Am Niederrhein. Das Jugendsinfonieorchester der Ukraine gibt zwei Konzerte in Moers – kann Musik den Krieg überwinden? Interview mit Festivalleiter Konrad Goeke
Zwei Wochen war das Jugendsinfonieorchester der Ukraine im Sommer zu Proben in Moers. Morgen kehren die rund 60 Musikerinnen und Musiker zurück, um bei der Festwoche „Moers klingt“ zu spielen. Konrad Göke ist der künstlerische Leiter von „Moers klingt“ – und nimmermüder Motor für Kultur mit Leidenschaft. „Kultur ist der Kitt der Gesellschaft“, sagt er.
Herr Göke, Sie sind ja eine Art „Tausendsassa“ im kulturellen Leben des Niederrheins, als Regisseur, Autor, Produzent…
Naja, den Ausdruck Tausendsassa mag ich nicht so gern. Ich hatte das Glück, mich schon sehr früh konsequent entscheiden zu können, was mein Lebensziel ist, was ich beruflich machen will. Und das ist nun einmal die Kunst, die Kultur, die so wichtig ist für unsere Gesellschaft. Und wenn man mit Leidenschaft eine Sache verfolgt, wenn man für etwas brennt, dann ist das etwas Fantastisches. Und dann ist das so eine Art Berufung, für die man lebt.
Diese Funken der Begeisterung sprühen ja sogar, wenn wir ganz locker miteinander reden…
Ist das so? Wunderbar! Ich hatte das Pech – und vielleicht war es im Nachhinein auch mein Glück, dass ich ja schon mit ganz jungen Jahren aufgrund meiner Kinderlähmung ein Außenseiter war. Noch heute ist mein linker Arm nicht zu gebrauchen. Das waren sehr schmerzhafte frühkindliche Erfahrungen, nicht nur in den Kliniken sondern eben auch unter Gleichaltrigen. Ich war anders und wurde gehänselt. Heute sage ich: Das alles hat meinen Blick geschärft und meine Seele gestärkt.
Festival „Moers klingt“
Moers klingt – und der Niederrhein stimmt ein – vom 26. August bis 4. September. Veranstalter ist der Verein „Erinnern für die Zukunft“ e.V. (Vorstandsvorsitzender Ulrich Hecker). Ohne die Unterstützung der Sparkasse am Niederrhein (mit dem Vorstandsvorsitzenden Giovanni Malaponti) wäre das Projekt nicht möglich gewesen, so Konrad Göke. Bei Moers klingt stehen dieses Mal die Konzerte des Jungendsinfonieorchesters aus der Ukraine im Vordergrund: Festkonzert: Freitag, 26. August, 19 Uhr, enni Eventhalle. Großes Sinfoniekonzert, Sonntag, 28. August, 18 – 20.30 Uhr, enni Eventhalle. – Mittwoch, 31. August, 12.30-14 Uhr: Konzert für den Frieden. Sonntag, 28. August und Dienstag, 30. August: „Der Tod und das Mädchen“, Polizeitanzensemble „Police Revolution“, Sonntag, 4. September, 17-19 Uhr, Stadtkirche: five o‘ clock.
Tickets ab 21 Euro. www.moers-klingt.de und Moers Marketing, 02842 – 88 22 60.
Nun haben Sie fast 100 Inszenierungen bundesweit auf die Bühne gebracht, waren in den 80ern u.a. stellv. Intendant am Moerser Schlosstheater…
Bei meiner Arbeit geht es ja im Grunde immer um das eine: Geschichten erzählen, die Menschen erreichen, etwas in ihnen bewegen. Ob das in der Oper ist oder beim Theater, in der Musik oder wo auch immer beim kulturellen Tun: Ich möchte Geschichten erzählen. Und ich war, bin und werde immer auf der Suche sein nach wunderbaren Momenten der Vollkommenheit, die einen in Gänze erfassen, zu Tränen rühren, jubelnd aufspringen lassen, zur stillen Ergriffenheit verführen. Wie gesagt, wenn man brennt für etwas, dann kann man auch Zeit und Raum aufheben. Einer, der das wirklich großartig kann, ist Roberto Ciulli in Mülheim.
