Essen/Chisinau. NRZ-Reporter Jan Jessen ist wieder in der Ukraine unterwegs. Im Interview erzählt er von den Erlebnissen vor Ort und seinen aktuellen Plänen.

Leserinnen und Leser, Kolleginnen und Kollegen, Freundinnen und Freunde wollen wissen, wie es NRZ-Politikchef Jan Jessen geht, der sich wieder auf den Weg in die Ukraine gemacht hat, um für uns aus erster Hand zu berichten. NRZ-Redakteurin Denise Ludwig hat ihn am späten Nachmittag auf dem Weg von Odessa nach Chisinau in Moldawien erreicht.

Jan, wie geht es dir? Wie ist die Situation vor Ort? Erzähl mal!

Es geht mir ganz gut. Ich bin etwas müde, aber sehr froh, dass ich diese Geschichten machen kann. Wir fahren gerade durch Odessa, es ist nach unserer Zeit 16.30 Uhr. Die Situation ist skurril. Es wirkt sehr ruhig. Außer am Bahnhof, hier spürt man, dass viele Menschen weg wollen. Ansonsten sind die Bushaltestellen voll, sogar die Straßenbahn fährt, viele Autos sind in Richtung Kriegsgebiet unterwegs. Auf den Straßen Panzersperren, Sandsäcke. Wenn die nicht wären, würde man kaum merken, dass Krieg herrscht. Es sind zwar nicht ganz so viele Menschen im Straßenbild, aber diejenigen, die da sind, sind nicht in Panik. Viele laufen mit Einkäufen durch die Straßen, Geschäfte scheinen offen zu sein. Es wirkt relativ normal.

Du sagst: Wir. Mit wem bist du unterwegs?

Ich bin mit dem Team Humanity unterwegs. Die Organisation kümmert sich seit 2015 um Flüchtlinge. Wir sind früh um 4.30 Uhr losgefahren, um Frauen und Kinder aus dem Kampfgebiet rauszuholen. Darüber werde ich noch berichten.

Montagabend ging es los. Wie bist du nach Chișinău gelangt?

Ich bin von Düsseldorf aus nach Bukarest geflogen weil der Flughafen in Chișinău gesperrt war. Von Bukarest habe ich mich also über den Landweg durchgeschlagen, habe Menschen angesprochen, die mich für 250 Euro an die moldawische Grenze gebracht haben. Dort bin ich zu Fuß mit Rucksack und Rollkoffer über die Grenze getapert – mit Helm und Schutzweste im Gepäck. Ich glaube, das fanden selbst die Grenzer skurril, die dann ein Pärchen angehalten haben, damit sie mich mit rüber nehmen. An einer Raststätte habe ich wieder einen Fahrer angesprochen, der mich für 120 Euro mitnahm. Gegen 10 Uhr morgens bin ich in Chișinău angekommen – und dann ging die Arbeit los. Ich habe den ganzen Tag recherchiert. Und ich habe eine Kollegin kennengelernt, die mich rumgeführt hat.

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Und am Donnerstag warst du in Odessa?

Ja, aber die Nacht werde ich wieder in Chișinău verbringen. Wir werden uns nicht in Odessa aufhalten, weil unklar ist, wie man zurück kommt. Am Samstag nehme ich erst einmal wieder den Flug zurück. Zunächst hatten wir ein etwas mulmiges Gefühl, weil es hieß, die Stadt hinter Odessa sei sehr umkämpft. Aber unsere Quellen vor Ort beruhigten uns und sagten, die Angreifer kommen nachts. Auf der Toilette einer Raststätte hörte man dann auch Schüsse, doch wie sich herausstellte, waren es die Ukrainer, die raus geschossen haben.

Wo bist du untergebracht?

In einem Hotel aus den 60er/70er-Jahren. Es ist ganz okay. Andere Hotels verlangen Mondpreise – zwischen 200 bis 300 Euro die Nacht.

Was planst du am Freitag?

Vielleicht fahre ich nach Transnistrien, diese abtrünnige russlandtreue Region. Es ist etwa 2 bis 3 Stunden von Chișinău entfernt.

Ukrainische Menschen auf der Flucht.
Ukrainische Menschen auf der Flucht. © Jan Jessen / NRZ | Jan Jessen

Nach dem Gespräch schickt Jan Jessen noch eine Aufnahme mit folgenden Text: „Menschen, die am Donnerstag in Mykolaiv mit einem Bus aus der seit Tagen durch die Russen beschossenen Stadt herausgebracht wurden. Die Angst und die Strapazen der vergangenen Tage stehen ihnen ins Gesicht geschrieben.“