Die Königin von Schweden war hier, Konrad Adenauer war hier, der Bundestag natürlich auch: Eine Spurensuche zwischen Landesgrenze und Dom.

Die aktuellste Lektion in Sachen Macht findet drüben statt und tut eigentlich nichts zur Sache. Denn drüben bei Stromkilometer 641 liegt Nonnenwerth, Rheinland-Pfalz. Rechtsrheinisch stehe ich hingegen auf Grafenwerth, Nordrhein-Westfalen. Zwei Inseln im einem Strom, hier in Bad Honnef, wo der Rhein die Landesgrenze quert. Grafenwerth beherbergt das örtliche Freibad, ein paar Tennisplätze und ein Ausflugslokal.

Drüben, auf Nonnenwerth indes steht ein Kloster. 170 Jahre lang diente es als Schule. Mit den Sommerferien ging die Geschichte zu Ende. Vor zwei Jahren wurde die Insel verkauft. An einen Investor. Ob dieser zugesichert hat, die Schule weiter zu betreiben, musste vor Gericht geklärt werden.

Eine Schule in bester Insellage muss plötzlich schließen

Was der Investor jedenfalls nicht hat, sagt er, sind mehr als zehn Millionen Euro, die plötzlich für den Brandschutz nötig sind. Die Folge: Das altehrwürdige Gymnasium muss schließen – die Schülerinnen und Schüler nach Honnef oder nach Remagen umgeschult werden. Proteste gab es reichlich, doch selbst Günter Wallraff, der vor wenigen Wochen per Paddelboot die verbotene Insel enterte, gab der Sache keine Wende mehr.

Was aus dem Kloster mit Blick auf Siebengebirge und Drachenfels wird? Tja. Die öffentlich gewordenen Entwürfe, es in Eigentumswohnungen zu verwandeln, seien ohne sein Wissen und seine Zustimmung entstanden, so der Neubesitzer. Es wird noch viel Wasser den Rhein runterfließen müssen, um die Wahrheit ans Licht zu spülen.

Wenden wir uns dem NRW-Ufer zu: Bad Honnef zum Beispiel war einmal Promi-Hotspot, „das deutsche Nizza“: zwischen 1892 und 1902 kam Königin Sophia von Schweden und Norwegen mehrfach an den Rhein. In einem Schaukasten am Bahnhof ist die Szene nachgebildet – indes: Den Bahnhof ist wenig majestätisch. Das muss anders gewesen sein, als Urlaub noch „Sommerfrische“ hieß und das Rheintal Tourismusdestination statt Transitregion war: Heute rattern beidseits des Stroms täglich hunderte Güterzüge durchs Tal.

 Zwischenstopp am Konrad-Adenauer-Haus in Rhöndorf, heute ein Ortsteil von Bad Honnef.
Zwischenstopp am Konrad-Adenauer-Haus in Rhöndorf, heute ein Ortsteil von Bad Honnef. © FUNKE Foto Services | Olaf Fuhrmann

Schön ist es hier immer noch. Das wusste auch der erste Kanzler der Bundesrepublik. Wenn an seinem Wohnhaus im Honnefer Ortsteil Rhöndorf steht: „Rheinländer, Deutscher, Europäer“, drückt das auch eine Hierarchie aus. Konrad Adenauer war Rheinländer durch und durch. Dass sich Bonn als Bundeshauptstadt gegenüber vielerlei Kandidaten durchsetzte, ist vor allem der geografischen Nähe zum ersten und wahrsten aller Konrad-Adenauer-Häuser am Zennigsweg 8a zu verdanken.

Selbst die Stiftung Konrad-Adenauer-Haus, die an der gleichnamigen Straße direkt unterhalb des Wohnhauses ein kleines Museum betreibt, räumt heute bereitwillig ein, dass der Alte vom Rhein mittels „Fake-News“ Bonn zur Hauptstadt machte: Ein CDU-naher Journalist, später zum Regierungssprecher befördert, verbreitete beim Deutschen Depeschendienst die Nachricht: SPD-Chef Kurt Schumacher erklärt, die Wahl des „roten“ Frankfurts zur Bundeshauptstadt gegen das bürgerliche Bonn sein eine herbe Niederlage für die CDU/CSU.