Nun brennen Sie gerade wieder für die Musik, genauer: für das Jugendnationalorchester der Ukraine, das im Rahmen der Festwoche „Moers klingt“ gleich zweimal aufspielen wird.
Luzern, München, Bayreuth, Berlin, Moers. Tolle Reihe oder? Wir haben die ersten Kontakte schon vor drei Jahren aufgenommen. Lange bevor dieser Putin-Krieg losbrach. Aber schon damals lebten die Menschen dort im Kriegszustand – nur wir in Europa habe da nicht hingeschaut.
Wir haben einen kleinen Film online gestellt, der die Proben des Orchesters zeigt. Und eine junge Musikerin aus Kiew, Bratschistin, erzählt ihre Geschichte, eine sehr bewegende Geschichte. Wie sie in den Zug einsteigt, um nach Deutschland zu reisen. Ihre Mutter steht am Bahnhof und winkt, plötzlich gibt es Raketenalarm, man hört Explosionen, die Menschen rennen weg, auch ihre Mutter läuft los. Der Zug fährt ab, die beiden haben sich nicht mehr voneinander verabschieden können.
Das ist das Bild, dass die junge Musikerin nun immer vor Augen hat, ihre vor den Raketen weglaufende Mutter. Das berührt, nicht wahr? Das trifft ins Herz. Und ich glaube, dass es die Musik ist, die uns zusammenführen kann, die uns trägt und tröstet, die verbindet und stärkt. Wir spüren bei den Proben schon, dass die Musik Halt gibt. Uns allen. Und das das Konzert eine besondere Intensität haben wird.
Dazu passt dann ein Stück, dass das Jugendorchester der Ukraine spielen wird: Anton Dvorak, „Aus der neuen Welt“.
Die 9. Sinfonie, sie drückt so viel Sehnsucht nach Heimat aus – und das ist im aktuellen Zusammenhang natürlich ein hoch emotionales Stück – zumal am 24. August Nationalfeiertag in der Ukraine ist – das klingt bestimmt mit beim Festkonzert am 26. und beim Großen Sinfoniekonzert am 28. August.
Es treibt uns ja alle um, wie bekommen wir gemeinsam eine Welt geplant, in der die Lebensbedingungen für alle Menschen gerecht sind und in der Frieden ist.
Wie viele junge Musikerinnen und Musiker aus der Ukraine sind denn in Moers zu Gast?
65 junge, hochbegabte Musikerinnen und Musiker zwischen 13 und 20 Jahren. Und es wirklich großartig, dass auch dank der Hilfe der Stadt, viele, viele Gastfamilien gefunden werden konnten. Es ist total rührend, wie sich alle eingebracht haben.
Ohne diese spontane, herzliche und vielfältige Unterstützung wäre es nicht möglich gewesen, dem YSOU, also dem Jugendsinfonieorchester der Ukraine, im Juni hier bei uns in Moers die ersten gemeinsamen Proben in Freiheit, Frieden und Sicherheit nach dem russischen Überfall zu ermöglichen – und nun bei „Moers klingt“ mit dabei zu sein.
Darf ich vielleicht noch einen Tipp geben?
Klar.
Wir haben auf unserer webside einen kleinen Film eingebaut. Der wurde bei den Proben des Jugendsinfonieorchester im Sommer in Moers aufgezeichnet – eigentlich waren die Proben in der Ukraine vorgesehen, aber dann kam der Krieg.
In dem Film hören Sie also schon etwas von der Musik, dazu erzählen junge Musikerinnen aus ihrem aktuellen Leben im Krieg, auch die Dirigentin schildert ihre Erlebnisse und Gedanken. – Das ist sehr, sehr bewegend.