Am Niederrhein. Traumjob Hausmädchen – in den 1920er Jahren zog es viele junge Frauen vom Niederrhein zum Arbeiten in die Niederlande.
Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs standen die Zeichen in Deutschland auf Veränderung: Der Kaiser hatte abgedankt und die neue Republik machte erste Gehversuche. Dabei hatte die junge Demokratie Mühe Tritt zu fassen, da sie durch Verschwörungstheorien („Dolchstoßlegende“) für die Kriegsniederlage und für die Schwierigkeiten der frühen 1920er Jahre verantwortlich gemacht wurde.
Neben der schwierigen politischen Situation (Versailler Vertrag) waren auch die wirtschaftlichen Probleme bedrückend: Arbeitslosigkeit, Inflation, Not, Armut und berufliche Perspektivlosigkeit machten gerade den Jüngeren das Leben schwer. Daher suchten viele nach Stabilität und Sicherheit, die sie in ihrer gewohnten Umgebung nicht mehr vorfanden.
Die Hollandgängerei
Im 19. Jahrhundert waren Tausende über den Atlantik in die „Neue Welt“ emigriert, um dort bessere Verhältnisse als in ihrer kargen Heimat in den Alpen, der Eifel oder dem Hunsrück zu finden. Jetzt nach dem Großen Krieg stand diese Tür aber nicht mehr offen und so waren die Arbeitsuchenden gezwungen, sich nach besseren Lebensbedingungen in Europa umzusehen. Und die konnten sie in unmittelbarer Nähe jenseits der Grenze finden.
Dass man in den Niederlanden Arbeit finden konnte, war keine Neuigkeit. Schon seit dem Mittelalter waren viele dorthin gegangen, um auf den Werften, bei Landarbeiten und später auf den Schiffen der Ostindischen Kompanie anzuheuern. Die „Hollandgängerei“ war für Generationen von Handwerkern, Bauern und Zimmerleuten ein probates Mittel gewesen, um Geld zu verdienen.
In den frühen zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts aber war es ein neues Phänomen, dass junge Frauen scharenweise in die Niederlande emigrierten, um dort Arbeit zu finden – oder wie es damals hieß, um als Hausmädchen in niederländischen Familien „in Anstellung zu gehen“.
Arbeiten in den Niederlanden – war schon vor 100 Jahren beliebt
Die Niederlande waren im Ersten Weltkrieg neutral und – anders als das vom Deutschen Reich überfallene, ebenfalls neutrale Belgien – von Kriegseinwirkungen unbeeinträchtigt geblieben. Daher waren die Verhältnisse dort stabil und auch gegen die Auswirkungen der weltwirtschaftlichen Schwankungen erst einmal robust geblieben.
Die jungen Niederländerinnen zog es in die Fabriken und in den Einzelhandel, so dass auf dem Arbeitsmarkt insbesondere Dienstpersonal mit ausreichend offenen Stellen für junge Frauen und Mädchen gesucht wurde. Nach dem Zustandekommen erster Arbeitsverhältnisse entstand eine Dynamik, die weitere Begehrlichkeiten nach Bekannten, Nachbarinnen oder Freundinnen nach sich zogen. Schnell wurde die Bedarfsdeckung aber auch in organisatorische Bahnen gelenkt, spätestens als der niederländische Hausfrauenverband Nederlandse Vereeniging van Huisvrouwen bei seinen deutschen und österreichischen Schwestervereinigungen nach geeignetem Personal nachfragte.
Tausende von Mädchen reisten aus
In Oberhausen wurde eine niederländische Arbeitsvermittlungsstelle eingerichtet, die 1922 schon 133 Mädchen in neue Arbeitsverhältnisse bringen konnte. Insgesamt gingen die Zahlen jedoch in die Tausende wie die Zahlen der Emmericher Bahnhofsmission beweisen, die 1922 in fünf Monaten 10.344 ausreisende Mädchen notierte. Viele davon scheinen aber nicht ihr Glück im Westen gefunden zu haben, denn im gleichen Zeitraum wurden auch 2.314 Rückkehrerinnen gezählt.
Überhaupt war das Glück sehr fragil. Neben der Behandlung, die in jedem einzelnen Haushalt sehr unterschiedlich sein konnte, spielte auch die politische Großwetterlage eine nicht zu unterschätzende Rolle. Besonders am Ende der zwanziger Jahre als die Weltwirtschaftskrise auch die Niederlande heimsuchte, wurde die Situation für die deutschen Dienstmädchen deutlich schwieriger.
Als in den 1930er Jahren die wirtschaftlichen Schwierigkeiten in den Niederlanden anhielten, in Deutschland aber aufgrund der nationalsozialistischen Aufrüstungspolitik nahezu Vollbeschäftigung herrschte, kamen viele Dienstmädchen wieder über die Grenze zurück.
Hausmädchenheimschaffung
Sie reagierten damit aber nicht nur auf die ökonomischen Reize, sondern folgten zum Teil auch den immer lauter werdenden Rufen der neuen Machthaber, die die im Ausland tätigen Deutschen zur Rückkehr in die „Volksgemeinschaft“ aufforderten. Im Falle der Niederlande wurde 1938 sogar eine regelrechte „Hausmädchenheimschaffung“-Kampagne initiiert, um die Rückkehr zu beschleunigen.
Viele der jungen Mädchen, die inzwischen ja schon mehrere Jahre in den Niederlanden tätig waren, versuchten sich diesem Druck zu entziehen und entschlossen sich zu einer Heirat mit einem Niederländer, um auf diese Weise eine vereinfachte Einbürgerung zu erreichen. Auch dies gelang in vielen Fällen nicht so leicht, da die deutschen Behörden bürokratische Hürden aufbauten, um genau dieses Schlupfloch zu schließen. Mit dem Einmarsch der Wehrmacht im Mai 1940 waren die einfachen Jahre in Holland dann endgültig beendet.
Im LVR-Niederrheinmuseum Wesel man viele spannende Geschichte aus der Region entdecken. Eine Sonderausstellung beleuchtet aktuell die deutsch-niederländische Geschichte am Rhein von 1800 bis 2000. Mehr Infos gibt es hier