Bonn: Per Fake-News zur Bundeshauptstadt

Indes: die vermeintliche Nachricht ging nicht in die Welt hinaus, wurde nur an ausgewählte Teilnehmer verschickt. Darunter Adenauer, der „seine“ CDU mit der gefälschten Triumphmeldung der SPD zur Geschlossenheit zwang. Zuvor hatten zumindest hessische Abgeordnete für Frankfurt stimmen wollen.

So aber wurde für fast zwei Jahrzehnte zur Kanzler-Dienstfahrt, was ich radle: hügelab durch Rhöndorf, wo ein Kapellchen in der Straßenmitte steht. Dann wechsle ich auf den Radweg am Rhein. Die Fähre von Königswinter nach Mehlem bringt mich und das Rad für 1,90 Euro rüber. Mit dieser – oder der vier Kilometer weiter pendelnden Fähre Bad Godesberg-Niederdollendorf fuhr der Alte zum Dienst.

Heute Teil des World Conference Centers: Der Bundestag, der nur ein paar Jahre als Parlament genutzt wurde. Dem Neubau kam die Wiedervereinigung und der Berlin-Umzug in die Quere.
Heute Teil des World Conference Centers: Der Bundestag, der nur ein paar Jahre als Parlament genutzt wurde. Dem Neubau kam die Wiedervereinigung und der Berlin-Umzug in die Quere. © FUNKE Foto Services | Olaf Fuhrmann

Acht Kilometer stromab bin ich am Zwischenziel: Nur sieben Jahre war der „alte Bundestag“, der eigentlich recht neu ist, Tagungsort des Parlamentssitz. Als der Neubau 1992 fertiggestellt wurde, der eine Turnhalle als Parlamentssaal ersetzte, waren längst Wiedervereinigung und Berlin-Umzug entschieden. Heute ist der Bundestag Teil des World Conference Centers: Zahlreiche UN-Organisationen haben in Bonn ihren Sitz. Mit Zuständigkeiten von der europäischen Fledermaus und den Kleinwalen über die Bekämpfung der Wüstenbildung bis hin zum Sekretariat für Rahmenvereinbarungen zum Klimaschutz.

Vorbei am ehemaligen Kanzleramt und den rheinischen Dienstsitzen von Kanzler und Bundespräsidenten, Palais Schaumburg und Villa Hammerschmidt, geht es Priesterseminar des Kölner Erzbistums, das den Chor seiner Kapelle dem Rhein entgegenstreckt, runter nach Wesseling. Hier wende ich mich landeinwärts: Ein Weltkulturerbe ist zu besichtigen.

Rokoko für den Erzbischof: Die Schlösser von Brühl

In Brühl stehen die Schlösser Augustusburg und Falkenlust. Augustusburg war die Sommerresidenz des Kurfürsten und Erzbischofs von Köln, gebaut Anfang des 18 Jahrhunderts. Dagegen kann der Palast des Prunkbischofs von Limburg abdanken. Auch, wenn das Welterbe gerade teilweise eingerüstet ist: Schlösser und der verbindende Schlosspark, durchtrennt von der Bahnstrecke, sind eine Pracht in Rokoko. Stilbildend für deutschen Adel für ein halbes Jahrhundert.

Doch der Segen kommt von oben: Kurz vor Köln hat es mal ordentlich geschüttet.
Doch der Segen kommt von oben: Kurz vor Köln hat es mal ordentlich geschüttet. © FUNKE Foto Services | Olaf Fuhrmann

Indes: Von Westen nähern sich düstere Wolken und das Etappenziel Köln ist noch 15 Kilometer entfernt. Also geht es die langweilige, wie mit dem römischen Lineal gezogene B 51 auf Köln zu. Doch der Regen ist schneller, der Radweg durch schützenden Wald gesperrt. Die Umleitung führt mich auf die Bonner Straße. Mit Croissant und Cappuccino in einer Tankstelle geht es zurück zum Rhein, als der Himmel wieder dicht hält. Finale der Etappe unter zahlreichen Brücken am Strom entlang zu Deutschlands meistbesuchte Touristenattraktion, vor der sich Nonnen genauso fürs Selfie in Position stellen wie kreischende asiatische Teenager. Der Dom, himmelhohes Symbol der Weltmacht Katholische Kirche und deutsches Nationalsymbol des 19. Jahrhunderts gleichermaßen. Und in unseren Zeiten Zeichen dafür, dass keine Macht ewig währt.