Duisburg. Erlebnisse des Krieges, Spielen mit neuen Freunden, ohne Deutsch zu verstehen: Wie Kinder aus der Ukraine den Sommer in NRW verbringen.

Auf Drei: Merissa Kurtanovic gibt das Zeichen. Sie hebt ihren Arm in die Höhe und dreht ihre Hand schnell im Kreis, 1, 2, 3 – und los Safie (8), Somaya (8), Mumina (6), Marianna (8) und Valerija (8) sprinten los, lachen um die Wette und fallen der Betreuerin des Kinderschutzbundes Duisburg in die Arme. Man mag es kaum glauben, dass die fünf Mädchen eine solche Freude ausstrahlen, sie leben erst seit wenigen Wochen in Deutschland, sind mit ihren Müttern vor dem Krieg in der Ukraine geflohen. „Aus welchem Gebiet genau wissen wir nicht“, sagt Gerhild Tobergte, Leiterin des Kinderschutzbundes Duisburg. Dieser betreut die fünf Mächen seit wenigen Wochen – in der Schulzeit zweimal die Woche, in den Ferien hatten die zwei Betreuerinnen Merissa Kurtanovic und Erva Güdük eine Ferienerlebniswoche organisiert, „damit sie auch in der schulfreien Zeit eine Tagesstruktur haben“.

Verständigung mit Händen und Füßen

Und die beginnt mit einem gemeinsamen Frühstück, nachdem die Mütter die Kindern gebracht haben. Danach stehen Wortlernspiele an - oder Ausflüge wie zum Wasserspielplatz. Auch im Zoo war die Gruppe schon.

Stolz zeigt Somaya ein Tier-Bild, dass sie nach dem Besuch ausgemalt hat. „Und was ist das für ein Tier?“, fragt Erva Güdük und zeigt auf einen „Hai“, sagt Somaya. Der Daumen geht nach oben: „Gut“, lobt die 23-jährige Mitarbeiterin des Kinderschutzbundes. Die Verständigung mit den Mädchen ist nicht einfach. Sie sprechen kein Deutsch, verstehen nur wenige Signalworte wie „Stop“. Aber: „Irgendwie geht es, mit Händen, Füßen, Zeichen und zur Not hilft der Google-Übersetzer“, erklärt Erva Güdük.

Die Projektgruppe kann der Kinderschutzbund dank einer Unternehmensspende finanzieren. „Als der Krieg ausgebrochen ist, dachten wir, es werden Kinder zu uns kommen. Da haben wir uns schon darum Gedanken gemacht, wie wir helfen können“, erzählt Gerhild Tobergte.

Sie nahm Kontakt zur Gemeinschaftsgrundschule in Duisburg-Wanheimerort auf. Seit wenigen Wochen gehen dort Safie, Somaya, Mumina , Marianna und Valerija in den Unterricht. Die beiden Mitarbeiterinnen des Kinderschutzbundes gingen Anfangs in den Unterricht hospitieren, um die Kinder kennenzulernen, Vertrauen aufzubauen. Ihre Erfahrung: „Die Mädchen sind aufmerksam, wollen lernen, grenzen sich nicht ab. Sie spielen mit den anderen Kindern mit Hilfe von Blickkontakt. Wenn die fehlenden Sprachkenntnisse nicht wären, würde man nicht merken, dass sie erst so kurz hier leben.“

Merissa Kurtanovic und Erva Güdük freuen sich, „dass die so eine Lebensfreude haben. Das haben wir nicht vermutet. Man merkt, dass sie von Woche zu Woche mehr aufblühen.“ Dies sei auch ihre Motivation gewesen, die Betreuung zu übernehmen. „Wir wussten ja nicht worauf wir uns einzustellen haben“, sagt Merissa Kurtanovic.

Ein Gefühl von Alltag vermitteln

Mittlerweile haben sie sich eine eigene Verständigung erarbeitet: Zum Beispiel: „’Kommt bitte hierher’, verstehen sie nicht. Und wenn die beim Spielen in verschiedene Richtungen unterwegs sind, mussten wir uns was überlegen. Da haben wir uns das Zeichen mit den Drehen der erhobenen Hand überlegt. Es funktioniert“, erklärt Merissa Kurtanoviv.

Ein Ziel der Projektgruppe ist es, den Kindern ein Gefühl von Alltag hier zu vermitteln und dabei zu helfen, Deutsch zu lernen. „In der Schule gehen wir den Kindern in einen anderen Raum und spielen viel Memory“, erklärt Erva Güdük. Safie hat sich vor wenigen Tagen den Arm gebrochen. Wie ist das passiert? Sie zeigt auf den Baum, den Arm und sagt „Aua.“

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Mit Schlagworten geht es schon ganz gut. „Was ist das für Obst?“, fragt Gerhild Tobergte Marianna, die ihr ausgemaltes Bild der Besucherin strahlend zeigt. „Kirschen.“ Stimmt. Aber nun ist auch gut, mit zeigen und erklären. Spielen ist doch viel schöner. Zumal Ferien sind.

Die Kegel sind schon aufgebaut. Somaya fängt an, lässt die kleine Kugel rollen – und trifft. 3 Kegel fallen um. Jubel. Derweil hat Mumina die Clownsnasen in dem Spielkorb entdeckt, setzt sie auf und albert rum.

Glückliche Momente, die scheinbar die Flucht und den Krieg in der Heimat zumindest für eine gewisse Zeit vergessen lassen. Und genau dies ist dem Kinderschutzbund wichtig: „Die Kinder leben hier und jetzt. Sie haben ein Anrecht auf Kindheit“, sagt Gerhild Tobergte und schießt einen Tennisball zurück zu den Mädchen, die sich im Spiel völlig vergessen haben.