An Rhein und Ruhr. 2021 sind in NRW so viele Babys geboren wie seit 20 Jahren nicht mehr. Ein Soziologe erklärt, warum der „Baby-Boom“ 2022 ausbleiben könnte.

„Glücklicher kann man im Leben nicht mehr sein als in dieser Situation“, beschreibt Lisa aus Dinslaken das Gefühl als sie ihre Tochter Leonie kurz nach der Geburt das erste Mal im Arm gehalten hat. Für sie und ihren Mann „definitiv der glücklichste Moment“ in ihrem gemeinsamen Leben. Mittlerweile ist aus Leonie ein Kleinkind geworden, „in genau einer Woche wird sie eins“, verrät Lisa. Mit Leonie zusammen werden in diesem Jahr 175.396 Kinder in NRW ihren ersten Geburtstag feiern. Eine Zahl, die seit 20 Jahren nicht mehr so hoch war. Doch woran liegt es, dass gerade jetzt der Baby-Boom so stark ist?

„Ich würde es nicht als Boom bezeichnen, sondern als kurzfristige Erhöhung der Geburtenzahlen“, ist sich Peter Hartmann, Soziologe und Professor an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf, sicher. In den vergangenen Jahren habe es immer wieder Phasen gegeben, in denen mehr Kinder geboren wurden als in anderen Jahren, begründet er. Zudem würden nicht flächendeckend gleich viele Babys geboren. Es gebe regional große Unterschiede. Dies zeigen auch Zahlen, die das Statistische Landesamt (IT.NRW) für das bevölkerungsreichste Bundesland Nordrhein-Westfalen veröffentlichte.

Viele Babys im Jahr 2021 im Kreis Wesel

Im Kreis Wesel, in dem auch Leonie geboren wurde, sind 2021 insgesamt 4090 Babys zur Welt gekommen – das waren 8,1 Prozent mehr als im Vorjahr. Diese Steigerungsrate ist mit die höchste in Nordrhein-Westfalen. Von den Kreisen und kreisfreien Städten liegt nur der Kreis Euskirchen mit 12,8 Prozent noch über dem Wert. In Essen sind zwar noch mehr Babys geboren (5970) als im Kreis Wesel, der Anstieg ist mit einem Zuwachs von 1,4 Prozent jedoch geringer. Gleiches gilt für die Landeshauptstadt Düsseldorf. 6570 Babys sind dort 2021 zur Welt gekommen, der Zuwachs zum Vorjahr liegt bei zwei Prozent.

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Peter Hartmann wundert das nicht: „Es kommt immer darauf an, welche Menschen in einem Kreis oder einer Stadt wohnen. Dort, wo eben viele junge Menschen leben, wie in Großstädten, werden auch mehr Kinder geboren als zum Beispiel auf dem Land, wo eher Ältere leben.“ Im Schnitt würden Frauen in Deutschland heutzutage ihr erstes Kind mit 30 Jahren bekommen. Die Entscheidung, wann aber genau neues Leben in die Welt gesetzt wird, hänge oft auch von äußeren Umständen ab. „Der Krieg ist zum Beispiel ein Grund, weshalb sich viele Menschen nun gegen ein Kind entscheiden könnten“, schätzt der Soziologe und begründet damit auch seine These, dass die hohen Geburtenzahlen nicht anhalten werden. Genau sagen könne man dies aber erst im kommenden Jahr.

Düsseldorfer Soziologe: Krieg in der Ukraine spielt eine Rolle bei Geburtenentwicklung

Eine ähnliche Entwicklung habe man aber im zweiten Weltkrieg beobachten können. Kam es am Anfang zunächst zu einem Babyboom in Deutschland, hätte der weitere Verlauf und mögliche Erlebnisse vom ersten Weltkrieg die Menschen mehr und mehr davon abgehalten, sich für ein Kind zu entscheiden. Gleiches könnte nun auch passieren. Der Schrecken davor, was im Krieg Russlands gegen die Ukraine noch geschehen könnte, sei derzeit bei vielen Paaren zu groß.

Auch Lisa und ihrem Mann gehen solche Gedanken durch den Kopf. Im Jahr als sie entschieden hatten ein Kind zu bekommen, sei vor allem Corona ein Thema gewesen zwischen ihr und ihrem Ehemann: „Wir dachten aber noch: Das wird ja wohl vorbei sein, wenn sie geboren ist.“ Und dennoch ist für sie klar: „Selbst, wenn ich gewusst hätte, wie lange uns Corona noch begleitet: Ich hätte mich niemals gegen Leonie entschieden.“ Auch ein Geschwisterkind für Leonie sei fest geplant, „jetzt aber erstmal nicht“, betont sie und fügt hinzu: „Gerade jetzt fragt man sich natürlich oft: In was für eine Welt habe ich ein Kind reingesetzt?“