Essen/Am Niederrhein. Tourismusexpertin Martina Baumgärtner über Sorgen der Hotelbetriebe. Und: Ihre Spezialtipps für ein paar Tage Urlaub am Niederrhein.

Die Corona-Pandemie hat die Tourismusbranche arg gebeutelt. Doch das Reisefieber ist wieder da, die Lockdowns sind fast vergessen, es geht wieder aufwärts. Der Niederrhein-Tourismus – mit den Kreisen Viersen, Kleve, Heinsberg und Wesel– zählte zuletzt 532.000 Übernachtungen (Stand: April 2022). Die Zahlen seien „nur noch“ ein Minus von 19 Prozent im Vergleich zum Vor-Pandemie-Jahr 2019; in 2020 seien es minus 50 Prozent gewesen, erläutert Martina Baumgärtner, Geschäftsführerin von Niederrhein Tourismus, im NRZ-Sommergespräch im Schaukelstuhl mit Redakteurin Denise Ludwig.

Müssen Touristiker immer arbeiten, wenn andere Urlaub machen?

Martina Baumgärtner: Nein. Wir genießen es, unterwegs zu sein. Wir entdecken immer wieder etwas Neues. Erst kürzlich hatte ich einen Termin in Kleve: Auf dem Weg dorthin bin ich ein kurzes Stück durch Holland gefahren, die Sonne kam raus. Es ist inspirierend. Unsere Arbeit ist auch ein Stück Berufung.

Wo machen Sie in diesem Sommer Urlaub?

Ich fahre, wie jedes Jahr, nach Sylt. Anschließend verbringe ich noch eine Woche zuhause und genieße den Niederrhein in all seinen Facetten.

Wie riecht der Niederrhein im Sommer?

Ich könnte mehr dazu sagen, wie schmeckt der Niederrhein. Gerochen habe ich letztens, ich glaube es war Holunder. Die Natur bringt viele Gerüche in dieser Jahreszeit. Es ist diese besondere Frische.

Und wie schmeckt der Niederrhein?

Süßlich! Weil mir dazu Erdbeeren einfallen, es ist ja noch Saison. Wir haben viel Obst am Niederrhein, aber auch Gemüse. Im Herbst schmeckt er eher etwas herb, wie Kohl. Der Geschmack reicht von süßlich bis herb.

Die Tourismus-Zahlen in Nordrhein-Westfalen steigen wieder. Wie ist die Situation am Niederrhein?

Die Übernachtungsbetriebe – Hotels, Campingplätze, Ferienwohnungen – sind bis zum Jahresende gut gebucht. Auch in den sonstigen Freizeitbetrieben ist gut zu tun. Aber es gibt einen Wermutstropfen.

Welchen?

Betriebe müssen gezwungenermaßen wegen des Fachkräftemangels Ruhetage einführen, um das vorhandene Personal nicht zu überfordern. Wir haben eine große Nachfrage, können diese aber nicht bedienen.

Auch Anfragen von Großveranstaltungen müssen zum Teil leider abgesagt werden. Erfreulich aber ist, dass viele Privatfeiern nachgeholt werden können – Taufen zum Beispiel. Das sind Hochzeiten, die in den zwei Jahren Pandemie verschoben worden sind und jetzt mit den Taufen der Kinder kombiniert gefeiert werden. Aber auch die Nachfrage von touristischen Gästen und Geschäftsreisen zieht an.

Wozu führt der Fachkräftemangel? Muss ich mir als Gast mein Frühstück selbst machen?

Ich weiß von einer Eisdiele, die einen Selfservice mangels Fachkräfte eingeführt hat. Das sind Bemühungen der Betriebe, ihre Dienstleistung trotz des fehlenden Personals aufrechtzuerhalten. Sie wollen trotzdem für den Gast da sein. Das schätze ich sehr. Auch wenn es an der einen oder anderen Stelle für den Gast etwas unangenehm oder unbequem erscheint. Wir planen, gemeinsam mit Betrieben an Kampagnen zu arbeiten, um wieder Fachkräfte zu gewinnen.

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Was unternehmen die Gäste gern in ihrem Niederrhein-Urlaub?

Ganz oben steht das Thema Radfahren. Das spüren wir auch an unserem eigenen Niederrheinrad-Verleihsystem. Es werden zusätzliche Fahrräder angefordert. Das Wandern hat erneut Aufwind bekommen. Im Kreis Viersen haben wir zertifizierte Premium-Wanderwege, die bis in die Niederlande hineinreichen. Auch junge Leute mit professioneller Ausrüstung wandern auf diesen Wegen und organisieren ihre Übernachtung selbst. Sie genießen es, am Wasser entlang zu wandern und durch die kleinen idyllischen Städte zu gehen. Dort gibt es ja so gut wie keine Filialisten, sondern individuelle Einzelhandelsgeschäfte. Diese Individualität suchen die Menschen bei uns.

Die Geschäftsführerin von Niederrhein Tourismus, Martina Baumgärtner, verbringt ihren Urlaub auf Sylt und natürlich - am Niederrhein.
Die Geschäftsführerin von Niederrhein Tourismus, Martina Baumgärtner, verbringt ihren Urlaub auf Sylt und natürlich - am Niederrhein. © FFS | Kai Kitschenberg

Dazu gehört auch das Campen?

