An Rhein und Ruhr. Ein Bauingenieur wagt den Seiteneinstieg als Lehrer an einer weiterführenden Schule. Am Ende steht ein Gefühl der Hilflosigkeit.

Die ersten Tage waren alles andere als leicht, doch Mike R.* ging optimistisch in seine neue Rolle als Lehrer. Das wird schon, dachte er sich. Der studierte Bauingenieur wollte gern unterrichten und als Seiteneinsteiger in den Schuldienst eintreten. Etwa 4000 Stellen an den Schulen in NRW sind unbesetzt, da müsste ein solches Interesse doch auf Gegenliebe stoßen! Doch statt einer Liebesbeziehung stand am Ende eine Trennung auf ewig.

Nach dem Abitur ließ sich der heute 32-Jährige zum Bauzeichner ausbilden, aufgrund seiner Leistungen konnte er seine Ausbildung auf zwei Jahre verkürzen. Anschließend studierte er Bauingenieurwesen, nach fünfeinhalb Jahren hatte er seinen Masterabschluss in der Tasche.

Er arbeitete in Büros in Duisburg und Düsseldorf, plante die Statik für Hochhäuser und Bürogebäude. Nach einigen Jahren bemerkte er: acht Stunden nur vor dem Rechner sitzen und wenig Abwechslung im Alltag, da muss sich etwas ändern“. Während seiner Ausbildung hat er Kindern Mathe-Nachhilfe in einem Nachhilfe-Institut gegeben und gemerkt: Das macht Spaß. Warum also nicht an die Schule gehen, Jugendliche in Mathe oder Bauwesen unterrichten?

Als Vertretungslehrer gestartet

Er hat Schulen an Rhein und Ruhr angeschrieben, aber kaum Rückmeldungen erhalten. Eine Schule am Niederrhein war dann aber doch interessiert, lud ihn zu einem Auswahlgespräch ein. Zu vergeben war eine Stelle als Vertretungslehrer, 25,5 Stunden die Woche. Nach den Sommerferien dann, so die Aussicht, sollte er als Seiteneinsteiger in der Schule beginnen und dazu eine pädagogische Einführung, also eine Art berufsbegleitende Fortbildung, erhalten.

Doch bis dahin musste sich Mike in seinem neuen Job als Vertretungslehrer behelfen. Eine Einführung hat es nicht gegeben, so dass er Schülerinnen und Schüler ohne Vorkenntnisse unterrichten musste. Nicht gerade unerheblich, wenn es um die weitere Laufbahn geht.

In eine fünfte Klasse sei er „reingeworfen“ worden, wie er schildert, musste Streit schlichten, sich zunächst seine Autorität erkämpfen. „Ich hatte ja keine pädagogische Hintergrundinformation: Was mache ich, wenn sich Schüler prügeln, wenn sie sich beleidigen oder mich ignorieren?“ Vom Kollegium fühlte er sich in diesen Momenten allein gelassen. Zwar konnte er hospitieren und sich von erfahrenen Kollegen etwas abschauen. Doch sobald er allein vor einer Klasse stand, war er auf sich gestellt. Kurzum: Mike fühlte sich überfordert.

In den Ferien vorbereitet

Dann standen die Sommerferien an, die er nutzte, um sich auf sein kommendes Unterrichtsfach Technik vorzubereiten. Er büffelte, las und lernte. Zum neuen Schuljahr dann sollte es strukturiert laufen – zumindest in der Theorie. Mike bekam Mentoren an die Seite gestellt, die ihm weiterhelfen sollten.

Der Duisburger hatte gehofft, dass er eher mit Oberstufenschülern arbeiten kann, als mit jüngeren. Sein Fehler: Die Stelle sei als Mathe- und Techniklehrer für die Sekundarstufe II ausgeschrieben gewesen, also für die Oberstufe. Dass das aber auch Unterricht in der Sekundarstufe I beinhalte, wusste er nicht. Der Umgang mit jüngeren Schülern fiel ihm durchaus schwerer.

„Ich habe in der ersten und zweiten Stunde Mathe unterrichtet, hatte anschließend die Pausenaufsicht und dann direkt die dritte und vierte Stunde“, beschreibt er im Gespräch mit der NRZ den Alltag. „Ich hätte mir etwas Entlastung gewünscht, um meine Ausbildung reflektieren zu können“, sagt er. Wie bereite ich einen Unterricht vor? Was tue ich, wenn ich das erste Mal vor einer Klasse stehe? – Auf diese Fragen hätte er gern eine Antwort gehabt.

Doch die Intensivphase der pädagogischen Einführung (PE) an den Zentren für schulpraktische Lehrerausbildung beginnt grundsätzlich zum 1. November oder zum 1. Mai, wie das NRW-Schulministerium auf NRZ-Anfrage bestätigt. Das bedeutet: Seiteneinsteiger sind bereits in einer dreimonatigen Orientierungsphase im Dienst, bevor überhaupt die Grundlagen vermittelt werden.

Kritik von der Gewerkschaft

Das NRW-Schulministerium verweist indes darauf, dass die Schule, begleitend zum Zentrum für schulpraktische Lehrerausbildung, die Seiteneinsteiger betreut. Die Rückmeldungen zeigten, „dass die umfassenden Begleit- und Unterstützungsmaßnahmen der PE greifen und den neuen Lehrkräften den Berufseinstieg erleichtern. Als neue Kolleginnen und Kollegen tragen sie dann schnell zur Entlastung der Bestandslehrkräfte bei. Insofern hat sich in Nordrhein-Westfalen der Seiteneinstieg auch über die Pädagogische Einführung bewährt“, erklärt ein Ministeriumssprecher.

Für Mike kam es anders. Statt Orientierung gab es für ihn Desillusionierung. Eigentlich ist seine Einstellung: „Jede Ausbildung ist machbar, wenn du dich dafür interessierst.“ Doch diese hat er nicht gepackt. Er hat seinen Job in der Schule gekündigt.

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft kennt solche Fälle. Sie fordert eine bessere pädagogische und didaktische Begleitung und Qualifizierung der Seiteneinsteiger von Beginn an. „Jetzt zeigen sich die bildungspolitischen Fehlentscheidungen der letzten Jahre“, sagt Ayla Çelik, Vorsitzende der Bildungsgewerkschaft GEW in NRW. Jede fehlende Lehrkraft bedeute verpasste Chancen für die Schülerinnen und Schüler. „Deswegen müssen so viele wie möglich in den Schuldienst gebracht werden über Verbesserungen der Arbeitsbedingungen und einer echten Attraktivitätsoffensive“, sagt sie im Gespräch mit der NRZ.

Die schwarz-grüne Landesregierung will sich um das Thema kümmern. In ihrem „Zukunftsvertrag“ steht: „Wir wollen durch Beratung den Seiteneinstieg fördern und die dazugehörigen Prozesse vereinfachen.“ Wie, steht nicht darin.