhe zu bewahren. Aber der lange Atem gehe den Kollegen so langsam aus, räumt die Schulleiterin ein. Zumal nun schon im zweiten Winter der Sportunterricht auf dem Schulhof stattfinden muss. Außerdem wurde im Zuge der Sanierung festgestellt, dass die Fluchtwege veraltet sind. Nun wird auch im ersten Stock gehämmert, um von einem Klassenraum zum anderen Türen zu schaffen. Das Leben auf der Baustelle macht mürbe.
Die Theodor-Heuss-Realschule in Leverkusen-Opladen ist bis auf weiteres eine Baustelle. Hier kam die Flut von zwei Seiten, denn das Gebäude liegt zwischen der Wupper und dem Wiembach. Von Baulärm bekommen die Kinder und Lehrkräfte aber nichts mit: Für die Fünft- bis Siebtklässler rückten die Schüler der Heinrich-Lübke-Grundschule zusammen, die Älteren werden in Containern auf dem Schulhof einer anderen weiterführenden Schule unterrichtet. Diese beiden Schulen liegen zehn Minuten Fußweg auseinander, die Lehrer müssen pendeln.
Wie kräftezehrend diese Raumsituation für alle drei Schulen ist, hat Schulleiterin Andrea Wirths auch
Dorothee Feller vor Augen geführt. Die NRW-Schulministerin war vor wenigen Wochen zu Besuch, da gab es viel zu berichten. „Man merkt schon ein deutliches Tief, bei den Kindern, vor allem aber auch bei den Kolleginnen und Kollegen“, resümiert die Schulleiterin. „Von den Kindern hat sich ein Teil an die Situation gewöhnt, ein anderer sagt, so langsam gehen wir hier kaputt, auch was die langen Anfahrten mit dem Bus betrifft.“
Was Andrea Wirths am meisten Sorgen macht, ist der Zusammenhalt der Schulgemeinschaft: „An zwei Standorten bricht das einfach irgendwann auseinander“, befürchtet die Schulleiterin. Ins alte Schulgebäude geht es erst 2024 zurück. Förderanträge verkürzen das Vergabeverfahren nicht gerade. Sie habe inzwischen viele Teilzeitgesuche auf dem Tisch, sagt Andrea Wirths. „Man sieht einfach keine Perspektive, das macht es so schwierig, durchzuhalten.“