Unsere Reisemobilstellplätze und Campingplätze sind nach wie vor gut besucht. Auch Ferienwohnungen haben großen Zuspruch. Gerade in der Pandemiezeit waren diese autarken Übernachtungsmöglichkeiten sehr gefragt. Kommunen überlegen, weitere Stellplätze zu schaffen. Denn: Sie profitieren ja von der Kaufkraft der Gäste, das belebt die Innenstädte.

Woher kommen denn die Urlauber?

Aus dem nahen Umfeld. Nahtourismus hat wieder einen hohen Stellenwert gewonnen – durch die Pandemie, aber auch durch die außenpolitische Situation. Ressourcen werden knapper und teurer, man möchte trotzdem Freizeit mit der Familie oder dem Partner und der Partnerin genießen. Das Ruhrgebiet ist ein ganz großer Zielmarkt. Es kommen Gäste aus Belgien und den Niederlanden. Was uns sehr freut: Die Aufenthaltsdauer von zwei Nächten hat sich um 0,5 Nächte erhöht. Über das Jahr gesehen ist das eine stolze Leistung. Wir halten die Menschen länger in der Region. Dafür möchten wir weiter gute Angebote und Programme entwickeln.

Wie wichtig sind Veranstaltungen und Pauschalangebote für Sie?

Wir sind als Radregion bekannt. Dieses Thema begleitet uns seit 2004, seit Gründung des Niederrhein Tourismus. Das Thema steht immer an erster Stelle. Aber auch Events tragen zu Reiseanlässen bei und sind ganz wichtig für die Region. Zum Beispiel das Festival Parookaville, das Jung und Alt anspricht und an die 80.000 Menschen hierherholt. An dem Wochenende wird die Region nahezu ausgebucht sein. Außerdem haben wir Jazzfestivals oder Brauchtumsfeste. Pauschalangebote haben in der Pandemie wieder an Beliebtheit gewonnen, weil sie für den Endverbraucher versicherungstechnisch eine gute Sache sind: Er ist abgesichert und kann im Falle eines Stornos unkompliziert von seiner Reise zurücktreten. Weil wir stark grenzüberschreitend arbeiten, waren Pauschalen aber immer ein starkes Werkzeug, um Gäste in die Region zu holen, zwei Länder – zwei Kulturen. Der Gast fühlt sich sicherer, da geführt zu werden.

Wie muss sich der Tourismus in Zukunft entwickeln?

Es wird um die Megatrends Digitalisierung und Nachhaltigkeit gehen. Wir werden ein Projekt mit den Niederländern anstreben zum Thema Daten-Hub. Darin können Betriebe und Kommunen ihre Daten einspeisen und an Touristik- und Freizeitportalen andocken. Kunden, die nach dem Niederrhein suchen, bekommen dann entsprechende Daten und Informationen. In Sachen Nachhaltigkeit wollen wir mit der Hochschule Rhein-Waal zusammen dieses Thema angehen.

Radtourismus, Wandern, Nahtourismus – das ist doch schon recht nachhaltig…

In den Betrieben kann man nachhaltiger werden, aber das sind unternehmerische Entscheidungen. Wir können da nur unterstützen und Wissenstransfer anbieten, was die Ressourcen anbelangt. Es gibt ein Landhaus, das bietet vegane Küche an und hat ein eigenes Blockkraftwerk. Die Verpackungen auf den Frühstücksbuffets gibt es schon lange nicht mehr.

Es geht auch um die Frage: Wie kann man die Gäste darauf hinweisen, verantwortungsbewusst mit Ressourcen umzugehen, ohne dass es belehrend wirkt? Die Anreise an den Urlaubsort ist ein Thema: Wir sind eine sehr autolastige Region. Das hängt mit Infrastruktur zusammen. Die Kreise arbeiten an Konzepten, um alternative Möglichkeiten anzubieten.

Warum sollte ein Düsseldorfer oder ein Oberhausener am Niederrhein Urlaub machen?

Weil der Niederrhein ein Ort der Entspannung und Erholung ist. Wir haben tolle Kinderprogramme, aber auch sehr erholsame Programme für Erwachsene, neben Radfahren und Wandern auch Wellness. Die Kulinarik ist hervorragend, sie ist regional und nachhaltig. Die Anreise ist kurz. Man kommt entspannt an seinem Zielort an und hat sofort Urlaub.

Was muss ein Gast im Urlaub am Niederrhein auf jeden Fall erlebt haben?

Er sollte auf jeden Fall ein Stück den Rheinradweg fahren, einen der Wanderwege in den Naturparken Hohe Mark oder Schwalm-Nette in Anspruch nehmen, den Archäologischen Park in Xanten besuchen – auch mit dem Ausstellungspavillon Niedergermanischer Limes Weltkulturerbe – oder andere geschichtsträchtige und kulturelle Einrichtungen sind ein Muss. Und einmal muss er Möhren und Endivien untereinander probieren. Und nicht zu vergessen: ein schönes Stück Kuchen in einem schönen Bauerncafé!