An Rhein und Ruhr. Männer sind anders krank als Frauen. Das zeigt der jüngste Gesundheitsreport der Barmer. Krankenkasse fordert gender-individualisierte Medizin.
Von wegen Gleichbehandlung von Mann und Frau: Die Barmer fordert jetzt die gezielte Ungleichbehandlung von Männern und Frauen. „Wir müssen das Bewusstsein für die Notwendigkeit einer genderindividualisierten Medizin schärfen, die sich viel mehr auf die Unterschiede und die daraus resultierenden unterschiedlichen Bedürfnisse von Menschen konzentriert“, fordert der Heiner Beckmann, Landesgeschäftsführer der Krankenkasse mit rund 8,8 Millionen Versicherten in Deutschland, davon ein Viertel in NRW.
Für die Barmer ist die Sensibilisierung des Gesundheitswesens in Prävention und Therapie für die unterschiedlichen Krankheitsbilder bei Männern und Frauen dringend geboten – das ergibt sich für sie aus dem Gesundheitsreport 2022, der vor allem die Krankheitsbilder der erwerbsfähigen Bevölkerung zwischen 15 und 64 in den Blick nimmt. Und da zeigen sich deutliche Differenzen zwischen den Geschlechtern – allerdings auch beinahe ebenso deutliche Veränderungen in den Altersgruppen.
Bei den Berufseinsteigern – den Menschen zwischen 15 und 29 – sind die klassischen Erkältungskrankheiten der häufigste Grund für Krankschreibungen. Und da haben die Frauen die Schnupfennase vorn, sie fehlen deswegen rund 1,3 Tage pro Jahr, die Männer 1,1 Tage. Zu erklären ist dies, so Beckmann, vermutlich durch die Berufswahl: Frauen arbeiten häufiger in Kitas, Kliniken, Pflegeeinrichtungen.
Frauen sind häufiger erkältet - weil sie mehr mit Menschen arbeiten
Und je näher am Menschen, desto größer das Risiko, sich Schnupfenviren einzufangen. Und umgekehrt: Weil Männer mutmaßlich häufiger in Handwerksberufen arbeiten, zudem eher riskantere Sportarten ausüben, sind bei ihnen in dieser Altersgruppe Brüche des Handgelenks oder der Hand rund fünfmal häufiger diagnostiziert als bei Frauen – bei natürlich weitaus geringeren Fallzahlen. Auch Knieverletzungen sind bei Männern doppelt so häufig.
Aber schon in dieser Altersgruppe zeigt sich, was sich auch bei den 30 bis 49-Jährigen sowie den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern über 50 fortsetzt: Frauen erkranken weitaus häufiger an Depressionen oder Belastungsstörungen. Die Fallzahlen liegen bei vielen Diagnosen fast doppelt so hoch wie bei den Männern. Das mag erneut an der Berufswahl liegen – der Bereich Pflege gilt ja als Brutstätte für Burn-Outs.
Kein Wunder, dass in zunehmendem Alter die psychischen Erkrankungen als Hauptgrund für das Fehlen am Arbeitsplatz sind. In 2021 lag sie in NRW erstmals über dem Klassiker „Rücken“ – also Krankschreibungen aus der Rubrik „Muskel/Skelett“: Mehr als vier Tage fehlte ein Barmer Versicherter im Schnitt im Jahr 2021 wegen psychischer Erkrankungen - ein Zuwachs von knapp 20 Prozent gegenüber 2020. Hier offenbar greifen Präventionsangebote bislang kaum, die im Bereich der Rücken- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu erheblichen Verbesserungen geführt haben.
Kurz vor der Rente drohen vermehrt Herz- und Kreislauferkrankungen
Neben der deutlich höheren Zahl der psychischen Erkrankungen bei Frauen gibt es eine weitere geschlechtsspezifische Auffälligkeit: Kurz vor der Rente drohen vor allem den Männern Herz-Kreislauferkrankungen. In der Altersgruppe ab 50 Jahren sind sie fast fünfmal häufiger von einer chronischen Herzkrankheit betroffen, haben etwa zweieinhalb Mal so oft einen Schlaganfall und etwa dreimal so oft einen Herzinfarkt.
Doch auf diesem Feld immerhin zeigt die Statistik auch Erfolge in der Prävention: Die Zahl der Krankheitstage wegen so genannter ischämischer Herzkrankheiten ging seit 2014 bei Männern immerhin um rund 15,4 Prozent zurück. Das sind viermal so viele wie bei den Frauen, bei denen es bemerkenswerterweise kaum einen Rückgang gab.
Ebenfalls verbessert hat sich seit 2014 die Lage beim Rückenschmerz: Hier gingen die Fehlzeiten um rund 11 Prozent zurück, seit etwa 2017 indes stagnieren die Werte. Im letzten Jahr klagten Frauen wieder etwas weniger über Rückenleiden, während die Zahl der Ausfalltage bei Männern etwas zunahm.
Gesundheitsreport fußt auf Daten von rund 3,8 Millionen Beschäftigten
„Die Schwerpunkt-Analyse des Reports bestätigt in allen Altersgruppen der Erwerbstätigen einen Genderunterschied. Daher ist es dringend notwendig, dass sich im medizinischen Bereich eine stärkere Gendersensibilität entwickelt“, bilanziert Barmer-Landesgeschäftsführer Heiner Beckmann den Gesundheitsreport, der auf den Daten von rund 3,8 Millionen erwerbstätigen Barmer-Versicherten fußt, davon rund 900.000 in NRW.
Tröstlich für die Barmer und ihre erwerbstätigen Versicherten im Land: So gesund wie 2021 waren sie zuletzt 2017. Jedenfalls, wenn man die Zahl der Krankschreibungen zugrunde legt. Mögliche Ursachen: Die Corona-Maßnahmen verhinderten auch Schnupfen und Grippe – und im Homeoffice arbeitet mancher weiter, der sich sonst nicht ins Büro geschleppt hätte.